Aufwendige Tests sollen die Bewerber auf Herz und Nieren prüfen
Hochschulabgänger, die zu einem Assessment-Center (AC) eingeladen werden, sind heiße Stellenkandidaten. Denn zu diesen aufwendigen Tests laden die Unternehmen nur wenige Bewerber ein.
„Assessment-Center waren lange Zeit eine Art Visitenkarte der Unternehmen. Mit ihnen wollten sie sich als modern geführte Organisationen profilieren“, erklärt Unternehmensberater Hans-Peter Machwürth, Visselhövede. Doch diese Zeiten sind vorbei. Und die Assessment-Center (AC)? Sie haben sich zu einem Standard-Instrument der Personalauswahl entwickelt. „Denn in ihnen kann man einer Vielzahl von Bewerbern objektiver als in Einzelinterviews gegenübertreten“, schwärmt Bernadette Imkamp, Leiterin Personalbetreuung und -marketing bei Schwäbisch Hall-Unternehmensgruppe. Entsprechend breit setzt die Bausparkasse AC ein: von der Azubi-Auswahl bis zur Auswahl der Teilnehmer für die Führungskräfte-Entwicklungsprogramme.
Damit agiert Schwäbisch Hall laut Harald Müller, Leiter Trainee-Programme beim Frankfurter Bildungsdienstleister Provadis eher gegen den Trend: „In der Regel kommen Assessment-Center primär zum Einsatz, wenn es um die Auswahl hochqualifizierter Bewerber geht.“ Also zum Beispiel, wenn Unternehmen Trainees auswählen. Dann werden die heißen Kandidaten oft zu einem AC eingeladen.
Teilnehmer sind in der engen Auswahl
Übereinstimmend betonen die befragten Unternehmen: Assessment-Center sind nur ein Instrument in unserer „Test-Batterie“. Und: Wer eine AC-Einladung erhält, ist ein heißer Stellenkandidat. Als Beispiel für das Vorgehen kann die Allianz Deutschland dienen. Der Versicherungskonzern nutzt AC, um „aus den Top-Bewerbern“ für sein Trainee- und Vorstandsassistenten-Programm „die für unser Unternehmen passendsten herauszufiltern“, erklärt Personalreferentin Maike Unger. Das heißt: Wer eine AC-Einladung erhält, dessen Lebenslauf und Bewerbungsunterlagen erfüllten die Anforderungen der Allianz. Außerdem hinterließ er oder sie beim Telefon-Interview, das meist auf das Sichten der Unterlagen folgt, einen Spitzen-Eindruck. Und auch bei den anschließenden ein, zwei persönlichen Vorstellungsgesprächen hatten die Personalverantwortlichen den Eindruck: Das ist ein heißer Kandidat! Ansonsten erfolgt keine AC-Einladung. Ähnlich ist das Vorgehen bei Merck, Darmstadt – zum Beispiel, wenn der Pharma- und Chemiekonzern aus den circa 300 Bewerbungen für sein Inhouse-Consulting-Traineeprogramm die fünf, sechs Top-Kandidaten herausfiltern möchte, wie Martin Baltes, Gruppenleiter Recruiting, betont.
Moderne Assessment-Center sind dynamischer
Heute dauern die AC kürzer als früher. „Zumeist einen Tag“, betont der Berater Machwürth. Auch ihr Design hat sich geändert. Eine geringere Rolle spielt in ihnen die Postkorb-Übung. Sie ist der Klassiker unter den AC-Übungen. Bei ihr erhalten die Teilnehmer einen „Postkorb“, mit ein, zwei Dutzend mehr oder weniger dringlichen Aufgaben. Diese sollen die Kandidaten unter Stressbedingungen bearbeiten. Das heißt, mal wird eine Info nachgereicht, mal ruft ein Kunde an, mal kommt ein Meeting dazwischen.
Diese Übung, mit der die Unternehmen die Entscheidungsfreude und Selbstorganisation der Kandidaten testen wollten, spielt in den AC heute „eine deutlich geringere Rolle als früher“, erklärt AC-Experte Müller. Die modernen AC seien „dynamischer“; zudem branchenspezifischer und stärker auf das Unternehmen bezogen.
AC bilden betriebliche Prozesse ab
Wie AC heute häufig ablaufen, schildert Hans-Peter Machwürth. Das gesamte AC steht unter einem Dachthema. Dieses kann lauten: „Unser Geschäftsbereich x stellt sich dem Wettbewerb“. Zu Beginn des AC erhalten alle Kandidaten repräsentative Kennzahlen des (fiktiven) Geschäftsbereichs. In der ersten Übung soll jeder Teilnehmer dessen Schwachstellen ermitteln und seine Erkenntnisse den Beobachtern präsentieren. Danach folgt eine Diskussionsrunde. Die Teilnehmer erörtern gemeinsam: Was hat Priorität? Was gehen wir an? Dann werden Arbeitsgruppen gebildet. Jede erstellt einen Maßnahmenplan. In den nächsten Übungsrunden setzen die Kandidaten die Maßnahmen um. Sie führen zum Beispiel Zielvereinbarungsgespräche mit Mitarbeitern und leiten Projektsitzungen.
In modernen AC wird versucht, betriebliche Prozesse und Herausforderungen realitätsnah abzubilden. Außerdem sind in sie, laut Maike Unger, mehr Rollenspiele integriert. Anhand ihres Verlaufs wollen sich die Beobachter ein Urteil über die soziale und emotionale Intelligenz der Kandidaten bilden. Denn, dass sie fachlich die Voraussetzungen für die vakante Position erfüllen, daran bestehen bei ihnen kaum noch Zweifel. Anders sieht es hinsichtlich der Frage aus: Haben sie das Potenzial, um echte Führungskräfte zu werden? Das soll im AC ermittelt werden.
Stand: Frühjahr 2017