Besteht nicht alles aus Einsen und Nullen und müsste daher nicht jede Branche auch einen Zugang für Informatiker bieten? Zumindest kann man IT-Kenntnisse inzwischen überall gebrauchen, auch in der Wirtschaftsprüfung. Professor Kai-Uwe Marten von der Universität Ulm sieht für Informatiker viele spannende Tätigkeiten in Kanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die nicht nur mit der Prüfung von Zahlenkolonnen zu tun haben.
Der Berufsstand des Wirtschaftsprüfers dürfte den meisten IT-Absolventen relativ unbekannt sein, denn die meisten Anknüpfungspunkte in diesem Bereich haben Studierende der Wirtschaftswissenschaften. Dabei braucht es für das Wirtschaftsprüfungsexamen nur einen akademischen Abschluss – die Fachrichtung spielt dabei keine Rolle – und ein paar Jahre Berufserfahrung. Perfekte Voraussetzungen also für Informatiker, die in eine Karriere abseits der klischeehaften Programmier-Nischen führen wollen.
Die Digitalisierung bringt mit sich, dass deutlich mehr IT-Kenntnisse benötigt werden, als es vorher der Fall war. Mit Cloud-Services lassen sich die Daten des Mandanten aus der Ferne prüfen und weitere neue Technologien halten Einzug in die Abschlussprüfung von Unternehmen. Sollten also mehr Informatiker auf die Wirtschaftsprüfung aufmerksam gemacht werden oder mehr Wirtschaftswissenschaftler an IT-Kenntnisse herangeführt werden? Prof. Kai-Uwe Marten ist sich sicher, dass die Wirtschaftsprüfung Informatikern spannende Tätigkeitsfelder bietet. Er nennt dabei zwei Bereiche: Sowohl interne Tätigkeiten für die Kanzlei als auch externe für den Kunden vor Ort.
IT-Absolventen können in internen und externen Bereichen bei Wirtschaftsprüfern einsteigen
Bei den internen Aufgaben arbeiten Absolventen in der Kanzlei-eigenen IT-Abteilung und unterstützen ihre Kollegen bei Fragen und Problemen. Des Weiteren kann man auch selbst als Mitglied des Prüfteams beim Mandanten dabei sein und dessen IT prüfen. Eine Aufgabe, die zu nehmend komplexer und deutlich spannender wird! Der zweite Bereich sind Beratungstätigkeiten für den Kunden. Viele Kanzleien haben einen extra Beratungsbereich und Informatiker können dort einsteigen, um den Mandanten bei der Umstellung auf IT-gestützte Geschäftsprozesse zu beraten.
Dabei sind sie als externe Dienstleister für die Prozesse des Mandanten vor Ort zuständig und setzen dort Projekte um. Viele Unternehmen prüfen derzeit, welche Prozesse, die sonst eher manuell vollzogen wurden, jetzt viel stärker IT gestützt bearbeitet werden könnten und nehmen diese Beratungsleistungen in Anspruch, da sie selbst nicht diese Kompetenzen im Haus haben: Ein enormes IT-Wissen ist essenziell, um neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und Robotics Process Automation unternehmensweit einzuführen und gegenüber fachlich nicht involvierten Kunden zu vertreten.
Viele Professoren versuchen, den Studierenden bereits während ihrer Ausbildung Informatik-Kenntnisse zu vermitteln, doch zwingen können sie niemanden. Das bestätigt auch Prof. Marten, der vielen seiner WiWi-Studierenden IT-Kenntnisse ans Herz legt und selbst auch bereits einiges dazu gelernt hat. Auch wenn sich der Lehrstuhl schon seit einiger Zeit mit der Digitalisierung der Wirtschaftsprüfung beschäftigt – IT-Kenntnisse musste sich das Team um Prof. Marten auch erst aneignen. Hintergrund war ein Projekt mit dem kanadischen Unternehmen MindBridge, das vorwiegend in Nordamerika in der Digitalisierung der Wirtschaftsprüfung tätig ist. Von diesem Projekt könnten demnächst auch weitere Studierende der Informatik und Wirtschaftswissenschaften profitieren.
