Professor Dr. Dietmar Fink und Bianka Knoblach wissen dank ihrer seit Jahren regelmäßig durchgeführten Studie „Deutschlands beste Wirtschaftsprüfer” nicht nur um die Leistungsfähigkeit einzelner WP Gesellschaften, sondern auch um die Trends der Branche. Diese haben für Absolvent:innen sehr spannende Implikationen.
Regulatoren fordern, wegen der Interessenskonflikte die Trennung von Prüfung und Beratung auch eigentumsrechtlich zu vollziehen. EY hat zuletzt die Abspaltung des lukrativen Beratungsgeschäfts auf Eis gelegt. Wie ist die Stimmungslage aktuell bei den international operierenden WP-Gesellschaften in Hinblick auf ihre Geschäftsmodelle?
Knoblach: Aktuell herrscht bei den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in dieser Hinsicht eine uneinheitliche Stimmungslage. Die Regulatoren drängen zwar darauf, die Trennung von Prüfung und Beratung auch eigentumsrechtlich zu vollziehen – aufgrund der objektiv kaum von der Hand zu weisenden Interessenskonflikte. Nicht nur bei EY ist man aber wohl zu dem Schluss gekommen, dass es sich durchaus lohnen kann, den Konflikt mit den Regulatoren auszufechten. Die Synergien zwischen Prüfung, Steuer- und Rechtsberatung, betriebswirtschaftlicher Beratung und IT-Beratung sind so groß, dass, so hat es den Anschein, kaum eine größere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft freiwillig bereit ist, darauf zu verzichten.
Fink: Nicht nur mit den Regulatoren wird dieser Konflikt ausgetragen. Auch in den globalen Partnerschaften der Big 4 wird zum Teil heftig diskutiert. EY ist das beste Beispiel dafür. Vor allem die für das Steuerberatungsgeschäft verantwortlichen Partner in den USA fürchten um lukrative Aufträge, wenn ihnen engere regulatorische Grenzen gesetzt werden. Sie sind also tendenziell recht offen für eine Aufspaltung. Ganz anders sieht das bei den für das Prüfungsgeschäft verantwortlichen Partnern aus. Die wissen, dass ihnen bei einer Abspaltung der Beratungssparten Kompetenzen verlorengehen, die sie schnell wieder aufbauen müssten – um komplexe Steuermodelle zu prüfen, um globale Lieferketten zu beurteilen, um Nachhaltigkeitsberichte zu testieren und dergleichen.
Außerdem wissen sie natürlich auch darum, dass die Margen in der Beratung deutlich attraktiver sind als in der Prüfung. Da ist das Interesse an einer Aufspaltung verständlicherweise nicht sehr groß. Und die Steuerberater wollen sich schon gar nicht von den Managementberatern lösen. Dazu sind die Synergien viel zu attraktiv, vor allem im Hinblick auf die steuerliche Begleitung von M&A- Transaktionen und das Gestalten steueroptimaler Supply Chains.
Vor fast einem Jahr hat KI für alle sichtbar Einzug in die Arbeitswelt gehalten. Was hören Sie aus den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, welche Veränderungen sich durch KI ergeben?
Knoblach: Digitalisierung und KI werden die Art und Weise, wie in der Wirtschaftsprüfung gearbeitet wird, ganz fraglos maßgeblich verändern. Die Integration von KI und maschinellem Lernen in die Prüfung ermöglicht die Automatisierung wiederkehrender Aufgaben wie Datenanalysen, Risikobewertungen und die Identifikation von Unregelmäßigkeiten. Zudem kann KI dazu beitragen, Muster und Trends in großen Datensätzen zu erkennen.
Das alles steigert die Effizienz, muss aber auch dazu führen, dass sich Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer stärker auf Aufgaben konzentrieren, die menschliches Urteilsvermögen und interpretative Fähigkeiten erfordern. Beides – Urteilsvermögen und die Fähigkeit zur Interpretation – beruht aber natürlich ganz fundamental auf den zugrundeliegenden Fachkenntnissen. Wer die nicht beherrscht, kann sie auch nicht beurteilen und interpretieren. Insofern bleiben die fachlichen Grundlagen weiterhin das A und O der Wirtschaftsprüferausbildung.
