Kann man sein Glück bewusst steuern – oder ist alles nur eine Frage des Zufalls? Christian Busch, Wirtschaftsprofessor an der University of Southern California und Bestsellerautor von „Erfolgsfaktor Zufall”, ist davon überzeugt, dass es das unerwartete, sich aus zufälligen Momenten ergebende Glück ist, welches so oft entscheidend für die Karriere ist. Und, dass man tatsächlich gute Vorarbeit dafür leisten kann, Glück zu haben.
Sie forschen zum Thema „Serendipität“. Was genau ist das und warum sollten wir uns besser auf die Zufälligkeiten des Lebens vorbereiten?
Serendipität ist „aktives Glück“. Im Gegensatz zum „blinden Glück“, das uns ohne eigene Anstrengungen widerfährt – beispielsweise im Lotto zu gewinnen oder in eine wohlhabende Familie hineingeboren zu werden – können wir Serendipität selbst fördern. Es geht darum, zufällige Beobachtungen bewusst wahrzunehmen, als Möglichkeit zu verstehen und sie in konkretes Handeln zu verwandeln. Und unsere wissenschaftliche Forschung zeigt: Viele der inspirierendsten und erfolgreichsten Menschen auf der Welt haben dieses Denken erfolgreich kultiviert und aktiv gefördert. Der französische Forscher Louis Pasteur sagte es gut: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“ Damit trifft er den Nagel gut auf den Kopf. Es geht darum, in den verschiedensten Situationen und Begegnungen Potential und Verbindungen zu sehen.

Können Sie die Bedeutung der Serendipität an Beispielen zeigen?
Eine Vielzahl von Innovationen und Erfindungen – aber oft auch die Liebe, das Finden eines neuen Apartments, oder der Karrieresprung – passieren, wenn Zufall und menschliche Handlung zusammentreffen. Nehmen wir ein Produkt, das wir alle gut kennen: Den Rollkoffer. Sein Erfinder Bernhard D. Sadow kam in den 1970er Jahren mit einem prall gefüllten Koffer von einem Familienurlaub zurück – und während er sich in der Schlange am Zoll über seinen unhandlichen Koffer ärgerte, sah er einen Arbeiter, der mühelos eine schwere Maschine auf einem Rollwagen bewegte. Und statt sich weiter über seinen Koffer zu ärgern, montierte er bei der Gepäckfirma, bei der er angestellt war, Möbelrollen unter seinen Koffer und brachte einen Riemen an der Vorderseite an. Er hatte eine zufällige Beobachtung gemacht, diese in Beziehung zu seiner aktuellen Situation gesetzt und eine neue Produktidee entwickelt. Andere Beispiele sind Viagra, Penicillin, Post-it-Notes – und selbst, wie Michelle und Barack Obama sich kennen lernten. (Anm. d. Redaktion: Barack war Michelles Praktikant in einer Anwaltskanzlei.)
Trotzdem wird beruflicher Erfolg in der Retrospektive oft als zwangsläufiges Resultat der eigenen Entscheidungen angesehen. Oft waren es aber Zufälle, die maßgeblich für den Erfolg gewesen sind – unterschätzen wir glückliche Wendungen oder blöde Zufälle als Erfolgs oder Misserfolgsfaktor in der Karriere?
Wir haben alle gerne einen Plan – und gerade in Bewerbungsprozessen neigen wir dazu, unsere Lebensläufe als linear-logische Abfolge von Ereignissen darzustellen. Wir suggerieren, dass jeder Schritt die logische Konsequenz aus dem vorherigen war und übersehen dabei häufig die Rolle, die der Zufall in unseren Lebenslinien gespielt hat. Ein tolles Beispiel dafür ist Shaa Wasmund. Sie gewann während ihres Studiums einen Wettbewerb, bei dem sie als Preis ein Interview mit dem Profiboxer Chris Eubank führen durfte. Während des Interviews verstanden sich Wasmund – die vorher nie mit Boxen zu tun hatte – und Eubank so gut, dass er ihr anbot, seine Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen. So startete eine erfolgreiche Karriere in der Box-PR. Dieses unerwartete Glück, das sich aus zufälligen Momenten ergibt, ist oft sogar entscheidend für den Karriereerfolg.

Wir bedienen uns oft dessen, was Experten „Post-Rationalisierung“ nennen – wenn wir aber den Zufall aus unseren Geschichten und Erzählungen ausblenden, wird es viel schwieriger, Serendipität zu erkennen. Es ist aber nicht „entweder Planung oder Zufall“, das ist eine falsche Dichotomie. Wir können lernen, besser für den Zufall zu planen.
