Es gibt kein anderes Thema, welches Unternehmen aktuell derart beschäftigt wie die digitale Transformation. Die Personalabteilungen bekommen unisono den Auftrag, die Organisation digitaler aufzustellen. Bewerber für alle Jobbereiche werden deshalb auf ihre Digitalkompetenz abgeklopft – das ist Chance und Risiko zugleich.
Die Frage erwischte Markus im Vorstellungsgespräch komplett auf dem falschen Fuß: „Das Gespräch verlief bis zu dem Zeitpunkt gut. Dann wurde ich plötzlich gefragt, woran man erkennen könne, dass ich Digitalkompetenz mitbringe.” Markus war auch deshalb überrascht, weil er sich für das Traineeprogramm eines Handelsunternehmens beworben hatte, das ihn zum Filialleiter ausbilden wollte. „Mitarbeiterführung und Logistik, auf diese Themen sollte ich mich vorbereiten”, erzählt der BWL-Absolvent.
Bei der Frage nach seiner Digitalerfahrung wusste er nicht genau, was von ihm erwartet wurde: „Ich habe ihnen erzählt, dass digital so selbstverständlich in meiner Generation ist und dass die Nutzung von Apps mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Mehr fiel mir in dem Moment echt nicht ein.” Am Ende hat Markus kein Jobangebot bekommen von dem Discounter. Es wurde in der Absage zwar nicht explizit erwähnt, aber für ihn kippte das Gespräch an dem Punkt, an dem seine Digitalkompetenzen abgefragt wurden. „Da hat man von mir mehr erwartet, dabei habe ich mich da ja nicht als Programmierer beworben”, denkt er noch heute mit Unverständnis an das Gespräch zurück. Wie Markus geht es vielen Kandidaten, die sich heute auf Bewerbungen und Interviews vorbereiten: Man konzentriert sich sehr auf den Bereich, für den man sich bewirbt, setzt sich aber ansonsten (digitale) Scheuklappen auf.
Warum ist Unternehmen überhaupt wichtig, dass sogar Kandidaten Digitalkompetenz mitbringen, die – zumindest auf den ersten Blick – gar keine Berührungspunkte zu den Digitalabteilungen hat?
Zunächst einmal ist es hilfreich, sich die Situation der Arbeitgeber zu vergegenwärtigen. Deren Personalabteilungen stehen vor einer Herkulesaufgabe: Sie müssen den digitalen Change im Unternehmen hinbekommen. Dazu gehört, sich manchmal auch von Mitarbeitern zu trennen, die im Laufe der Zeit die Flexibilität verloren haben, sich gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen im Beruf anzupassen. Wenn diese Mitarbeiter von jungen Hochschulabsolventen ersetzt werden, erwartet man von diesen, dass sie sich deutlich leichter damit tun, Veränderungen mitzutragen. Denn Unternehmen wissen oft heute noch gar nicht, wie ihre Arbeitsplätze von morgen aussehen: Möglicherweise werden auch Bereiche, in denen man es derzeit noch nicht für wahrscheinlich hält, digitalisiert. Deshalb bemüht man sich darum, Mitarbeiter zu finden, die bereit zum lebenslangen Lernen sind.
Und es gibt einen zweiten Grund, warum Arbeitgebern die Digitalkompetenz von Berufseinsteigern so wichtig ist. Es kehren sich nämlich klassische Hierarchieebenen um: Waren es früher die Vorgesetzten, die Kraft ihrer Erfahrung die Berufseinsteiger ausbilden konnten, erhofft man sich heute von den jungen, neuen Mitarbeitern, dass sie Kompetenzen und Wissen um neue Technologien in die Firmen hineintragen. Sie werden so in manchen Bereichen zu den Ausbildern ihrer Vorgesetzten, denen das Verständnis von digitaler Nutzung fehlt.
Ob diese Erwartungen klug und gerechtfertigt sind, mag man anzweifeln. Fakt ist, dass für viele Arbeitgeber die Digitalkompetenz ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Kandidaten darstellt.
Ist man nicht gerade ein passionierter Programmierer oder betreibt seit Jahren erfolgreich einen E-Commerce-Shop, kann die Frage nach der Digitalkompetenz einen Kandidaten gerade im Vorstellungsgespräch ins Schleudern bringen. Antworten wie „habe recht viele Freunde auf Facebook” oder „Musik kann man jetzt streamen” sind dabei nicht die Antworten, mit denen man wirklich punktet.
