„Frauen dürfen gerne egoistischer sein“
Franziska Köhler ist ein spannendes Role Model aus dem Tech-Bereich, in dem noch viel zu selten Frauen auf C-Level anzutreffen sind. Die Wirtschaftsinformatikerin ist Geschäftsführerin der TÜV SÜD Digital Services und treibt Themenfelder, die von der Digitalisierung des Konzernes mit seinen über 26.000 Mitarbeitenden bis hin zu neuen, komplexen KI-Services für Mitarbeitende und Kunden der technischen Prüforganisation reichen.

Nimm uns doch zu Beginn einmal auf deiner bisherigen beruflichen Reise bis zu deiner aktuellen Aufgabe bei TÜV SÜD mit.
Gerne! Gestartet habe ich mit einem dualen Studium der BWL mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und hierüber bin ich dann als IT-Beraterin und -Strategin eingestiegen. Dabei habe ich unterschiedliche Systeme, Prozesse, Herangehensweisen und Lösungen kennengelernt – und ganz viel „Handwerkszeug“ gelernt (lacht). Lernen und Weiterbildung war mir immer wichtig, so habe ich mein Wissen mit einem Master of International Business & IT und einem Master of Laws in Wirtschaftsrecht ergänzt. Seit knapp 7 Jahren bin ich nun in unterschiedlichen Positionen bei TÜV SÜD tätig, seit 3 Jahren als Geschäftsführerin der TÜV SÜD Digital Services. Mich hat hier die Breite der Aufgaben, die Internationalität und die Komplexität der Themen gereizt.
Erzähle uns doch bitte mehr über diese Vielfalt der Aufgaben, aber auch besonderen Herausforderungen, denen sich diese Einheit stellt.
Wir sind eine eigene Organisationseinheit innerhalb des Unternehmens und fungieren konzernweit als Enabler, um Abläufe und Anwendungen zu digitalisieren. Wir sind außerdem die Ideenwerkstatt für zukünftige digitale Prozesse und Produkte. Dabei haben wir zwei Blickrichtungen: Zum einen, wie wir den Konzern selbst, mit seinen vielen unterschiedlichen Gesellschaften und mit seinen weltweiten Niederlassungen, bezüglich Digitalisierung zukunftsfähig aufstellen können. Zum anderen schauen wir auf die Bedürfnisse unserer Kunden, die mit neuen komplexen (KI-) Produkten kommen und die wir mit teilweise komplett neuen digitalen Dienstleistungen besser bedienen können. Hier bieten wir erste Services zum EU AI Act: beispielsweise Trainings in unserer TÜV SÜD Akademie.
Und wie sieht dabei dein persönlicher Arbeitsalltag aus, an welchen Projekten arbeitest du beispielsweise?
Ich führe von München aus ein Team mit rund 35 Mitarbeitenden. Aktuell arbeiten wir unter anderem an einem eigenen ChatBot, der Informationen und Prozesse vereinfachen soll. Wir haben auch ein Tool entwickelt, das bei Tausenden strukturell gleichen Prüfberichten, Daten aus den dazugehörigen PDF-, Word- und Excel-Dateien zieht und im ersten Schritt automatisiert auswertet. Das entlastet die Qualitätskontrolle enorm, die bis dato vollständig manuell durchgeführt wurde. Mein Arbeitsalltag besteht aus sehr vielen Teams-Calls und Präsenzmeetings, um sich mit den vielen digitalen Projekten und Initiativen abzustimmen. Zudem gehören auch viel Wissenstransfer, Networking und Austausch zu meiner Arbeit, um Anregungen, Möglichkeiten der Digitalisierung und das Thema KI verständlich zu erklären. Ebenfalls eine sehr wichtige Aufgabe ist das Recruiting, da wir ständig neue Digital-Stellen bei uns aufbauen.
Mehr Mitarbeitende bedeutet vermutlich auch, dass ihr euer Themenspektrum sukzessive erweitern werdet. Was ist dabei euer Ansatz?
Ich suche immer nach Themen, die konzernweit skaliert werden können, sprich einen Nutzen für viele der TÜV SÜD Gesellschaften bringen. Hier sind in den vergangenen Jahren einige Projekte umgesetzt worden. Ausgehend vom Bedarf bei TÜV SÜD haben wir die Projekte von der Idee über das erste Pilotprojekt bis zum globalen Ausbau begleitet. So haben wir beispielsweise das eBusiness aufgebaut. In 2017 sind wir mit der Konzeption eines Online-Stores für unsere Dienstleistungen und einer passenden Portalplattform gestartet, jetzt haben wir über 20 Stores live, sowie mehrere Service-Portale für unsere Geschäftsbereiche. Aktuell liegt der Fokus auf KI-Anwendungen. Um erfolgreich mit digitalen Ideen zu sein, ist Geschwindigkeit in der Umsetzung sehr wichtig, daher fangen wir immer mit kleineren Piloten an, um zu zeigen, wie die Lösung funktioniert.
Frauen wie du, die das Digitalbusiness oder die IT im Unternehmen führen, sind eine absolute Rarität. Wie gelingt Frauen Erfolg im Tech-Bereich?
