Was High Potentials für den Berufseinstieg mitbringen sollten
Woran darf es bei einem High Potential in keinem Fall fehlen? Personalverantwortliche vermissen laut einer aktuellen Studie des Ifo-Institutes bei den Hochschulabsolventen am häufigsten Selbstständigkeit, Problemlösungskompetenz, Abstraktionsvermögen sowie die Allgemeinbildung. Wir gehen der Frage nach, wie man diese Kompetenzen aufbaut.
Abstraktionsvermögen
Wie testen Sie, ob ein Kandidat das nötige Abstraktionsvermögen hat, um ein guter Unternehmensberater zu werden?
Bei Cofinpro setzen wir seit Jahren auf ein bewährtes Modell, um herauszufinden, ob die Kandidaten geeignet für den Job als Unternehmensberater sind. Jeder Bewerber bekommt zu Beginn des Vorstellungsgesprächs eine kleine Case Study, die er bearbeiten muss. Das sind in der Regel ganz klassische betriebswirtschaftliche Aufgabenstellungen, wie zum Beispiel: Eine Bank will ihr Kreditportfolio optimieren. Wie soll sie dabei vorgehen? Dazu gibt es einige konkrete Fragen, für deren Bearbeitung der Kandidat dann 45 Minuten Zeit hat. Anschließend präsentiert er 30 Minuten lang seine Ergebnisse.
Bei diesem Vorgehen erkennen wir genau, ob der Bewerber prozessuales Verständnis und das nötige Abstraktionsvermögen für seine Arbeit bei uns hat. Wir sehen, wie er sich dem Thema nähert, welche methodischen Kenntnisse er mitbringt und gleichzeitig auch, wie gut er sich einem Kunden präsentieren kann. Uns fällt dabei auf, dass es Kandidaten, die direkt von einer Hochschule kommen, leichter fällt, das große Ganze zu erkennen. Bewerber, die bereits Berufserfahrung, sind oft Fachexperten. Sie sind es gewohnt, tief in ein Thema einzutauchen, und müssen als Berater ihren Blick wieder weiten.
Allgemeinbildung
Kann man Allgemeinbildung eigentlich pauken wie einen Vorlesungsstoff oder fehlt es nicht an grundsätzlicherem, wenn man kein Interesse an Zeitgeschehen und Geschichte hat?
Pauken, wie das schon klingt? Pauken ist gepresstes, zwanghaftes Lernen, das wir bereits aus unserer Schulzeit kennen. Das Ziel ist immer, gute Noten zu schreiben oder einen Abschluss zu erzielen. Wir pauken für Schule, Studium und Karriere – und weniger fürs Leben.
Dabei wird vieles vom dem, was wir uns mühsam einprägen müssen, nach der Prüfung wieder vergessen, da wir es im Alltag kaum einsetzen können. Mit Allgemeinwissen verhält sich das anders. Es bleibt – sofern wir ein echtes Interesse daran haben – länger im Gedächtnis, lässt sich jederzeit anwenden und hinterlässt immer einen positiven Eindruck. Ob beim Jobinterview, beim Flirten im Club oder im Gespräch mit dem Vorgesetzten, wer etwas Spannendes zu erzählen weiß, gewinnt. Oder wussten Sie schon, dass Kaiserin Sissi ein Anker-Tattoo im Nacken hatte und wir den Vatertag einer Frau zu verdanken haben?
Gehört das zur Allgemeinbildung? Sicher nicht, aber es zeigt, dass Wissen unterhaltsam und jede Art der Kommunikation bereichern kann. Fehlt dazu grundsätzlich die Lust, nutzt auch das fleißigste Pauken nichts. Carl Hilty hat einmal gesagt: ,Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene’. Das erinnert mich an den Bewerber, der nicht wusste, dass die Europahymne von Beethoven komponiert wurde. Ich war überrascht, vor allem von seiner Antwort: ,Muss ich nicht wissen, kann ich googeln’. Stimmt, aber nicht während unseres Gesprächs, das schnell beendet war. Wir Arbeitgeber wünschen uns Mitarbeiter, die neugierig sind, die Dinge hinterfragen, die selbständig denken, handeln und Lösungen finden können. Googeln kann ja schließlich jeder.
Robert Junker ist Autor von Taschenhirn (Buch der 50.000 Fakten) & Taschenhirn.de (Wissen in Listen), Inhaber einer Werbeagentur, eines Verlages und der iOS Quiz App 9inline.
Selbstständigkeit
Woran erkennen Sie, ob ein Kandidat tatsächlich so selbstständig und eigenverantwortlich agiert, dass er zu den High Potentials zählt?
Eigene Motivation und selbständiges Denken sind für mich die wichtigsten Kriterien. Ein hervorragendes Studium ist großartig, aber wird dieselbe Zielstrebigkeit im Arbeitsleben beibehalten? Um Selbständigkeit einzuschätzen, frage ich in jedem Interview nach der Motivation. Eine Universität auszusuchen, die einen überzeugt, auch wenn es einen größeren Umzug erfordert, gefällt mir. Umgekehrt kann ein Kandidat, bei dem Studium und Schule am gleichen Standort sind, sehr interessant sein, wenn die Motivation hierfür eine weniger gut situierte Familie ist und dieser ohne Hilfestellung oder Vorbilder früh eigenständig seinen Werdegang geplant hat. Mich begeistern Lebensläufe mit Austauschsemester an exotischen Universitäten. Wer zum Beispiel ein Semester an der National Sun Yat-sen University erfolgreich abschließt, hat viel gelernt – nicht nur fachlich. Dessen ungeachtet hilft jedes Auslandssemester der Selbständigkeit. Auch das europäische Ausland ist spannend und wenn der Austausch über ein Stipendium finanziert wurde, spricht das gleichermaßen für Leistungsstärke wie Eigenverantwortlichkeit.
Problemlösungskompetenz
Was sind die entscheidenden Faktoren für eine hohe Problemlösungskompetenz?
Ein Problem ist immer eine unerwartete Situation, in der eine Barriere vorliegt, die nicht mit im Gedächtnis vorhandenen Lösungsmustern überwunden werden kann. Es gibt kein bewährtes Rezept. Stattdessen muss ein Lösungsweg erst erarbeitet werden. Dieser Prozess läuft – ob bewusst oder unbewusst – immer gleich ab: Ein Problem wird identifiziert, anschließend werden Ziel und Situation analysiert, ein Plan erstellt, ausgeführt und zum Schluss das Ergebnis bewertet. Für hohe Problemlösungskompetenz ist es entscheidend, die eigenen Denkprozesse objektiv zu betrachten und kritisch zu reflektieren. Zudem spielen logisches Denken und Schlussfolgern, Kreativität und Eigenständigkeit eine große Rolle. Dabei ist es von Vorteil, die psychologischen Hintergründe der Informationenverarbeitung, Problemerkennung, der eigenen Urteils- und Entscheidungsheuristiken sowie Effekte, die beim Lösungsprozess entstehen können, zu kennen.
Neben Theorie ist Praxis nötig. Problemlösungskompetenz baut man durch problembasiertes Lernen auf. In der schulischen- und beruflichen Ausbildung sowie im Studium sollte Lehrstoff daher mehr als bisher durch praktische nicht-triviale Problemstellungen vermittelt werden.