Sandra (25): „Ich habe meinen ersten Job angefangen und bin noch in der Einarbeitungsphase. Die Arbeit an sich gefällt mir, allerdings waren die Aufgaben bis jetzt eher langweilig und unterfordernd. Kann es sein, dass ich für den Job überqualifiziert bin, oder werden mir schwerere Aufgaben erstmal einfach nur nicht zugetraut? Was kann ich tun, falls sich nichts ändert? Schließlich möchte ich mich ja weiterentwickeln und nicht auf der Stelle stehenbleiben.“
Machen Sie sich zunächst Ihre Stärken, Talente und Fähigkeiten bewusst.
Eine gute berufliche Orientierung sollte stets damit beginnen, dass sich Menschen mit ihren Stärken befassen und Antworten auf Fragen formulieren wie: Was treibt Sie an? Wofür können Sie sich begeistern? Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie, um konzentriert und mit guten Ergebnissen Ihrer Arbeit nachgehen zu können? Häufig fällt Berufseinsteigern die Berufswahl recht schwer, weil sie in der Schule und / oder im Elternhaus nicht dazu angeleitet werden, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Fragen Sie sich also erst einmal, mit welchen Themen Sie sich immer wieder gern beschäftigen, wobei Sie Zufriedenheit und Freude empfinden und welche Bedürfnisse, Werte und Motive Sie antreiben. Was bedeutet Karriere beziehungsweise Erfolg für Sie? Sind Sie eine idealistische Person oder eher eine Pragmatikerin? Fragen Sie sich auch konkret, ob Sie eher Routineaufgaben mögen oder ein flexibleres Betätigungsfeld brauchen. Arbeiten Sie gern für sich allein oder brauchen Sie ein Team, in das Sie Ihre persönlichen und fachlichen Stärken einbringen können? Fragen Sie zusätzlich gern Ihr persönliches Umfeld. Es ist manchmal erstaunlich, was Menschen, die uns gut kennen, uns auf solche Fragen antworten. Selbst- und Fremdwahrnehmung liegen oft recht weit auseinander, weil Menschen häufig dazu neigen, ihre eigenen Stärken und Talente zu verkennen, nicht wahrzunehmen oder gar abzuwerten.
Enttäuschung kommt von Täuschung.
Warum haben Sie sich für den Job entschieden, den Sie jetzt ausüben? Was genau hat Sie an dem Beruf bzw. an der Tätigkeit gereizt? Ich gehe mal davon aus, dass Sie da nicht einfach so irgendwie reingestolpert sind, sondern dass Sie eine bewusste Wahl getroffen haben. Welche Erwartungen hatten Sie an diese Tätigkeit und worauf stützten sich diese Erwartungen? Möglicherweise waren sie unrealistisch oder von diesem Unternehmen nicht zu erfüllen. Oder die Tätigkeit an sich mag die richtige für Sie sein, aber die Branche bietet nicht das, was Sie sich wünschen und was Ihren Neigungen entspricht. Wenn man zum Beispiel gern kreativ ist, sich aber geregelte Arbeitszeiten und vorhersagbare Aufgaben wünscht, ist die Werbebranche kein geeignetes Betätigungsfeld. Darüber muss man sich im Klaren sein.
Werden Sie konkret.
Wenn Sie sich eingehend mit den oben gestellten Fragen zu Ihren Bedürfnissen, Werten und Stärken befasst haben, sollten die Antworten auf die folgenden Fragen leichtfallen. Was genau gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit? Was ist eher langweilig? Was unterfordert Sie – die Anzahl der Aufgaben oder die Qualität der Aufgaben? Kein Mensch kann etwas mit der Aussage „Der Job ist langweilig“ anfangen. Ein solcher Satz führt unweigerlich zu der Gegenfrage, was genau denn daran langweilig sei. Notieren Sie sich also über einen gewissen Zeitraum Situationen, in denen Sie sich unterfordert fühlten und was dazu geführt hat. Notieren Sie sich ebenso Situationen, in denen Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit waren und beobachten möglichst genau, was diese Zufriedenheit ausgelöst hat. Nach einiger Zeit werden Sie Muster erkennen. Auf diese Erkenntnisse können Sie sich stützen, wenn Sie Ihren Chef in einem Gespräch um mehr Verantwortung und Chancen bitten.
Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der Unternehmenskultur.
Sie fragen sich, ob Ihnen schwere Aufgaben erst einmal nicht zugetraut werden. Welchen Eindruck haben Sie denn generell von dem Unternehmen hinsichtlich der Übertragung von Verantwortung auf die Mitarbeiter? Wie empfinden andere Kollegen ihre jeweiligen Aufgaben? Sind Sie die einzige, die sich unterfordert fühlt oder haben Sie schon gehört, dass es anderen auch so geht? Haben Sie eventuell Vergleichsmöglichkeiten, welche Aufgaben anderen Berufseinsteigern in einem ähnlichen Zeitraum übertragen wurden? Vielleicht gibt es in Ihrem Unternehmen so etwas wie einen inoffiziellen „Einarbeitungsplan“, der vorsieht, dass die Mitarbeiter erst nach X Wochen die Aufgabe Y übertragen bekommen. Denkbar ist aber auch, dass die Vorgesetzten Eigeninitiative erwarten und Sie signalisieren sollen, wenn Sie sich mehr zutrauen.
Als Berufseinsteiger ist man selten von Anfang an überqualifiziert. Es ist aber durchaus möglich, dass Sie sich für einen nicht zu Ihrer Persönlichkeit so recht passenden Beruf oder für die falsche Tätigkeit innerhalb des Berufs entschieden haben. Dann kann es schnell zu Unterforderung oder Überforderung bzw. zu einer generellen Unzufriedenheit kommen. Daher ist es wichtig, dass Sie sich Schritt für Schritt der Frage nähern, was genau Sie eigentlich machen wollen.
Helga Numberger ist selbständig als Karrierecoach mit Sitz in Hamburg. Ihrem Motto „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln möchte, für den ist kein Wind der Richtige“ folgend unterstützt sie ihre Kunden dabei, sich ihrer eigenen Stärken, Bedürfnisse, Werte und Motive bewusst zu werden, um den richtigen Beruf zu finden.
Profilbild: Ariane Gramelspacher
Artikelbild: pexels / bruce mars