Die wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland lässt den Krieg in der Ukraine bei vielen in den Hintergrund treten. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Krisenreporter aus unübersichtlichen und gefährlichen Gebieten berichten. Was ihn dazu motiviert und wie er arbeitet, erklärt SPIEGEL-Journalist Thore Schröder im Interview.
Der Beginn der russischen Invasion ist über ein halbes Jahr her. Sie haben seit Kriegsbeginn vier Monate in der Ukraine verbracht. Was gibt den Menschen dort Durchhaltevermögen?
Zunächst mal der überraschende militärische Erfolg. Der Tatbestand, dass sich die Ukraine dem Überfall erfolgreich zur Wehr setzen konnte, das war ja am Anfang nicht zu erwarten. Die Ukrainer haben die Eroberung von Charkiw und Kiew verhindert und die Freiheit in zumindest großen Teilen des Landes fürs Erste gesichert. Die internationale Unterstützung ist letztlich doch groß. Aber man muss sich auch fragen: Was wäre, wenn die Armee der russischen Föderation die Ukraine ganz einnehmen würde? Das wäre — insbesondere nach den von russischen Soldaten bisher verübten Grausamkeiten – für die meisten Menschen dort unvorstellbar.
Am 24. August, dem Nationalfeiertag der Ukraine und Halbjahrestag des Kriegsbeginns, haben Sie für den SPIEGEL einen persönlichen Text verfasst, in dem es um den Mut und das Leid der Ukrainer und Ihr Mitgefühl geht. Was hat Sie dazu veranlasst?
Das war bewusst einmal so, dass ich meine Emotionen gezeigt habe. Das erste und einzige Mal in vier Monaten Berichterstattung. Sonst versuche ich stets, sachlich zu formulieren. Hier wollte ich aber einmal mein Unverständnis für die mangelnde Hilfsbereitschaft der deutschen Politik zum Ausdruck bringen. Denn die Ukrainer kämpfen ja auch für unsere Sicherheit und Freiheit.
Könnten Sie sich vorstellen, dass es zu dem Schreckensszenario kommen könnte, dass die ganze Ukraine eingenommen wird und es zu einem Partisanenkrieg kommt?
Das glaube weder ich noch glauben das die meisten anderen Beobachter, dafür ist die ukrainische Armee zu stark und die russische zu schwach. Einen Partisanenkampf gibt es in den von den sogenannten Separatistengebieten schon seit 2014. In den zu Anfang des Krieges besetzten Gebieten von Cherson und Saporischschja haben sich auch Widerstandsgruppen gebildet, die Infrastruktur und Kollaborateure attackieren, aber vor allem auch die Positionen russischer Lager und Waffendepots weitergeben. Diese können dann von der ukrainischen Armee gezielt attackiert werden.
Sie berichten teilweise direkt von der Front und sind damit auch einer persönlichen Gefährdung ausgesetzt. Wie lange wollen Sie das noch tun?
Solange der Krieg andauert, und das kann noch eine ganze Weile sein, möchte ich aus der Ukraine berichten. Ich habe mir schließlich dort inzwischen eine gewisse Expertise erarbeitet und ein Netzwerk aufgebaut. Außerdem ist der Krieg in der Ukraine extrem relevant und wird es bleiben. Jetzt richtet sich das Interesse der Deutschen zwar wieder mehr auf Inflation und hohe Energiepreise, aber man muss das immer wieder ins Verhältnis setzen zu dem, was die Ukrainer erleiden. Langfristig möchte ich aber auch wieder in den Nahen Osten, eigentlich mein Spezialgebiet.
Sie waren zuvor Nahost-Korrespondent unter anderem bei der Süddeutschen Zeitung. Wie sind Sie in der Region gelandet?
Für mich gab es kein geradliniges Hinarbeiten darauf, Krisenreporter zu werden. Bis 2014 war ich bei einer Lokalzeitung in Berlin. Dann bin ich nach Israel gegangen, um noch mal zu studieren und habe dann insgesamt drei Jahre dort verbracht. Um mich auf eine Nahost-Korrespondenz vorzubereiten, habe ich auch Arabisch gelernt und anschließend in Jordanien und im Libanon gelebt.
