Was unser Leben und unseren beruflichen Erfolg beeinflusst
Der Quantenphysiker Florian Aigner findet, dass Menschen zu häufig echte Leistung mit purem Glück verwechseln. Der Zufall regiert unsere Welt. Wer das begreift, kann anders damit umgehen, nicht zu den Überfliegern zu gehören. Ein Gespräch über die Fehleinschätzung, Erfolge und Erfolgreiche kopieren zu müssen.
Welchen Anteil haben Glück und Zufall an unserem Leben?
Glück und Zufall spielen für uns unbestreitbar eine große Rolle. Das erleben wir persönlich jeden Tag – und auch die moderne Physik bestätigt das. Während man früher dachte, dass die Welt im Prinzip völlig vorhersehbar ist, wenn man sie nur genau genug untersucht, wissen wir heute: Ein gewisses Maß an Zufälligkeit wird immer bleiben. Wir werden niemals vorherberechnen können, welche Lottozahlen nächste Woche gezogen werden, oder wo es nächstes Jahr am zwölften September regnen wird.
Trotzdem ist Zufall natürlich nicht alles. Vieles in unserem Leben können wir schon beeinflussen. Wer sich jeden Tag nur faul aufs Sofa legt und darauf hofft, dass das Glück schon irgendwie kommen wird, hat vermutlich keine besonders hohen Erfolgschancen.
Warum haben Menschen Schwierigkeiten, die Bedeutung von Glück und Zufall zu akzeptieren?
Wir Menschen sind von der Evolution darauf ausgelegt, Zusammenhänge zu erkennen – etwa zwischen einem Rascheln im Gebüsch und dem Erscheinen eines Raubtiers, oder zwischen dem Ablauf der Jahreszeiten und dem Wachsen von Früchten. Das Problem dabei ist nur, dass wir meist auch Zusammenhänge zu finden glauben, wo es gar keine gibt. Oft regiert einfach der Zufall, aber wir sind trotzdem davon überzeugt, Regeln gefunden zu haben, die unsere Beobachtungen erklären. Wenn jemand mit einem Regentanz das Wetter verzaubern möchte und dann regnet es tatsächlich, wird er ganz sicher sein, dass das Wetter ihm zu verdanken ist. Dasselbe sehen wir oft auch im Berufsleben: Viele Leute sind sehr erfolgreich, weil sie einfach Glück hatten. Sie sind zufällig auf die richtigen Geschäftspartner gestoßen, waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, haben rein zufällig auf die richtigen Aktien gesetzt. Doch kaum jemand gibt das zu, viele Leute sind ganz sicher, dass ihr Erfolg bloß der eigenen Leistung zu verdanken ist – und da handelt es sich sehr oft um Selbstbetrug.
Manche Menschen sind im Berufsleben erfolgreich, weil sie einfach Glück hatten
Im Profifußball heißt es oft, man müsse ,sein Glück erzwingen’. Die Idee dahinter ist, mit Willenskraft die Gegebenheiten zu verschieben. Kann das gelingen?
Erzwingen kann man das Glück sicher nicht. Natürlich kann die innere Einstellung eine wichtige Rolle spielen. Wer von Anfang an davon überzeugt ist, dass er verlieren wird, der wird wohl keine Chance haben – das gilt beim Fußball genauso wie im Geschäftsleben. Aber Wille, Optimismus und Fleiß alleine reichen nicht. Man braucht immer auch die nötige Portion Glück.
Sie warnen davor, die Ratschläge erfolgreicher Menschen für bare Münze zu nehmen. Warum?
Wer nur denen zuhört, die Erfolg hatten, blendet die Erfolglosen aus – und die sind nicht notwendigerweise schlechter, dümmer oder weniger engagiert. Sie hatten oft einfach nur Pech und hätten vielleicht interessantere Tipps weiterzugeben als die zufällig erfolgreichen Glückskinder. Man muss sich nur in den Ratgeber-Ecken der Buchhandlungen umsehen: Irgendwelche Erfolgsmenschen schreiben da oft unglaublich platte, banale Ratschläge nieder und halten das für grandiose Weisheit. ,Glaube an dich! Denke positiv! Nutze deine Chancen!’ Da wäre es viel spannender, einem ebenso klugen Start-up-Gründer zuzuhören, der nach zwei Jahren in Konkurs gegangen ist, weil er einfach kein Glück hatte. Doch diesen Leuten bietet niemand einen Buchvertrag an.
