In unserer Rubrik der Berufseinsteigerfrage schrieb uns Ramon N. (25), der nach seinem BWL-Master bei einer Beratung einstieg: „Welches sind die größten Veränderungen in meinem Zeitmanagement, die nun auf mich zukommen werden und welche Tipps haben Sie, wie ich mich am besten darauf vorbereite? Leider bin ich immer jemand gewesen, der es im Studium bis auf den letzten Drücker hat schleifen lassen, deswegen habe ich Sorge, dass ich mit meinem etwas stümperhaften Zeitmanagement gleich blamiere.“
Nicht nur in der Studienzeit, sondern auch später im Beruf neigen wir meistens dazu, die Zeit zu unterschätzen, die wir für einzelne Aufgaben brauchen und stopfen deshalb unseren Tag viel zu voll. Wir gehen davon aus, dass wir mit allem, was wir vorhaben, viel schneller fertig werden, als das real möglich ist. So starten wir schon morgens mit einer Fehleinschätzung und sind abends frustriert, weil wir nur die Hälfte geschafft haben. Während des Studiums lässt sich dies mit einer Nachtschicht einfach ausgleichen. Am Wochenende ausschlafen und frisch erholt geht’s in die nächste Woche.
Doch im Berufsleben ist dies nicht mehr so einfach. Wenn auf 8 Uhr das Kickoff Meeting des neuen Projekts angesetzt ist, anschließend das Teammeeting stattfindet und dies abgekürzt werden muss, weil bereits der erste Kundentermin ansteht, ist schnell zu bemerken, dass ein gutes Zeitmanagement Stress vorbeugen kann. Mit Enthusiasmus gehen wir die Aufgaben im neuen Job an, möchten alles schaffen und sind guten Mutes. Doch in der Regel gestalten wir den Tag ja nicht alleine. Es gibt viele Unterbrechungen und unvorhergesehene Hindernisse. Wir landen im Stau, obwohl wir extra früh losgefahren sind, und bekommen mehr Anrufe als erwartet. Die Kollegen stehen am Tisch und haben Fragen, weil ein dringendes Problem sofort gelöst werden muss. All das kommt noch obendrauf. Häufig planen wir nur die Nettozeit der Aufgaben und gehen davon aus, wie lange wir alleine dafür brauchen.
Die Einflussfaktoren von außen, die unser Tempo drosseln, berücksichtigen wir häufig nicht. Deshalb gibt es im klassischen Zeitmanagement die Empfehlung, höchstens 60 Prozent der Zeit zu verplanen und 40 Prozent Spielraum zu lassen. Wenn wir unseren Tag planen, sollten wir alle Einflussfaktoren wie Vorgesetzte, Kollegen, Kunden und Familie mit berechnen und ihnen auch einen gewissen Zeitpuffer einräumen. Wie groß der Puffer sein sollte, hängt vom Arbeitsumfeld ab.
Mein Zeitmanagement-Modell basiert auf dem Persönlichkeitsmodell Mind Codex® und berücksichtigt Persönlichkeit, genetische Veranlagung und Hirnstruktur.
Demnach hat der Gesellige eine hohe Aktivität im Hirnstamm, ist eher vergangenheitsorientiert, liebt das Gewohnte und braucht Muße. Der Macher hat eine hohe Aktivität im Zwischenhirn. Er ist spontan, immer im Hier und Jetzt, sein Zeittakt ist rasant. Der Analytiker bewegt sich eher im Großhirn. Er braucht Informationen, Logik, Fakten und will in Ruhe die Zukunft planen.
Wenn man nicht so tief in die Neurowissenschaft eintauchen möchte, kann man es sich so vorstellen: Jeder kommt mit einem anderen Temperament und Energielevel auf die Welt. Macher sind impulsiv und energiegeladen, Gesellige handeln eher aus der Ruhe heraus und schauen auch darauf, wie es den anderen geht, das wiederum interessiert Analytiker eher weniger. In der Neuropsychologie gehen wir davon aus, dass unsere Persönlichkeit zu 60 Prozent festgelegt ist. Es ist also wenig erfolgsversprechend, sich beim Zeitmanagement zu verbiegen und am eigenen Temperament vorbei zu planen.
Wir haben natürlich immer alle drei Komponenten in uns, weil wir auf alle Anteile unseres Gehirns zugreifen können. Meistens ist jedoch ein Typ dominant und wir haben die anderen nicht so stark im Blick. Wenn ein Macher mit hohem Temperament, der sehr initiativ ist, fünf Tage die Woche an Excel-Tabellen sitzt, die er auswerten soll, ist das für ihn eine Strafe, während es für einen Analytiker ein ganz normaler, wunderbarer Alltag ist. Der Macher ist durch seinen Zeitbezug im Hier und Jetzt ein unglaubliches Improvisationstalent. Er erkennt schnell was machbar ist, kann in scheinbar hoffnungslosen Situationen immer noch eine Lösung finden und hat auch Mut und Kraft zur Umsetzung. Das liegt in seinem Talent verankert.
