Digitalisierung und Globalisierung – Themen die viele Strukturen verändern. So zum Beispiel die Logistik-Branche. Durch neue Technologien werden auch von angehenden Absolventen, die in der Branche arbeiten wollen, Informatikkenntnisse verlangt, um mit Neuerungen umgehen zu können. Daher ist es von Vorteil, wenn Studierende bereits Praxisluft geschnuppert haben und damit beim zukünftigen Arbeitgeber punkten. Was außerdem für einen Einstieg in die Branche wichtig ist, erzählt Prof. Dr. Hans-Werner Graf von der FH Dortmund.
Welche sind die großen Herausforderungen, denen sich die Logistik-Branche in den kommenden Jahren zu stellen hat?
Die größten Herausforderungen, denen sich die Logistik-Branche in den kommenden Jahren zu stellen hat, sind sicherlich in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu finden. Die Logistik hat durch Effizienzsteigerungen in großem Stil dazu beigetragen, dass die Globalisierung die internationalen Wirtschaftsbeziehungen drastisch verändert hat. Dies hat neben positiven wirtschaftlichen Aspekten aber auch negative Konsequenzen, insbesondere für die Umwelt, aber zum Teil auch für die Stabilität von Lieferketten, was durch Ereignisse wie den Brexit und die Corona-Krise besonders in den Fokus der Aufmerksamkeit gebracht wurde und wird. Diese Themen haben die Klima-Debatte etwas zurückgedrängt, diese wird aber nicht an Bedeutung verlieren. Deshalb wird es für die Logistik-Branche unvermeidbar sein, insgesamt Antworten zu mehr Nachhaltigkeit und CO2-Vermeidung zu finden. Die Digitalisierung ist die zweite große Herausforderung, die viele Veränderungen für die Logistik-Branche bringen wird. Die Digitalisierung vereinfacht bestehende Prozesse und macht diese noch schlanker und damit weniger personalintensiv, sie eröffnet aber auch ganz neue Möglichkeiten, Material durch Information zu ersetzen und damit Bestände zu reduzieren oder ganz verzichtbar zu machen. Die Digitalisierung wird erhebliche Konsequenzen in Bezug auf benötigte Skills und zukünftige Aufgabenfelder in der Logistik-Branche haben.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung und wie bereitet man sich als WiWi-Studierender mit Branchenziel Logistik auf deren Auswirkungen am besten vor?
Die Digitalisierung wird viele operative Arbeitsabläufe der Logistik verändern. Dies fängt bei Bereichen an, die schon weitgehend vertraut sind, aber in der Praxis bei vielen Unternehmen noch nicht oder nur in geringem Umfang genutzt werden, wie zum Beispiel die Routen- und Tourenplanung für Fahrzeuge. Lieferdokumente werden zunehmend durch digitale Informationen ersetzt, die Blockchain ermöglicht hier eine tiefgreifende Veränderung der Prozesse, zum Beispiel bei der Zollabwicklung. Noch gravierender werden die Veränderungen im Bereich der Materialplanung und -versorgung sein, also im Bereich der Beschaffungslogistik. Neuronale Netze ermöglichen noch bessere Absatzprognosen; eine durchgängige Kommunikation und Auftragsabwicklung ohne Medienbrüche führt zunehmend dazu, dass Beschaffungsprozesse automatisiert werden können.
Das größte Hindernis der fortschreitenden Digitalisierung im Logistikbereich ist die bestehende kleingliedrige Struktur mit vielen Subunternehmern und kleinen Unternehmen, die nicht in der Lage sind, die vielfältigen Schnittstellen zu bedienen. Deshalb werden Plattformen und Dienstleister zukünftig eine größere Rolle spielen, die Dienste integrieren können.
Studierende sollten sich mit Grundlagen und Konzepten der Informatik vertraut machen und am besten auch die Programmierung von Skripten und die Bedienung von Analyse-Tools üben. Hier bieten Python und R einen guten Einstieg.
Was macht den besonderen Reiz in der Logistik aus und welche Geschäftsfelder empfinden Sie persönlich als besonders spannend?
Der besondere Reiz der Logistik besteht in der Vielfältigkeit der Aufgabenfelder. So gut wie jede Branche benötigt Logistik, und während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML habe ich Logistik unter anderem bei Bäckereien, Zeitungsverlagen, Banken, Mühlenbetrieben, Automobilherstellern und natürlich bei vielen Logistik-Dienstleistungsunternehmen kennengelernt. Besonders spannend finde ich persönlich die Bereiche der Transportnetzplanung und Tourenplanung, die besonders komplexe Optimierungsprobleme darstellen, bei denen aber auch die Spannbreite und das Zusammenwirken von pragmatischen Lösungen und sehr ausgefeiltem Methodeneinsatz besonders groß ist.
Wie bereiten Sie Studierende darauf vor, nach dem Abschluss des Studiums direkt auch in der Praxis bestehen zu können?
