Digitale Transformation in der Bankengeschichte
Die Bankenbranche hat in den letzten Jahrzehnten viel durchlebt: von traumhaften Goldgräber-jahren bis zum Fast-Zusammenbruch des ganzen Systems und massivem Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber Finanzexperten. Wo steht diese Branche heute? Und: Lohnt sie sich trotz Auf und Ab noch für Berufseinsteiger?
Über viele Jahre hinweg arbeitete die Bankenbranche ebenso seriös wie unspektakulär. Bis in die 1970er Jahre führten Banken die Konten ihrer Kunden, entliehen Geld, bündelten Anleihen und handelten mit Wertpapieren. Am Weltspartag verteilten sie lustige Spardosen.Entsprechend hatte die Branche den Ruf eines soliden, verlässlichen und angesehenen, wenn auch langweiligen, leicht verstaubten Arbeitgebers. Die Angestellten waren „Bankbeamte“, die Führungskräfte „Direktoren“. Viele Schulabgänger machten eine Banklehre, bevor sie sich ins Studium stürzten; die Karriere-Aussichten als Kundenberater oder Kreditsachbearbeiter sowie das Versprechen von 14 Monatsgehältern und einer betrieblichen Altersversorgung lockten eher die risikoaversen Konservativen als die herausragendsten Talente.
Etwa ab 1980 ging es für das Banking steil aufwärts. Die Erkenntnisse der Kapitalmarkttheorie öffneten neue Märkte für Derivate und andere innovative Finanzprodukte. Zugleich ermöglichte die höhere Rechenleistung von Computern, komplexe Transaktionen auch in der Praxis zu bewerten und zu bepreisen. Marktplätze vernetzten sich elektronisch und die Ökonomie spielte mehr denn je auf globaler Ebene. Die Politik kam der Finanzbranche entgegen, indem sie begrenzende Regularien lockerte und die Märkte mit Privatisierungen befeuerte. Die Börsen boomten. Es herrschte Goldgräberstimmung.
In der Folge strömten Heerscharen von BWL-Absolventen in die Banken, kauften sich wie Gordon Gekko in „Wall Street” breite Hosenträger und hofften auf die astronomischen Bonuszahlungen, von denen die Medien immer schaudernd berichteten.Neben den Unternehmensberatungen, die zu jener Zeit Traumjobs versprachen, galten vor allem die Investmentbanken als erste Adresse für die Besten jedes Jahrgangs. Wer einen Job bei Goldman Sachs oder Lehman Brothers ergatterte, der hatte es geschafft. Der Rest versuchte es eine Nummer kleiner bei Dresdner Kleinwort oder einer der großen Universalbank-Adressen, in der Hoffnung, dass etwas vom Glanz und Gloria des Investmentbankings auf ihn abstrahlen würde.
Jeder wollte etwas vom Erfolg der Aktien abhaben – alle wollten reich werden
Die NASDAQ wurde zum Fieberthermometer des Kapitalismus, selbst die zurückhaltenden Deutschen kauften gierig Telekom-Aktien und der Börsengang der einstigen Siemens-Tochter Infineon geriet zum allgemeinen Fanal. Start-ups, die mit Internet zu tun hatten, sammelten groteske Summen. Alle wollten reich werden. 2001 platzte die Blase. Es blieb die Erkenntnis, dass auch das Internet die Wettbewerbsregeln nicht außer Kraft gesetzt hatte und am Ende doch nur die Erfolgreichsten überleben konnten.
Für den Aktienmarkt bedeutete dies einen schweren Schlag, aber die Voodoozauberer in den Investment-banken wussten einen Ausweg: Sie zauberten aus fragwürdigen Immobilienkrediten Wertpapiere ersten Ranges und konnten so eine ganze Zeit lang dem Markt die vermeintlich risikofreien und doch hochrentablen Anlageprodukte bieten, nach denen alle schrien, die nicht mehr auf Aktien setzen wollten. 2007 platzte auch diese Blase. Lehman Brothers ging pleite, tausende Banker verloren ihren Job. Aus Angst vor weiteren Ausfällen wagte niemand mehr, dem anderen Geld anzuvertrauen. Um die Wirtschaft dennoch am Laufen zu halten, reduzierten die Notenbanken das Zinsniveau faktisch auf Null. Wer sein Geld brav sparte, musste erkennen, dass ihm die Bank dafür nichts mehr zahlte.
Die Traumblase platzte – es brachen harte Zeiten für die Banken an
Für die Banken brachen harte Zeiten an. Kunden fürchteten das Risiko und ließen die Finger von Aktien und Derivaten. So fehlten den Banken die Geschäfte mit Wertpapieren, die in den goldenen Jahren üppige Provisionseinnahmen generiert hatten. Sie blieben entweder ganz aus oder die Banken fanden sich in hartem Wettstreit mit Discountbrokern im Internet, die ihren Kunden Kampfkonditionen boten. Niedrige Zinsen verdarben das klassische, risikoarme Geschäft mit Einlagen und Krediten. Nachdem die Politik 2008 den Bankenmarkt durch massive Eingriffe (und den Einsatz von Milliarden an Steuergeldern) vor dem Zusammenbruch bewahrt hatte, folgten Konsequenzen. Die Aufsicht zog die Daumenschrauben eng: Die Kunden mussten über Risiken und Nebenwirkungen von riskanten Transaktionen aufgeklärt werden, alle riskanten Geschäfte besichert, zügig bestätigt und völlig transparent sein. Alle Transaktionen mussten in spezielle Register gemeldet, ihre Kapitalkraft gestärkt werden. Die Banken mussten ihren Kunden sogar offenlegen, wie viel sie an jedem Deal verdienten.