Es kommt jedoch noch Anderes hinzu. Wirtschaftsprüfer müssen in Zukunft ihre Kompetenzen erweitern, um die neuen Technologien und Analysetools effektiv nutzen zu können. Sie müssen gewährleisten, dass die eingesetzten Technologien zuverlässig sind, transparent und ethisch vertretbar, um eine adäquate Qualität der Prüfung sicherzustellen. Das bedeutet, dass die Ausbildung in Richtung KI, maschinelles Lernen und Data Science geöffnet werden muss. Da haben viele Hochschulen noch Nachholbedarf.
Dies bedeutet, sich als Studierender stärker selbst um sein KI-Skillset zu bemühen. Um dazu einen Ausblick dazu zu wagen: Welche technologischen Entwicklungen werden zukünftig für Effizienzsteigerungen in der Prüfung sorgen?
Fink: Hier eröffnet sich ein ganzes Potpourri unterschiedlicher Ansatzpunkte. Zunächst wären da die sogenannten RPA-Technologien. RPA steht für Robot Process Automation. Das bedeutet, dass repetitive manuelle Aufgaben, die in der Wirtschaftsprüfung häufig vorkommen, automatisiert werden können. Das reduziert den Arbeitsaufwand, minimiert menschliche Fehler und steigert die Effizienz. Zum zweiten sind die Entwicklungen im Bereich von Data Analytics und Cloud Computing zu nennen. Die Fähigkeit, große Mengen an Daten zu analysieren und daraus wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen, wird in der Prüfung immer wichtiger.
Fortschrittliche Data-Analytics-Tools ermöglichen eine tiefere Prüfung und im Rahmen von Predictive Analytics eine frühzeitigeIdentifikation von Risiken. Cloud-basierte Prüfungswerkzeuge und -plattformen ermöglichen es, von überall aus auf die betreffenden Daten zuzugreifen und in Echtzeit mit dem Mandanten und mit anderen Prüfern zusammenzuarbeiten. Als drittes wäre die Blockchain-Technologie zu nennen. Ihr Einsatz zum Validieren und Verfolgen von Transaktionen kann die Integrität von Finanzdaten erhöhen und das Prüfungsverfahren transparenter gestalten.
Knoblach: Im Kontext der genannten Technologien erscheint mir ein weiterer Aspekt bedenkenswert: Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Cyberangriffe wird zudem die Prüfung der IT-Sicherheit und des Datenschutzes in Unternehmen immer wichtiger. Effiziente Prüfungsverfahren in diesem Bereich und die Kenntnis der entsprechenden Technologien sind von entscheidender Bedeutung.
Nach der kürzlich verabschiedeten EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) müssen etwa 15.000 Unternehmen in Deutschland in den kommenden Jahren einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen und diesen extern prüfen lassen. Wie wird sich dies auf die Wachstumsziele der WP Gesellschaften auswirken und welche Rückschlüsse lassen sich daraus für die Karrieremöglichkeiten der Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen ziehen?
Knoblach: Es ist offenkundig, dass die Einführung der CSRD eine gesteigerte Nachfrage nach Nachhaltigkeitsprüfungen und -berichten auslösen wird. Dies eröffnet WP-Gesellschaften erhebliche Wachstumschancen, da sie ihre Dienstleistungen im Bereich Nachhaltigkeitsprüfung und -berichterstattung erweitern können.
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die sich frühzeitig und strategisch auf Nachhaltigkeitsprüfungen fokussieren und Expertise in diesem Bereich aufbauen, werden einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern haben und potenziell neue Mandanten gewinnen.
Gerade mittelständische WP-Gesellschaften scheinen sich der Tragweite dieser Entwicklung noch nicht immer bewusst zu sein. Viele von Ihnen haben nicht die Expertise im Haus, um ihre Mandanten in diesem Bereich adäquat zu betreuen. Was heißt das aber in der Konsequenz? Wir gehen davon aus, dass nicht wenige Mandanten, die für CSRD Fragen einen neuen Prüfer benötigen, ihren alten Prüfer auch in anderen Bereichen zur Disposition stellen. Schließlich wollen viele Unternehmen eine Rundumversorgung aus einer Hand. Wer da als Wirtschaftsprüfer zu einem Thema nicht punkten kann, gerät ganz schnell auch an anderen Fronten ins Hintertreffen.
Fink: Für Absolventen eröffnet die Einführung der CSRD ganz neue Perspektiven in der Wirtschaftsprüfung.