Aber es ist doch nicht nur Zufall, dass manche Menschen reich werden und andere Leute mit klugen Ideen scheitern?
Natürlich ist Erfolg nicht nur Zufall. Kreativ zu sein, hart zu arbeiten, kluge Ideen zu haben hilft sicher – zumindest im statistischen Durchschnitt. Aber machen wir uns keine Illusionen: Es gibt ziemlich dumme Leute, die durch Glück reich geworden sind, und großartige Leute, die aus purem Zufall gescheitert sind. Das ist einfach Teil des Lebens.
Erfolg ist aber nicht nur Zufall
Wie können wir die Erkenntnisse der Zufallsforschung in Kraft und Zuversicht verwandeln?
Wenn man anerkennt, dass der Zufall für uns eine große Rolle spielt, ist es vielleicht einfacher, sich selbst gewisse Misserfolge zu verzeihen und trotzdem weiterzumachen. Wer nicht der überragende Superstar geworden ist, muss sich nicht ein Leben lang vorwerfen, nicht gut genug gewesen zu sein. Vielleicht hat einfach das nötige Glück gefehlt. Das kann erleichtern.
Der hohe Einfluss von Zufälligkeiten im Leben führt dazu, dass der Eigenanteil an unserer gesellschaftlichen Stellung viel geringer ist, als wir annehmen. Sie stützen damit die Gerechtigkeitstheorie des amerikanischen Philosophen John Rawls. Können Sie kurz schildern, welches die Grundgedanken dabei sind?
Rawls dachte darüber nach, wie man Regeln für eine gerechte Gesellschaft aufstellen könnte und meinte, wir müssten einen ,Schleier des Vergessens’ über unsere eigene Person, über all unsere Eigenschaften werfen. Stellen wir uns vor, wir müssten alle Gesetze neu festlegen, von der Höhe der Sozialhilfe bis zur Millionärssteuer. Und danach würden wir in dieser Gesellschaft leben – allerdings als völlig willkürlich ausgewählte Zufallsperson. Als Frau oder Mann, als armer Schuldner oder reicher Großindustrieller, als Spitzensportler oder Pensionist. Welche Regeln würden wir dann festlegen, wenn wir völlig losgelöst von unseren eigenen Eigenschaften über sie nachdenken würden? Das ist ein interessanter Gedanke. Welche Art von Migrationspolitik würden wir uns wünschen, wenn wir danach ganz zufällig durch Würfeln entscheiden würden, ob wir zu den Flüchtlingen oder zu den Bewohnern des Ziellandes gehören werden?
Technologien machen Bereiche unseres Lebens sicherer. Haben Sie sich einmal mit der Utopie beschäftigt, Glück und Zufall durch Technik vollständig kontrollieren zu können?
Technik kann natürlich gewisse Risiken minimieren, aber den Zufall kann sie niemals ausschalten. Durch mehr Technik kommen schließlich auch immer neue Möglichkeiten dazu, wie der Zufall unser Leben beeinflussen kann. Ich kann heute vielleicht Dinge steuern, die für meine Urgroßeltern noch völlig zufällig waren. Dafür kann ich Probleme bekommen, wenn irgendwo zufällig ein wichtiger Server ausfällt – damit hatten meine Urgroßeltern noch nicht zu kämpfen.
Sie raten, dass Menschen den Zufall als ihren Freund begreifen. Gleichzeitig ängstigt uns, was wir nicht kontrollieren können. Mit welcher Einstellung tritt man den Unwägbarkeiten des Lebens am besten gegenüber?
Entspannt und zuversichtlich. Wir müssen versuchen, aus unseren Chancen das Beste herauszuholen. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass das Ergebnis nicht nur von uns abhängt, sondern auch vom gesamten Rest des Universums. Wir können nicht alles kontrollieren und das ist wohl auch gut so.
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er promovierte über theoretische Quantenphysik und schreibt heute über Wissenschaft und Technik – unter anderem in seiner Kolumne „Wissenschaft und Blödsinn“ in der Futurezone. Oft hinterfragt er auch esoterische Behauptungen, die immer wieder mit echter Wissenschaft verwechselt werden.
Stand: Frühjahr 2017