Die Bereiche Finance und Logistik eint, dass die Digitalisierung ihre globale Verfügbarkeit und Präsenz deutlich beschleunigt hat: Sowohl Finanz- als auch Warentransaktionen stehen unter einem permanenten Innovationsdruck, wie FinTechs und 10-Minute-Delivery aktuell zeigen. Wir sprachen mit zwei Experten darüber, welche veränderten Anforderungsprofile daraus resultieren.
Für Professor Lars Hornuf vom BWL-Lehrstuhl für Finanztechnologie der Uni Bremen ist die Zuschreibung der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen als ein gänzlich neues Phänomen nicht richtig, da die Ausgaben der Finanzindustrie für IT-Dienste traditionell immer hoch gewesen seien. Trotzdem sieht er Erneuerungsbedarf, „den Banken, FinTech-Startups, und Technologiekonzerne in den letzten Jahren bereits angegangen sind. Dabei wurden vor allem viele Front-End Anwendungen für die Kunden verbessert. Die Digitalisierung ermöglicht es Start-ups heute, gewinnbringende Teile des Finanzgeschäfts zu extrahieren, die bisher von Banken nur unzureichend bedient wurden.“
Für Studierende stellt sich die Frage, wie man schon während des Studiums sicherstellt, sich genügend digitale Skills für den erfolgreichen Berufseinstieg im Finance zu erarbeiten. Die kurze Halbwertszeit und Schnelllebigkeit der digitalen Welt lässt Lösungen von heute morgen oft schon sehr hausbacken wirken. Hornuf merkt dazu an, dass potentielle Arbeitgeber nicht immer Vorreiter in der digitalen Welt seien und deswegen im ersten Kontakt mit einem potentiellen Arbeitgeber eigene Lösungsansätze oft nicht gefordert sind: „Häufig macht die eigene Überzeugung, etwas verändern zu wollen, schon einen sehr guten Eindruck, auch wenn man noch nicht genau weiß, wie es gehen soll. Was weiterhin wichtig bleibt, ist, auch einmal Plausibilitätschecks vorzunehmen und die eigenen Meinungen in Frage zu stellen. Ist es trotz Kreislaufwirtschaft möglich, den Rohstoffbedarf der Welt beim gegebenen Konsumverhalten zu decken? Wie umweltfreundlich sind digitale Dienstleistungen? Es geht häufig nicht darum, die Antworten zu kennen, sondern die richtigen Fragen zu stellen.“
Wer eine Karriere im Finance anstrebt, sollte sich im Studium neben technologischen Entwicklungen auch mit den Grenzen von Geschäftsmodellen beschäftigen, denn reine Effizienzsteigerungen sind alleine nicht ausreichend, einen wirklich wertvollen Nutzen zu stiften. Professor Hornuf formuliert es so: „In der mittleren Zukunft wird es immer mehr darum gehen, auch moralische Fragen abzuwägen und Menschen zu Veränderungen zu motivieren. Das haben vor allem auch Studierende der Geisteswissenschaften gelernt. Wirtschaftliche Optimierungsprobleme wird es weiterhin geben, nur wird sich zunehmend die Frage stellen, welche Probleme überhaupt gelöst werden sollen und müssen. Nicht jeder Datensatz und jedes Problem kann mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz gelöst werden, schon allein weil der Energieaufwand enorm wäre.“
Das Thema Energie- und Ressourcenaufwand ist auch zentrales Thema in der Logistik, deren Vernetzung durch die Digitalisierung einen enormen Schub erhalten hat, wie Professor Michael Sommer vom Lehrstuhl für Logistik und E-Commerce an der Hochschule Koblenz erläutert: „Eigentlich in allen Bereichen der Logistik hat die Digitalisierung ihren Einsatz gefunden, auch wenn die Umsetzung sehr unterschiedlich gestaltet ist. In der Organisation von Lieferketten, dem sogenannten Supply Chain Management, ist die Datenübertragung in beide Richtungen unumgänglich, um etwa Just-in-Time-Fertigung zu realisieren und automatisch datentechnisch zu unterstützen. Aber auch in der Produktion ist die Digitalisierung für die robotergestützte Fertigung unentbehrlich. Im Bereich des E-Business und der zugehörigen Logistik ist Digitalisierung eine Grundlage; Same-Day-Delivery oder 2-Stunden-Lieferungen von Lebensmitteln in den Haushalt sind ohne Einsatz von IT-Lösungen kaum realisierbar.“