Es ist zu erwarten, dass nicht nur der generelle Bedarf an betriebswirtschaftlich ausgebildeten Nachwuchskräften im Bereich der Nachhaltigkeitsprüfung und -berichterstattung erheblich ansteigt. Auch Ingenieure und Naturwissenschaftler werden nun zu hochinteressanten Kandidaten für WP-Gesellschaften. Berufseinsteiger aus diversen Fachdisziplinen haben die Möglichkeit, sich auf das aufstrebende Gebiet der Nachhaltigkeitsprüfung zu spezialisieren und ihre Karrieren in diese Richtung zu lenken.
Geht man denn eher in die Prüfung oder in die Beratung, wenn man aktiv an Nachhaltigkeitsthemen arbeiten möchte?
Knoblach: Die prüfenden und beratenden Leistungsangebote der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gehen im Hinblick auf das ESG-Reporting Hand in Hand. Was die Prüfung bzw. das Reporting angeht, müssen sich gezwungenermaßen zahlreiche Unternehmen mit ESG-Fragestellungen auseinandersetzen. Man könnte also meinen, dass sich für Wirtschaftsprüfer hier das Gros des Geschäfts abzeichnet. Tatsächlich fühlen sich viele Unternehmen aber zunächst einmal auch überfordert. Sie brauchen dringen beratende Hilfestellung auf dem Weg zum finalen Report. Insofern eröffnet sich auch hier ein attraktives Geschäftsfeld für die Wirtschaftsprüferbranche.
Fink: Löst man sich vom rein monetären Gedanken des Geschäftsvolumens, dann kann man davon ausgehen, dass Wirtschaftsprüfer im Bereich der ESG- Beratung den größeren gesellschaftlichen Impact haben, denn dort können und müssen sie gestaltend eingreifen. In der Prüfung bzw. im Reporting werden dann – wenn man so möchte: nur noch – die Resultate des Eingriffs dokumentiert.
Inwieweit hat New Work insbesondere in Hinblick auf die Flexibilisierung der Arbeit durch und nach Corona Einzug gehalten in die Welt der Big 4?
Knoblach: Alles in Allem hat die COVID 19-Pandemie die Big 4 dazu gedrängt, ihre Arbeitspraktiken zu überdenken und flexiblere Modelle einzuführen, um den sich ändernden Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter gerecht zu werden. Die Pandemie hat die Big 4 gezwungen, sich schnell mit Remote-Arbeitsoptionen zurechtzufinden. Und sie haben festgestellt, dass das sehr effektiv sein kann. So bieten sie ihren Mitarbeitern nun in vielen Bereichen weiterhin die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, was die Flexibilität der Mitarbeiter, aber auch die der Big 4 erhöht.
Viele große WP-Gesellschaften haben in diesem Zuge Hybrid-Arbeitsmodelle eingeführt, bei denen die Mitarbeiter sowohl im Büro als auch von zu Hause aus arbeiten können. Eine große Rolle spielen dabei die bereits angesprochenen technologischen Veränderungen, die ganz neue Möglichkeiten im Hinblick auf eine Remote-Kollaboration eröffnen. Das ermöglicht eine bessere Work-Life-Balance und passt sich den Bedürfnissen der Mitarbeiter an.
Wie gut gelingt es den Big4 und den Next10, die Bedürfnisse der Mitarbeiter in ein Tech-Zeitalter zu überführen, bei denen sich Karrieren flexibler entwickeln?
Fink: Die Karrierepfade der großen WP Gesellschaften haben sich nach unserer Beobachtung als recht leistungsfähig erwiesen, wenn es darum geht, die Firmen in ein Tech-Zeitalter zu überführen. Denn die Karrierewege sind sehr flexibel, stark an Leistungen und Fähigkeiten geknüpft und ermöglichen für digitale High Potentials schnelle Wege in Führungspositionen. Im kommenden Jahr veröffentlichen Sie Ihre 2024er-Studie zu „Deutschlands besten Wirtschaftsprüfern”. Welche Trends lassen sich schon heute erkennen?
Knoblach: Im Grunde sind es viele der Themen, die wir bereits angesprochen haben: KI und die Digitalisierung, ESG und Nachhaltigkeit, Datenschutz und Datensicherheit. Hinzu kommt, dass die internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) auch im Mittelstand zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Bianka Knoblach (rechts) ist Geschäftsführende Direktorin der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung und leitet das Deutsche Institut für Beratungswissenschaften in Berlin. Sie lehrt an verschiedenen Hochschulen in den Bereichen Organisationspsychologie und Beratung
Professor Dietmar Fink (links) ist Inhaber der Professur für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Wissenschaftlicher Direktor der WGMB. Er gilt als anerkannter, aber auch kritischer Begleiter der Beraterszene.