Die Branche wurde ziemlich durcheinander gewürfelt. Die klassischen Bankhäuser passten sich den neuen Gegebenheiten an: Sie reduzierten ihre Bilanzsummen und Risikoaktiva, Belegschaften wurden abgebaut, ganze Geschäftszweige aufgegeben. Viele Tätigkeiten gab man an externe Dienstleister ab – an selbst gegründete Joint Ventures oder einfach an Anbieter aus dem Markt. Das Image des Bankangestellten und die Attraktivität der Branche als Arbeitgeber haben unter diesen Veränderungen fundamental gelitten. Banken sind heute weder der sichere Hafen für eine Lebensstellung wie ehedem, noch die Chance auf den schnellen Reichtum wie in den Goldgräberjahren. Sollte man also die Finanzbranche meiden, wenn man den Berufseinstieg vor sich hat? Keineswegs. Die Branche befindet sich zwar in einem massiven Umbruch, bietet aber dem interessierten Einsteiger eine Menge Chancen. Bill Gates hat es 1994 treffend formuliert: „Banking is necessary, banks are not.“
Die Wirtschaft möchte nach wie vor Forderungen verwalten, Verpflichtungen übertragen und dabei Risiken abfedern. Der Finanzmarkt lebt, auch wenn die Zeiten grenzenloser Gier und exzessiven Zockens vorbei zu sein scheinen. Den Börsen geht es gut, die Wirtschaft brummt – und all das wird stets von Finanztransaktionen begleitet.
Der Finanzmarkt lebt und pulsiert – das sind ideale Bedingungen für Berufseinsteiger
Im Zeitalter der Vernetzung haben sich neue Formen des Bezahlens etabliert oder sind im Entstehen. Gespannt wartet die Welt, welchen Weg neue Währungssysteme wie Bitcoin und Übertragungstechniken wie Blockchain nehmen werden und welche Konsequenzen das für das gesamte Wirtschaftssystem haben wird. Die großen Social-Media-Plattformen verfügen über einen einzigartigen Zugang zu ihren Mitgliedern und wissen praktisch alles über sie; warum also sollten sie nicht auch deren Finanzen verwalten und Zahlungsfunktionalitäten an-bieten? Längst arbeiten Facebook und Co. an derartigem. Es ist bestimmt kein Zufall, dass sie alle irgendwo über die erforderlichen Banklizenzen verfügen. Teils unterstützt von den traditionellen Banken, teils finanziert von unabhängigen Investoren, sprießen allerorts Fintechs aus dem Boden und entwickeln neue Schnittstellen und Plattformen als Alternative zu klassischen Bankprozessen.
Es ist noch nicht abzusehen, wer am Ende die Nase vorn haben wird und die Finanzbranche der Zukunft dominiert. Aber auf jeden Fall warten da draußen eine Menge zukunftsorientierter Jobs. Wer mehr im Heute denkt, kann bei den Dienstleistern, die Funktionen des klassischen Bankings übernommen haben, seine Karrierechancen verwirklichen: Clearinghäuser, Abwicklungsspezialisten, Handelsplattformen, Crowdfunding-An-bieter. Übrigens nicht nur für Akademiker und Hochqualifizierte: Auch Service-Provider wie Call-Center oder Mailingdienste haben Jobs übernommen, die einst in Banken angesiedelt waren. Die IT der Banken hat in den letzten Jahren ebenfalls einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Zugegeben: Viele Entwicklerjobs sind in kostengünstigere Weltgegenden wie Indien oder Osteuropa gewandert. Aber für die Konzeption und Steuerung sind die Banken immer noch auf Menschen angewiesen, die das Kundengeschäft im Heimatmarkt verstehen und in der Lage sind, aufsichtsrechtliche Paragraphenwüsten zu interpretieren und in programmierbare Vorgaben umzuwandeln.
Wer sein Glück nicht bei den bankeigenen Systemhäusern und IT-Töchtern suchen will, der kann auch bei einem der Beratungshäuser anfangen, die den Banken im Projektgeschäft zur Seite stehen. Da Umbrüche immer auch Veränderungen in der IT mit sich ziehen, hat jede Bank eine ganze Reihe von Projekten aufzusetzen, um sich für die kommenden Herausforderungen zu wappnen. Auch bei knappen Budgets sind die Vorhabenpipelines gut gefüllt, schon weil Aufsicht und Politik immer neue Anpassungen von den Banken fordern. Fähige IT-Berater sind also begehrt und gesucht. Die Gehälter sind zwar nicht astronomisch, aber immer noch auskömmlich – und wenigstens verlangt heute niemand mehr, dass man mit breiten Hosenträgern zur Arbeit erscheint.
Autor Dr. Jörg W. Digmayer arbeitet seit 2008 beim Beratungsunternehmen Firstwaters, das auf IT-Vorhaben im Finanzdienstleistungsbereich spezialisiert ist. Zuvor studierte er in München BWL und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau.