Viele kennen diese Situation: Es ist spät, Erschöpfung ist spürbar, aber die Abgabe muss heute noch fertig werden. Oder du sitzt in der Prüfung – und plötzlich ist der Kopf leer. Stress im Studium und Beruf ist vielfältig. Es gibt immer etwas zu tun, alles erscheint wichtig und Deadlines erhöhen den Druck. Kein Wunder also, dass Stress für viele Studierende alltägliche Realität ist. Doch es gibt Strategien, ihn zu bewältigen.
Ein hilfreiches Konzept ist Stressmanagement. Es kann nachweislich unsere mentale Gesundheit stärken – auch bei hoher Belastung (Amanvermez et al., 2023). Der erste Schritt: Stress verstehen.
Manche sind vor einer Prüfung nervöser als andere – das ist normal. Doch warum empfinden manche die Situation extrem stressig, während andere gelassener bleiben? Ein Blick auf das Stressmodell von Lazarus hilft weiter. Es zeigt, dass Stress durch die Interaktion zwischen Person und Situation entsteht. Der entscheidende Unterschied liegt in der Bewertung. Ist die Prüfungsnote entscheidend für meine Karriere oder nicht? Fühle ich mich sicher oder habe ich zu wenig gelernt? Diese subjektive Einschätzung kann Stress verstärken oder reduzieren.
Auf dieser Erkenntnis basieren drei zentrale Strategien zur Stressbewältigung: Kluge Selbstorganisation, bewusste Erholung und eine realistische Haltung.
1. Struktur schaffen: Studium, Nebenjob, Projekte – die To-Do-Liste ist oft lang. Kein Weg führt an kluger Planung und Prioritäten vorbei. Viele Studierende nehmen sich jedoch zu viel vor, was frustriert und langfristig den Selbstwert und Erfolg beeinträchtigen kann.
Tipp: Setze dir täglich eine Hauptaufgabe. Was bringt dich konkret voran? Starte damit! Nach maximal 90 Minuten konzentrierter Arbeit folgt eine Pause. Danach hake ein paar zweitrangige Aufgaben ab.
2. Erholung ist essenziell: Während im Sport klar ist, dass Erholung zu Leistung gehört, wird dies im Studium und Beruf häufig unterschätzt. Dabei zeigen Studien, dass schon zehn Minuten Spaziergang im Park Konzentration und Wohlbefinden verbessern (Mason et al., 2022). Auch Schlaf ist unverzichtbar: Wer dauerhaft weniger als sieben Stunden schläft, hat ein höheres Risiko für Bluthochdruck und Diabetes (Li et al., 2022).
Tipp: Plane zwei bewusste Pausen täglich, jeweils mindestens 10 Minuten. Wichtig: Danach solltest du dich danach spürbar erfrischt fühlen.
3. Realistische Haltung: Schule, Studium, Beruf – überall wird Leistung erwartet. Doch häufig setzen wir uns selbst am stärksten unter Druck. Wir arbeiten beispielsweise sorgfältiger als nötig oder sorgen uns mehr, als hilfreich wäre.
>Tipp: Frage dich bewusst: „Muss diese Aufgabe wirklich perfekt sein oder genügt, wenn es gut ist?“ oder „Sind meine Erwartungen realistisch?“
Zwei Tools, um sich in akuten Situationen nicht vom Stress überwältigen zu lassen
- 4-7-8-Atmung: Vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden Luft anhalten, acht Sekunden ausatmen – das beruhigt das Nervensystem.
- Abstand gewinnen: Fünf Minuten Bewegung oder ein gesunder Snack und dann bewusst fragen: „Was ist ein konkreter, hilfreicher Schritt?“ statt „Wie löse ich das ganze Problem?“
Du kannst Stress als Antrieb nutzen, denn Stress hat einen evolutionären Nutzen. Akuter Stress mobilisiert uns, setzt Energiereserven frei, steigert den Fokus. Gleichzeitig kann chronischer oder übermäßiger Stress gesundheitsschädlich sein. Daher ist es so wichtig, das richtige Maß zu finden – Stress zu „managen“.