Inhalt des Projekts waren Fallstudien des Unternehmens zu deren Prüfungstool AI Auditor. Dieses prüft die Daten des Mandanten mithilfe von Künstlicher Intelligenz und analysiert die Zahlen. Zusammen mit seinem Lehrstuhl-Team hat Prof. Marten die Fallstudien ausgewertet und wird ab dem kommenden Wintersemester in Vorlesungen darüber berichten. Für das bessere Verständnis des Tools wären IT-Kenntnisse also zwangsläufig erforderlich – auch wenn keiner der WiWi- Studierenden eine solche Anwendung programmieren wird, braucht es dennoch das Verständnis, um damit umgehen zu können. Ist das Know-how bei IT-Studierenden bereits vorhanden, haben diese hier einen Vorteil. Denn das Projekt zeigt, wie die Prüfung in Zukunft aussehen könnte. „Diese Vorlesung wird bestimmt einigen als Vorbereitung für den Berufseinstieg dienen. Das heißt, anwendungsbezogen bilden sich die Prüfer auch in IT-Richtung weiter, aber nicht tiefer in die Programmierung.“ WiWi-Studenten sollten dennoch ein gutes Grundverständnis von Programmiersprachen wie zum Beispiel Python haben, um an Projekten arbeiten zu können.
Durch Praktika merken die Studierenden, welche Kenntnisse ihnen zukünftig noch fehlen
Doch der wirkliche Push zu Weiterbildungen in der Informatik kommt bei den WiWi-Studierenden meist durch Praktika, die während des Studiums absolviert werden. „Dabei sehen auch viele Studierende, wie wichtig IT-Kenntnisse in der Praxis sind und entscheiden sich danach für Kurse, in denen die fehlenden Kenntnisse vermittelt werden. Darum fördern wir auch diese Praxis über verschiedene Praktika: Angefangen bei einem Schnupperpraktikum, das drei bis fünf Tage dauert“, berichtet Prof. Marten. Dadurch könne man einen ersten Eindruck von der Wirtschaftsprüfung gewinnen und danach über ein längeres Praktikum nachdenken.
Umgedreht geht es natürlich genauso – ein solches Praktikum könnte Informatikern zeigen, in welchen Bereichen sie in der Wirtschaftsprüfung einsteigen können und damit den Push in die Wirtschaft geben. Zu Beginn des Studiums könne man sich unter dem Beruf des Wirtschaftsprüfers noch nicht so viel vorstellen und ein Schnupperpraktikum könne dabei helfen, Entscheidungen für den weiteren Verlauf des Studiums zu treffen. Praxissemester und der Berufseinstieg können nach einem Kurz-Praktikum auch besser geplant werden. Keimzelle sei immer das Praktikum, das die Studenten auf die Fachrichtungen aufmerksam mache, die sie noch belegen sollten und zeige, welche Kenntnisse sie für den Berufseinstieg benötigen werden.
Aus dieser Praxis berichten Studierende dann auch immer wieder, welche Aspekte der Digitalisierung wichtig sind – drei davon sind laut Prof. Marten besonders wichtig: Auf der einen Seite das richtige Mindset. Denn zur Digitalisierung gehören nicht nur E-Mails verschicken und Dokumente online ablegen. Es wird noch viele Entwicklungen dahingehend geben und wer sich diesen Themen verschließt, wird schnell ab gehängt. Außerdem braucht es auch die nötigen Skills, um fit für den Beruf zu sein. Dabei sieht Prof. Marten sowohl Hochschule als auch Kanzleien in der Pflicht, die eine stetige Weiterbildung anstreben sollen, um die Belegschaft technisch fit zu halten. Beim Thema Technik wird es durch die Künstliche Intelligenz noch sehr viele Veränderungen geben. Daher sollte man relativ früh auf die richtige Ausstattung setzen, um mit den anderen Kanzleien mithalten zu können.
Prof. Dr. Kai-Uwe Marten ist Steuerberater und leitet an der der Universität Ulm das Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere auf der Digitalisierung der Wirtschaftsprüfung und internationale Rechnungslegung.
Mehr zur Wirtschaftsprüfung und den Karrieremöglichkeiten findet ihr in unserem Netzwerk.