Als es am 24. August 2020 zu der Explosion im Hafen von Beirut kam, war das die Initialzündung als Krisenreporter. In dieser Nacht und den darauffolgenden Tagen habe ich festgestellt, dass ich in solchen Lagen sehr gut funktioniere, mich die Aufregung eher konzentrierter macht und auch, dass ich es wertvoll finde, aus solchen Situationen zu berichten. Danach habe ich nach Konflikten regelrecht gesucht. Im Herbst 2020 habe ich über den Krieg in Bergkarabach berichtet. Im vergangenen Jahr war ich etliche Wochen in Afghanistan. Im Anschluss habe ich die Korrespondenz bei der Süddeutschen Zeitung übernommen und bin dann, fast mit Beginn des Ukrainekrieges, Krisenreporter beim SPIEGEL geworden.
Wie versuchen Sie, bei solchen Einsätzen unnötigen Gefährdungen vorzubeugen?
Durch Recherche. Man muss möglichst viel lesen und auch viel mit Kollegen sprechen. Dazu immer wieder mit Menschen vor Ort, zum Beispiel mit Soldaten an Checkpoints. Zusätzlich treffe ich Absprachen mit Kollegen, wo konkret ich mich aufhalten und wann ich mich melden werde. Ich habe außerdem immer ein Satellitentelefon dabei. Trotzdem kann ich nicht ausschließen, überraschend in eine haarige Situation zu kommen. Wesentlich ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Abgesehen von der Angst um das eigene Leben haben Sie bestimmt einige emotional fordernde Situationen erlebt. Was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich erinnere mich an einen goldenen Herbsttag 2020 in der armenischen Hauptstadt Jerewan. Ich stand auf einem Friedhof zwischen lauter frisch geschaufelten Gräber, in denen durchweg sehr jung gefallene armenische Soldaten lagen. Mütter, Schwestern und Ehefrauen weinten um diese Jungen, einige schrieen regelrecht vor Schmerz. Das war ein überwältigender, tieftrauriger Moment.
Läuft man durch solche Erlebnisse nicht Gefahr, in der Berichterstattung parteiisch zu werden?
Man muss sich bewusst sein, dass man rein physisch auf einer Seite steht in so einem Konflikt. Im Falle des Karabach-Kriegs war das für mich die Seite der Armenier, über deren Gefallene wir berichteten. Da muss man sich dann sprachlich zurücknehmen, um nicht das, was man vielleicht als Propaganda präsentiert bekommt, zu übernehmen. Das gilt im Übrigen natürlich auch für die Ukraine. Auch wenn Russland hier eindeutig der Aggressor ist, bedeutet das nicht, dass man alles, was die Ukrainer sagen, für bare Münze nehmen und alles gutheißen muss.
Krisenreporter ist kein Job für jedermann. Welche Tipps können Sie jungen Menschen geben, die sich dafür interessieren?
Wichtig sind Affinität zum Reisen und Abenteuerlust. Entscheidend ist auch das Beherrschen des journalistischen Handwerks, nicht nur Schreiben, sondern auch Sprechen vor Mikrofon etwa. Fremdsprachen können auch wichtig sein, früher vor allem Arabisch, heute eher Ukrainisch oder Russisch. Insgesamt gibt es in Deutschland viel zu wenig Krisenreporter, etwa im Vergleich zu England oder Frankreich. Dabei ist es ein so wichtiger Job. Deshalb sage ich allen interessierten jungen Menschen: nur Mut, der Einsatz lohnt sich!
Alle Beiträge von Thore Schröder beim Spiegel findest du unter diesem Link.
Über Thore Schröder
- Journalistische Ausbildung an der Axel Springer Akademie in Berlin.
- Reporter bei der BZ / BZ am Sonntag.
- Stipendien-Aufenthalt der Internationalen Journalisten-Programme bei Haaretz in Tel Aviv.
- 2015/16 Master-Studium Middle Eastern Studies in Jerusalem. Anschließend freier Journalist / Autor im Nahen Osten mit den Stationen Amman, Tel Aviv und Beirut, u.a. für Zenith, Die Welt, die Funke-Mediengruppe, den Stern, Geo, Arte und den SPIEGEL.
- Berichterstattung über die Explosion im Hafen von Beirut, den Krieg in Bergkarabach, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan.
- Von November 2021 bis März 2022 Nahost-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung.
- Seit April 2022 Reporter Krisengebiete im Auslandsressort des SPIEGEL.