Die Vorbereitung auf die Praxis spielt eine große Rolle bei unserem Studiengang betriebswirtschaftliche Logistik. Anders als in anderen betriebswirtschaftlich ausgerichteten Studiengängen, bei denen die Fragen der Logistik erst in den höheren Semestern eingehender behandelt werden, beginnen wir an dem ersten Semester damit, die Grundlagen der Logistik erst im Überblick und dann in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Distribution zu vermitteln. Dadurch können wir ab dem vierten Semester in spezialisierten Vertiefungsangeboten auf diesen Grundlagen aufbauen und mehr in die Tiefe gehen. Zu den Vertiefungsmodulen gehören immer auch Fallstudienveranstaltungen, in denen sehr praxisnah Aufgabenstellungen wie zum Beispiel Ausschreibungen oder Distributionsplanungen behandelt werden. Damit sind die Studierenden sehr gut auf das Praxissemester vorbereitet, welches im sechsten Semester vorgesehen ist. Die Studierenden arbeiten in diesem Semester in der Regel in Unternehmen an konkreten Projekten und finden in vielen Fällen auch eine Aufgabenstellung für die Bachelor-Thesis, die im siebten Semester ansteht.
Neben diesen studienorganisatorischen Aspekten ist auch noch zu erwähnen, dass wir eine enge Beziehung zu den Fraunhofer-Instituten IML und ISST haben, die nur wenige hundert Meter von unserem Standort der Fachhochschule entfernt sind. Hierüber ergeben sich für viele Studierende auch Möglichkeiten, dort zum Beispiel als studentische Hilfskraft zu arbeiten und darüber einen erweiterten Einblick in die Praxis zu erhalten.
An welchen Fragestellungen arbeiten Sie an Ihrem Lehrstuhl gerade besonders intensiv?
Derzeit arbeiten wir intensiv an der Vorbereitung unseres Master-Streams, der im Sommersemester 2021 startet und das Studienangebot im Bereich der Logistik an der Fachhochschule Dortmund abrundet. Dieser Master-Stream ist eingebettet in einen betriebswirtschaftlichen Masterstudiengang, der verschiedene Spezialisierungen ermöglicht. Der Stream nennt sich Digital Supply Chain Management und fokussiert noch einmal besonders auf Fragestellungen der Digitalisierung innerhalb der Logistik.
Wie unterscheiden sich die Logistikunternehmen und wie finde ich den passenden Arbeitgeber innerhalb der Logistik-Branche?
Die Logistik-Branche ist sehr breit aufgestellt, und man findet Logistiker nicht nur bei den Logistik-Dienstleistungsunternehmen, sondern natürlich auch im Handel und bei produzierenden Unternehmen. Die Automobilbranche ist ja ein bekanntes Beispiel dafür, sehr viele Logistik-Absolventen aufzunehmen. Man sollte also den Fokus nicht zu sehr einengen, sondern offen für sich bietende Gelegenheiten sein. Grundsätzlich kann man sagen, dass bei „den Großen“ der Einstieg meistens strukturierter erfolgt und eine bessere Vorbereitung auf die späteren Tätigkeiten gegeben ist. Bei kleinen, innovativen Unternehmen bieten sich dagegen häufiger vielfältige Tätigkeiten, die mehr Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung bieten. Hier sollte man aber besonders auf die Unternehmenskultur achten, denn für Berufseinsteiger ist ein gutes Arbeitsklima ein ganz wichtiger Aspekt, und hier gibt es leider auch Beispiele von Unternehmen, bei denen das nicht so gut läuft.
Worauf achten Arbeitgeber der Logistik-Branche Ihrer Erfahrung nach am meisten, wenn Sie Kandidaten beurteilen?
Nach meiner Erfahrung achten Arbeitgeber in der Logistik-Branche besonders auf Praxiserfahrung. Ihnen ist es wichtig, dass Absolventen schon einmal ein Unternehmen „von innen“ gesehen haben und man nicht nur Lehrbuchwissen präsentieren kann. Wegen der zunehmenden Bedeutung der Digitalisierung spielen sicherlich auch Kenntnisse in diesem Bereich eine immer größere Rolle. Ein sicheres Umgehen mit dem Office-Paket wird als selbstverständlich erachtet, aber darüber hinausgehende Kompetenzen sind immer wichtiger. Natürlich sind in der Logistik-Branche auch sprachliche Fähigkeiten gefragt, und in vielen Positionen ist Englisch ein Muss. Bei einem Bewerbungsgespräch sollte man also zeigen, dass man kommunikativ ist, und dass man sich in die Arbeitsabläufe und Herausforderungen eindenken kann, also dazu in der Lage ist, vorhandenes Wissen flexibel zu vernetzen, was für die Logistik insgesamt von immer größerer Bedeutung ist.
Prof. Dr. Hans-Werner Graf ist an der FH Dortmund Professor für den Studiengang Wirtschaftsinformatik, insb. Supply Chain Management. Nach seinem Studium der Informatik und Promotion in Maschinenbau, sammelte er im Logistikbereich Erfahrungen am Fraunhofer Institut für Transporttechnik und Warendistribution (ITW) und am Fraunhofer-Institut Materialfluss und Logistik (IML). Seine wichtigsten Forschungsthemen waren dabei Mindestlohn bei Zeitungszustellungen, Transport-Netzwerkplanung und dynamische Routen- und Tourenplanung. An der FH Dortmund ist er nun außerdem Studiengangsleiter des Studiengangs Betriebswirtschaftliche Logistik, BSc. Mitglied des Senats der FH Dortmund sowie im Fachbereichsrat des Fachbereichs Wirtschaft.