In einem meiner ersten Jobs hatte ich einen Chef, der mir klipp und klar am ersten Arbeitstag gesagt hat: „Sie sind nur ein Versuch: Sie sind die erste Frau hier, unter 30 und ohne Dr.-Titel“. Das waren für ihn drei Kriterien, die gegen Erfolg sprachen. Das hat mich aber nur mehr angespornt. Ich habe seitdem nur in männlich dominierten Bereichen gearbeitet, mich dort gut etabliert und auch immer wohlgefühlt. Für Frauen ist es meist herausfordernd, in stark männlich geprägten Bereichen wahrgenommen zu werden, was auch bedeutet, persönlich mit dem nötigen Selbstbewusstsein für Themen und die eigene Entwicklung einzustehen. Ich möchte hier alle nur ermutigen, dies voranzutreiben. Wir bewegen uns in einer sich ändernden Arbeitsumwelt – und das in vielen Aspekten. Hier tun sich gerade zahlreiche Türen auf und viele Chancen wollen genutzt werden. Die meisten jungen Leute sind exzellent ausgebildet, gerade Frauen dürfen gerne mal ein bisschen „egoistischer“ sein, um sich zu behaupten.
Und wie „lernt“ man diesen Egoismus? Anders gefragt: Gibt es bei euch im Unternehmen Netzwerke oder Programme für Frauen, die unterstützen?
Bei uns gibt es verschiedene Mitarbeitenden-Netzwerke, die entsprechende Aktionen organisieren. Ich persönlich glaube an Diversity im weiteren Sinne: Wenn Teams interkulturell und fachlich sehr breit und doch mit tiefem Fachwissen aufgestellt sind, macht es richtig Spaß und die Themen florieren. Weltoffenheit und Solidarität kann am Arbeitsplatz anfangen. Wichtig finde ich auch die strukturellen Änderungen innerhalb von TÜV SÜD für mehr Diversität, da tut sich sehr viel in allen Bereichen – unter anderem auch in Bewerbungsverfahren, damit in Auswahlverfahren der Einfluss von unbewussten Vorurteilen minimiert und so Chancengleichheit ermöglicht wird.
Wie würdest du die Unternehmenskultur bei TÜV SÜD beschreiben?
Bei TÜV SÜD sind die Mitarbeitenden tatsächlich getrieben von der Idee, für mehr Sicherheit zu sorgen. Daher gibt es ein ausgeprägtes „Finde den Fehler“-Mindset. Wir haben eine sehr sach- und zielorientierte Kultur, in der logische Argumente und fundierte Konzepte zählen. Manchmal ist es trotzdem nicht so leicht, die Teams schnell von neuen digitalen Ideen zu überzeugen. Da würde ich mir mehr Experimentierfreude wünschen, aber das fällt uns bisweilen manchmal noch etwas schwer, wohl weil wir alles ganz genau überlegen und prüfen müssen. (lacht)
Unsere Mitarbeitenden sind von der Idee getrieben, für mehr Sicherheit zu sorgen
– Franziska Köhler
Was macht für dich eine gute und moderne Führungskultur aus?
Moderne Führung heißt für mich, nicht in Hierarchien und Organisationen zu denken, sondern in Themen und agilen, cross-funktionalen Teams, die an einem Ziel arbeiten. Jedes Team hat eigene Ziele, Prozesse und Anforderungen, die eine gute Führungskraft koordinieren sollte. Mir persönlich ist ein bereichernder Austausch mit dem Team und beteiligten Personen sehr wichtig, weil wir uns viel in komplexen und interdisziplinären Projekten bewegen. Die besten Ideen entstehen in Diskussionen: Gemeinsam Ideen erörtern, Zwischenergebnisse kritisch hinterfragen und lösungsorientiert zusammen- arbeiten – das wird immer wichtiger. Dabei führe ich Workshops gerne vor Ort durch. In einem Raum gemeinsam entsteht meist viel mehr Kreativität als rein „online“ – das muss auch ich mit Digital-Mindset zugeben.
Wer an dieser Ideenfindung mitarbeiten möchte: Wen genau sucht der TÜV SÜD in den kommenden Jahren?
Wir suchen kontinuierlich Mitarbeitende – vorrangig aus technischen und digitalen Berufsfeldern. IT- und KI-Fachleute werden bereichsübergreifend gesucht. Aktuell suche ich für mein Team gerade unter anderem Digital Process Consultants und Portfoliomanger:innen und einen Business Analytics Lead. Wir suchen bei TÜV SÜD Menschen, die sich für ein sicheres und lebenswertes Umfeld einsetzen wollen und dabei auch über den Tellerrand schauen, die Verantwortung übernehmen und den bereichernden Austausch im Team und mit unseren Kunden schätzen.
Hast du zum Schluss noch einen persönlichen Karrieretipp für unsere Leserschaft?
Karrieremäßig hilft es, sich Gedanken zu machen, wo man langfristig hin möchte. Sich nicht von guten Job-Angeboten zu permanenten Wechseln verleiten zu lassen, dies ist oft nicht zielführend – drei bis fünf Jahre bei einem Arbeitgeber sollte man mindestens verbleiben, um Themen auch kontinuierlich in der Tiefe begleiten zu können. Neben der Karriereplanung ist es natürlich enorm wichtig, sich ein ausgewogenes Berufs- und Privatleben zu erhalten oder aufzubauen. Freunde, Hobbies, Beziehungen und Familie sind sehr wichtig – besonders in Krisenzeiten wird dies jeder wohl schon einmal gespürt haben. Ich habe mir ein Kindheitshobby beibehalten und gehe regelmäßig reiten, dabei schalte ich richtig ab. Im Zeitalter, wo alles digital stattfindet, ist es enorm wichtig täglich etwas zu machen, wo eben kein Laptop oder Handy involviert ist.
Mehr zu Female Leadership findet ihr hier.

Hier erfährst du mehr zu Diversity bei TÜV SÜD.