Zur Vorbereitung auf ein Interview empfiehlt es sich deshalb, sich konkret damit zu beschäftigen, an welchen Punkten die Digitalisierung den potenziellen Arbeitgeber besonders betrifft: An welcher Flanke könnte er angegriffen werden und wo liegen neue Marktpotenziale für ihn? Denn bevor man nach den eigenen Kompetenzen gefragt wird, ist es besser, selbst offensiv Digitalthemen anzuschneiden. Besonders smart funktioniert dies über Fragen, wobei sich ein Komplex besonders anbietet. Ein wunder Punkt bei fast jedem Unternehmen liegt in der Strukturierung und Nutzbarkeit gewonnener Daten. Eine Frage, die bei fast jeder Firma funktioniert könnte lauten: „Ich habe mir überlegt, dass Sie im Umgang mit ihren Kunden ja viele wertvolle Daten sammeln müssten. Und dann habe ich mich gefragt, wie sie diese nutzbar machen für eine noch bessere Kundenerfahrung. Also konkret: Über Ihre interne Datenanalyse müsste man ja erkennen können, dass Ihre Kunden … (individuell anpassen; bspw. „zu bestimmten Zeiten besonders empfänglich für Ihre Angebote sind”) Wie weit sind bei diesem Thema denn?”
Mit einer solchen, pro-aktiven Frage zeigt man, dass man digital tickt. Man setzt einen Ankerpunkt beim Interviewer, der durch die Frage sogar möglicherweise selbst etwas in die Defensive geraten könnte. Ein im Übermut eingestreuter Satz wie „Auch wenn es in meinem Studium natürlich nicht gefordert war, hat mich alles rund um Predictive Analytics immer interessiert” sollte natürlich immer mit zumindest rudimentären Kenntnissen des Themas unterfüttert sein.
Weil man den Zeitpunkt für die geschilderte Offensivstrategie über eigene Fragen auch verpassen kann, sollte man sich in jedem Fall etwas zurecht legen für den Fall, dass man vom Interviewer nach seiner Digitalkompetenz gefragt wird. Einem Freund bei einem kleinen Online-Shop geholfen zu haben oder Verantwortlicher für das Online-Marketing für eine studentische Gruppe gewesen zu sein, zeigt dem Recruiter, dass man vertraut ist mit den Basics des Digital Business.
Eine andere Möglichkeit, auf die Frage nach den Digitalkompetenzen zu antworten ist, den Fokus auf die generelle digitale Transformation zu lenken. Denn diese ist in erster Linie ein Veränderungsprozess, in welchem Menschen mitgenommen werden müssen: „Wichtiger als Spezialwissen in sich schnell verändernden Technologien ist doch die Fähigkeit zur Kommunikation, Empathie und Experimentierfreude”. Durch diesen Schwenk bewegt man sich vom dünnen Eis wieder auf sicheres Terrain. Auch der Verweis auf die überall postulierte Kundenzentrierung in Unternehmen bringt einen weg von technischen Erörterungen: „Bei allen Möglichkeiten, die Marketing Automation leisten kann: Der Kunde darf sich nie automatisiert abgespeist fühlen!”
Ein wichtiger Punkt für Personalverantwortliche ist, bei einem Kandidaten Lernagilität zu erkennen. Deswegen ist es immer clever, diese Metakompetenz direkt zu zeigen. Dazu bietet es sich an, auf den Websites der führenden Unternehmensberatungen (die Interessierte übersichtlich auf juniorconsultant.net finden) aktuelle Studien zu Digitalisierungstrends zu recherchieren, die einen für ein Thema präparieren: „Mich hat kürzlich sehr interessiert, mehr über die Digitalisierung in der Medizin zu lernen. Ich habe dann recherchiert, wie die großen Strategieberatungen da die Zukunft sehen und bin dadurch zu ganz neuen Erkenntnissen gekommen…”
Du siehst, es gibt verschiedene Möglichkeiten, dich auf Fragen zu deiner Digitalkompetenz vorzubereiten. Dies kostet nicht viel Zeit, macht dich aber deutlich interessanter, als wenn du bei dem Thema eher unbedarft herum stammelst.