Machen wir demzufolge einen Fehler, wenn wir versuchen, die Success Storys erfolgreicher Menschen zu adaptieren?
Es ist sicher sinnvoll, bei erfolgreichen Menschen Inspiration zu suchen. Problematisch wird es, wenn wir vorgelebtes Verhalten eins zu eins kopieren wollen, vor allem von Leuten, die großes Risiko gegangen sind. Jemand wie Donald Trump wird entweder Präsident oder geht bankrott (oder beides!). Und man kann von Menschen, die durch „blindes Glück“ Erfolg hatten, nicht so viel lernen wie von Menschen, die hart dafür gearbeitet haben, mehr Serendipität zu haben – die also einen Muskel für das Unerwartete entwickelt haben. Man fährt also oft besser, nicht zu versuchen, eine Person direkt zu kopieren – sondern damit, die Muster hinter dem Erfolg von verschiedenen inspirierenden Menschen zu verstehen, und dann davon zu lernen. Man kann sich beispielsweise fragen: Wer sind fünf Menschen, die mich beruflich sehr inspiriert haben – und gibt es Muster, von denen ich lernen kann?
Sie sagen, Offenheit für das Unerwartete sei nicht selten der Schlüssel zum Glück. Geht es bei diesem Gedanken darum, durch sein Verhalten mehr glückliche Zufälle zu provozieren – oder darum, diese Momente besser zu nutzen?
Sowohl als auch. Man hört oft Sätze wie „Wow, was für ein Zufall, dass XYZ passiert ist“. Wenn man aber genauer hinschaut, sind diese scheinbaren Zufälle oft nur deshalb passiert, weil jemand gute Vorarbeit geleistet hat und offen für derartige Situationen ist. Ein Experiment des britischen Psychologieprofessors Richard Wiseman illustriert diesen Punkt sehr gut. Er wählte zwei Testpersonen aus: eine, die sich selbst als Glückspilz ansah, und eine, die sich als Pechvogel betrachtete.

Das Forschungsteam bat die beiden Personen, ein Café zu besuchen, eine Tasse Kaffee zu bestellen und sich zu setzen. Versteckte Kameras auf der Straße vor und im Café selbst filmten sie dabei. Jetzt kommt’s: Die Wissenschaftler legten einen Fünf-Pfund-Schein auf den Bürgersteig direkt vor den Eingang des Cafés, sodass die Personen darüber laufen mussten. Außerdem platzierten sie vier Personen im Café: drei Schauspieler, ein erfolgreicher Geschäftsmann in der Nähe der Kaffeetheke. Was passierte? Nun, die „Glückspilz“-Person ging in Richtung des Cafés, „sah“ den Fünf-Pfund-Schein, hob ihn auf, ging hinein und setzte sich neben den Geschäftsmann. Sie begannen ein Gespräch und freundeten sich an. Die „Pechvogel“- Person hingegen sah den Fünf-Pfund-Schein nicht. Auch diese Person setzte sich neben den erfolgreichen Geschäftsmann, schwieg aber bis zum Ende des Experiments.
Als Wisemans Team die beiden später fragte, wie ihr Tag verlaufen sei, erhielten sie zwei sehr unterschiedliche Antworten: Der „Glückspilz“ beschrieb, dass es ein großartiger Tag gewesen sei, dass er Geld gefunden habe und ein großartiges Gespräch mit einem erfolgreichen Geschäftsmann hatte. Der „Pechvogel“ sagte wenig überraschend, es sei ein „völlig ereignisloser“ Morgen gewesen. Beiden Personen boten sich genau die gleichen Möglichkeiten – aber nur eine von ihnen „erkannte“ sie.
„Man verfehlt 100 Prozent der Torschüsse, die man nicht abgibt“
Wayne Gretzky
Aber hat der „Glückspilz“ nicht auch von seiner Extrovertiertheit profitiert, die nun mal nicht jedem in die Wiege gelegt ist?