Übrigens: Allein das Wissen darüber, dass Stress nicht nur negative Auswirkungen hat, kann bereits helfen, mit Belastungen besser umzugehen. Eine Studie von Liu et al. (2017) zeigte, dass Menschen, die sowohl über die positiven als auch negativen Seiten von Stress informiert wurden, physiologisch besser mit Stress umgehen konnten als jene, die nur eine einseitige Perspektive hatten.
Wann ist Stress eigentlich noch „normal“ und was hilft in solchen Situationen?
Fallbeispiel 1: „Nach Wochen harter Arbeit wirft dein Code nur Fehler aus – du weißt nicht mehr weiter und die Abgabe ist in zwei Tagen.“ | Fallbeispiel 2: „Du hast dein erstes Praktikum in einer Top-Unternehmensberatung und fühlst dich völlig überfordert.“ |
Normaler Stress wäre, wenn du eine Pause und eine neue Herangehensweise brauchst. Dann sind mögliche Strategien, Abstand zu nehmen, sich zu bewegen und gezieltes Debugging zu betreiben. |
Du stehst unter normalem Stress, wenn du Zeit benötigst, dich an neue Herausforderungen zu gewöhnen. >Dabei hilft es, sich Feedback einzuholen, Fehlerfreundlichkeit zu üben, eigene Erfolge bewusst wahrzunehmen,und Hilfe zur Selbsthilfe zu nutzen, zum Beispiel mit dem Praxisbuch Stressmanagement für die hybride Arbeitswelt (Waeldin, 2024). |
Du bist überbelastet, wenn du regelmäßig in Panik gerätst und keine Lösung findest. In diesem Fall brauchst du eine bessere Zeitplanung. Mentoring oder professionelle Unterstützung, zum Beispiel durch die psychosoziale Beratung deiner Hochschule. |
Eine Überbelastung liegt vor, wenn du täglich Angst vor dem Job hast und nicht schlafen kannst. Dann bestehen mögliche Strategien darin, Perfektionismus abzubauen und langfristig berufliche Alternativen zu überdenken. |
Du kannst dieses Vier-Wochen-Experiment für weniger Stress ausprobieren:
Woche eins – Stress verstehen: Führe eine Woche lang Tagebuch. Was hat dich gestresst? Was hat dir gut getan? Was brauchst du?
Woche zwei – Struktur schaffen: Setzte dir täglich eine Hauptaufgabe. Beginne deinen Tag damit, nach 60-90 Minuten legst du eine Pause ein, dann erledige eine zweitrangige Aufgabe.
Woche drei – Regeneration: Bewege dich täglich 20 Minuten an der frischen Luft und mache eine zehnminütige Entspannungspause.
Woche vier – Haltungs-Check: Frage dich abends: „War ich heute hart zu mir? Wo könnte ich gelassener werden?“
Stress gehört zum Studium und Berufseinstieg dazu. Stressmanagement hilft dabei, Stress in einem gesunden Maß zu halten. Welchen Tipp probierst du aus? Notiere die einen konkreten Schritt, den du in den nächsten Tagen angehst! Viel Erfolg!
Dr. Sandra Waeldin ist Psychologin, Trainerin und Rednerin bei Vivio Stressmanagement. Seit über zehn Jahren ist sie in der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie als Dozentin in der Gesundheitspsychologie tätig. Zuvor hat sie zu Stress und
Burnout geforscht.
Zum Weiterlesen:
- Amanvermez et al. (2023). Clin Psychol Sci Pract, 30(4), 423–444.
- Lazarus & Folkman (1984). Stress, appraisal, and coping.
- Li et al. (2022). Sleep Breath, 26, 1–23.
- Liu et al. (2017). J Exp Psychol Gen, 146(12), 1790–1802.
- Mason et al. (2022). Educ Psychol Rev, 34(2), 609–647.
- Waeldin (2024). Praxisbuch Stressmanagement für die hybride Arbeitswelt. Wiley.