Sehr spannend sind seine Einblicke in Entwicklungen und Trends im Warenverkehr, welche durch noch junge Technologien wie den 3D-Druck neue Perspektiven erhalten: „In der Produktion wurde die Just-in-Time verstärkt eingesetzt, sofern die Lieferstrecken nicht durch andere Phänomene wie Klimaveränderungen oder im Moment durch Hafensperrungen aufgrund von Covid-19 behindert werden. Die umfangreiche Lagerung von Teilen für die Produktion oder von Ersatzteilen kann dadurch stark reduziert werden, da durch neue Verfahren wie Roboterfertigung dieser Teile oder 3D-Druck schnelle Reaktionen erfolgen können.“ Wenn der Bereich Supply Chain, einst Domäne wirtschaftswissenschaftlicher Manager, immer digitaler wird, stellt sich die Frage, ob man mit cleveren Bordmitteln wertvolles Wissen aufbauen kann, das über die im Studium vermittelten Grundlagen hinausgeht. Sommer hat einen pragmatischen Tipp: „Für aktuelle Themen sind Internetseiten von bekannten IT-Publikationen wie der c’t oder Chip zu nennen, auch gibt es wöchentliche Newsletter wie beispielsweise des BVL (Bundesverband der Logistik), ECM (E-Commerce-Magazin) oder im Sicherheitsbereich bsi.de (Bundesagentur für Sicherheit in der Informationstechnik).
Unabhängig von der Schnelllebigkeit ist die Beherrschung von Projektmanagement, Vorgehensmodellen in der Systementwicklung wie der objektorientierten Systemgestaltung und Programmierung sowie Modellen wie SCRUM oder Kanban sinnvoll.“
Eins scheint klar zu sein: In der optimalen Vernetzung der Lieferketten herrscht ein großer Bedarf an operativem IT-Know-how, denn jeder Logistiker muss permanent an seinen Systemen feilen. Themen wie Cyber Security gehören genauso dazu wie das Software Engineering. Professor Michael Sommer formuliert es so: „Es werden vor allem IT-Fachleute vermehrt in der Logistik Einsatz finden. Es wird vor allem in Systemhäusern, die Software für die Unterstützung der Logistik etwa in Supply Chains entwickeln oder anbieten, entsprechende Angebote geben.“
Fazit: Sowohl im Finance als auch in der Logistik werden aufgrund neuer Geschäftsfelder viele Karrierechancen entstehen. Neben dem Fachwissen sind praktische Digital-Kenntnisse wichtig, aber auch ein Hineinversetzen in die Fragestellungen des avisierten Arbeitgebers, wie dieser sich die Digitalisierung für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung zu Nutze machen kann.
Prof. Dr. Lars Hornuf promovierte 2011 an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und lehrte danach als Gastdozent an verschiedenen Universitäten weltweit. Seit 2017 leitet er den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzdienstleistungen und Finanztechnologie, an der Universität Bremen.
Nach dem Studium der Informatik an der RWTH Aachen und einer dreijährigen Anstellung in einem Entsorgungsunternehmen war Prof. Dr. Michael Sommer bis 1999 im Bereich EDV-Anwendungen in der Logistik und Kreislaufwirtschaft am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund tätig, während dieser Zeit promovierte er zum Dr. Ing. (Maschinenbau). Anschließend arbeitete 3 Jahre lang als Projektleiter bei der Deutschen Post Euroexpress und ist seit 2002 Professor für Angewandte Informatik am RheinAhrCampus Remagen (Hochschule Koblenz) und Studiengangsleiter Logistik und E-Business.