Oder, anders gefragt: Gibt es Wege, die Persönlichkeitsentwicklung so zu steuern, dass wir mehr Serendipität erleben können? Extraversion begünstigt oft Serendipität – aber introvertierte Personen können oft Serendipität auch auf anderen Wegen kultivieren. Oftmals kommt es beispielsweise aus „ruhigen Quellen“: Mal eine andere Straße zur Arbeit nehmen, und dann im Buchladenfenster ein neues Buch sehen, dass einem zufällig eine neue Idee für einen Podcast bringt. Oder ein Buch lesen und eine Idee für ein neues Projekt bekommen – es geht oft darum, die Punkte zu verknüpfen. Man kann dies auch im Umgang mit anderen Menschen „trainieren“ – eine Strategie ist, sich zu fragen, wie man in den nächsten 10 Konversationen jeweils eine Idee oder eine Verbindung/einen Kontakt beitragen kann – dann gewöhnt sich das Gehirn nach und nach daran, Verbindungen herzustellen. Und Strategien wie die Hakenstrategie sind besonders gut für introvertiertere Menschen, da sie uns erlauben, uns auf Events und Interaktionen vorzubereiten, wo wir sowieso hinmüssen – und dann Gespräche in tiefergehende Richtungen zu lenken als das Wetter.
Worum geht es bei der Hakenstrategie?
Die kanadische Eishockeylegende Wayne Gretzky hat einmal gesagt: „Man verfehlt hundert Prozent der Schüsse, die man nicht abgibt.“ Damit beschreibt er gut, worum es bei Serendipität geht: Die Erhöhung von Potenzialität und von Kontaktflächen. Eine Strategie, das gut verdeutlicht, ist die sogenannte Hakenstrategie. Wenn der Unternehmer Oli Barrett beispielsweise auf einer Konferenz auf neue Leute trifft, wirft er mehrere Haken aus, um eventuelle Überschneidungen sichtbar zu machen. Wenn er gefragt wird: „Was machen Sie beruflich?“, antwortet er in etwa so: „Ich liebe es, Menschen zu verbinden, ich habe ein Unternehmen im Bildungssektor gegründet, vor kurzem angefangen, mich mit Philosophie zu beschäftigen, aber was mir wirklich Spaß macht, ist Klavierspielen.“ Diese Antwort enthält mindestens vier potenzielle Serendipitätsauslöser: eine Leidenschaft (Kontakte knüpfen), eine professionelle Tätigkeitsbeschreibung (Gründung eines Bildungsunternehmens), ein Interesse (Philosophie) und ein Hobby (Klavierspielen). Wenn er nur mit: „Ich habe ein Bildungsunternehmen gegründet“ geantwortet hätte, wäre die potenzielle Chance für andere, die Punkte miteinander zu verbinden, gering gewesen. So können sich andere den Haken aussuchen, der zu ihrem Leben passt, und es wird wahrscheinlicher, dass Serendipität eintritt, im Großen wie im Kleinen. Es gibt viele dieser Strategien, die „aktives Glück“ wahrscheinlicher machen.

Dieses Glück ist ja nicht nur im beruflichen Kontext interessant. Wer weiß, wie viele Liebesbeziehungen dadurch nicht entstanden sind, weil ein kurze, unerwartete glückliche Fügung oder Begegnung nicht als solche erkannt worden ist.
Absolut. Es kann der Moment in der U-Bahn sein, wo man die Person nicht anspricht, bei der man das Gefühl hatte, dass sie „die Richtige“ hätte sein können. Oder die unerwartete Idee im Meeting, die man nicht in die Diskussion hereinbringt und das dann nach dem Meeting bereut. Wir verpassen unglaublich oft Serendipität – oft aus Angst vor Zurückweisung. Was mir sehr geholfen hat, ist die Umformulierung weg von „Zurückweisung ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn ich mich traue” – also eine Idee einbringe; eine Person anspreche oder ähnliches – hin zu: „Was ist das Schlimmste was passieren kann, wenn ich es nicht mache?” Darauf lautet die Antwort, es für Tage zu bereuen, es nicht getan zu haben. Was für mich schwerer wiegt als eine mögliche Zurückweisung. Mit dieser Umformulieren entwickelt man dann mehr und mehr einen „Bias for Action“.
„Je offener wir sind, desto seltener verpassen wir die großen Chancen im Leben“
Wo haben Sie selbst Serendipität im Leben erlebt?
Mein ganzes Leben fühlt sich wie eine Verkettung von Zufällen an, und Serendipität hat mich mein ganzes Leben lang begleitet – meine Frau und ich sind „zufällig“ zusammen gekommen, viele meiner beruflichen Weggabelungen haben sich scheinbar zufällig ergeben. Es müssen aber nicht immer die großen, lebensverändernden Ereignisse sein. Wir erleben Serendipität auch im Alltag, und je offener wir für diese Ereignisse sind, desto seltener verpassen wir die großen Chancen im Leben.
Professor Dr. Christian Busch ist Wirtschaftsprofessor an der University of Southern California und unterrichtet zudem an der London School of Economics. Er ist der Autor des Bestsellers „Erfolgsfaktor Zufall“.