Wir sprechen hier nicht von einer beständigen und allgegenwärtigen Kraft. Auch der Macher kann in Stresssituationen geraten, die er selbst nicht mehr lösen kann. Jedoch im Verhältnis aller drei Typen ist meist er derjenige, der die Nerven behält. In solchen Momenten läuft er zu Höchstleistungen auf und demonstriert eindrucksvoll, was er tatsächlich draufhat. Diese Stärke zeigt sich gleichermaßen auch als Schwäche. Denn sie birgt die Gefahr, sich zu verzetteln und Aufgaben nicht zu Ende zu bringen. Da der Macher es gewohnt ist zu improvisieren, hat er eine große Abneigung davor, die Dinge vorausschauend zu planen – was ihn wiederum häufig in zeitliche Schwierigkeiten bringt.
Die Spontanität des Machers fehlt dem Analytiker, der über eine angeborene Strukturierungsbegabung verfügt. Beim Aufräumen oder am organisierten Arbeitsplatz kann sich so mancher eine Scheibe von ihm abschneiden. Darüber hinaus zeigt er seine große Stärke in der Reflexion von Arbeitsprozessen und Abläufen. Stets denkt er darüber nach, wie sich Strukturen effizienter gestalten lassen, würde man sie entsprechend optimieren. Aber auch hier gerät der Vorteil gerne zum Nachteil: Da der Analytiker so gerne strukturiert, neigt er dazu sich im Detail zu verstricken und sich zu lange mit der Planung aufzuhalten. Die eigentliche Umsetzung beginnt zu spät, eben aus der Angst heraus, ein Problem oder Hindernis übersehen zu haben, das ihm auf dem Weg zum Ziel begegnen könnte. Damit steht sich der Analytiker manchmal selbst im Weg.
Die Stärke des Geselligen wiederum liegt darin, geduldig an bereits erfolgreichen Prozessabläufen festzuhalten und damit beispielsweise die traditionelle Herstellung von Gütern zu gewährleisten. Er wägt sinnvoll in Bezug auf die gemachten Erfahrungen ab: Waren sie gut? Waren die gegangenen Schritte hilfreich? Wo gab es Hindernisse? Er hält Werte aufrecht und bindet beispielsweise Mitarbeiter lange und erfolgreich an ein Familienunternehmen. Dies birgt gleichzeitig die Gefahr, dass er nicht bereit ist, sich auf Innovationen einzulassen, um marktbedingte, notwendige Veränderungsprozesse umzusetzen.
Wenn der Gesellige vor Neuerungen steht, etwa ein Change Management Prozess in seiner Firma eingeleitet werden soll, versetzt ihn das in Stress und er fühlt sich blockiert. Da er in einer solchen Situation nicht auf Erfahrungen zurückgreifen kann, versucht er, auf ein weiteres Potenzial auszuweichen: Er verfügt über ein beachtliches persönliches Netzwerk mit Menschen, die im Hinblick auf diesen oder ähnliche Prozesse Erfahrungen gesammelt haben. Ist es also nicht die Situation selbst, auf die er zurückgreifen kann, dann sind es die guten Freunde, netten Kollegen und deren Erfahrungen. Wenn all das nicht möglich ist, fällt es dem Geselligen sehr schwer, die nächsten Schritte anzugehen.
Nach dem Mind Codex haben alle drei Zeitpersönlichkeiten ihre Vorzüge und ihre Herausforderungen. Sie sind gleich erfolgreich, vorausgesetzt, sie berücksichtigen ihren eigenen Zeittakt und leben und arbeiten danach. Der Schlüssel zum Erfolg ist Authentizität. Dann werden wir von anderen als starke, ausgeglichene Persönlichkeit wahrgenommen. In unserem Beratungsunternehmen achten wir auch auf unseren individuellen Zeittakt. Das erleichtert die Arbeit ungemein und macht zufrieden.
Dr. Eva Brandt ist Unternehmensberaterin, Trainerin, Business Coach, Entwicklerin des Mind Codex® Persönlichkeitsmodells, Autorin zweier Bücher, TV-Expertin für Potenzialanalysen und Lehrbeauftragte der Gutenberg-Universität Mainz. Als Expertin für Menschenkenntnis und Potenzialanalysen trainiert und coacht sie seit 20 Jahren Führungskräfte und Manager in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Daneben berät sie Unternehmen in Fragen Potenzialentwicklung und Organisationsmanagement. Zum Weiterlesen: „Zeitmanagement im Takt der Persönlichkeit“ Beltz Verlag 2017
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