Im Schaufenster: Kreative, kundenorientierte und technikaffine Absolventen werden Handel und Konsum verändern
Handelsunternehmen und Konsumgüterindustrie befinden sich in der digitalen Transformation. Wer glaubt, es gehe dabei nur um E-Commerce und Online-Marketing, liegt falsch: Die Digitalisierung betrifft die gesamte Supply Chain – und am Ende sind trotz KI und Big Data menschliche Skills entscheidend.
Was muss ich mitbringen, um im Handel erfolgreich zu sein? Für diejenigen, die nach ihrem Studium einen Einstieg in die Welt des Handels, der Lieferanten und der Handelslogistik ins Auge fassen, gilt: Die Branche ist in einem fundamentalen Wandel, der enorme Chancen für Einsteiger mit sich bringt, die etwas bewegen wollen. Denn der Handel braucht frische Ideen, Querdenker und Kreative, die ein Gespür dafür haben, was der Kunde nicht nur heute, sondern auch morgen erwartet, um das perfekte Einkaufserlebnis zu haben.
Die Digitalisierung verändert alles, der Konsument hat permanente Waren- und Preistransparenz und hat immer mehr Möglichkeiten, sich komfortabel beliefern zu lassen, anstatt den stationären Handel zu besuchen. Dabei steht die Frage „Online oder Offline?“ gar nicht mehr im Zentrum der strategischen Überlegungen. Allen Experten ist klar, dass die Customer Journey zukünftig hochgradig individuell sein wird. Die Omnichannel-Konzepte können die immer situativer einkaufenden Kunden also nur dann gewinnen, wenn alle Verkaufskanäle vernetzt sind.
Um dies zu erreichen, sind auf Prozessebene zwei Dinge entscheidend: kluge Datenerhebung und Verwendung sowie eine ausgesprochene Kundenorientierung. Diesem Paradigma folgend, bilden die beiden Nuklei auch den Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, mit welchen Fähigkeiten einem Absolventen eine erfolgreiche Top-Karriere im für diesen Fall äußerst lukrativ entlohnenden Handel offen steht.
1. Kundenzentriertheit als Schlüssel
„Selbst Amazon weiß nicht, wie der Handel in fünf Jahren aussieht“ sagt Dr. Florian Baumgartner auf dem ECR Tag 2017, dem wichtigsten Branchentreff von Handelsunternehmen und Dienstleistern. Baumgartner verantwortet dort den neuen Lebensmitteldienst Amazon fresh und erklärt in seinem Vortrag anschaulich, wie man sich trotzdem entwickelt. Bei dem erfolgreichsten Online-Händler der Welt werden Innovationen nach dem „Working backwards“-Prinzip entwickelt: „Wir versetzen uns in die Lage der Kunden und ihrer Erwartungen und überlegen uns immer, wie wir den Service für sie verbessern können. Von diesem Punkt aus arbeiten wir rückwärts, um zu bestimmen, was dafür getan werden muss.“
Um derart „working backwards” arbeiten zu können, braucht man allerdings eine Vorstellung davon, was Kunden in der Zukunft erwarten. Betriebswirtschaftler sind oft sehr mit der Gegenwart beschäftigt, valide Prognostik über zukünftiges Kaufverhalten wird nur selten behandelt. Deswegen sollte gerade der Management-Nachwuchs über den eigenen Tellerrand schauen und sich mit Gebieten der Sozialforschung oder der Psychologie beschäftigen. Man stelle sich vor: Alle Handelsunternehmen optimieren ihr Geschäftsmodell ausschließlich auf den Prototyp des vom Sofa aus bestellenden Konsumenten, der im Aggregatzustand vollkommener Bewegungslosigkeit nur noch seine Lieferungen annimmt. Dem Wunsch nach Geselligkeit und sozialer Interaktion trägt dieses Konzept aber genauso wenig Rechnung, wie einem Stadtbummel, der ja auch gesundheitsfördernder ist, als das Leben als apathischer Home-Shopper.
Oft ist der direkte Kundenkontakt ein Kulturschock für Berufseinsteiger, dabei ist die Orientierung an Kundenbedürfnissen essenziell!
Das Beispiel mag konstruiert wirken, aber auch bei Fragen der Datenerhebung muss man berücksichtigen, wie weit der Kunde sich von der Technik helfen lassen möchte und an welchem Punkt sein Verständnis aufhört. Sind Kamerasensoren am Point of Sale, die über Affective Computing die Analyse menschlicher Gefühle ermöglichen, um ihm im Geschäft genau die passenden Angebote machen zu können, wirklich das, was sich Kunden wünschen?
Ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen ist genauso wie die Erfahrung des direkten Kundenkontakts eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die Kundenwünsche der Zukunft prognostizieren zu können. Das Studium alleine vermittelt nicht, wie Kunden ticken. Das erfährt man, in dem man raus geht und Jobs in Service und Dienstleistung annimmt, bei denen man Face-to-Face mit Kunden agiert und ein Gespür für deren Bedürfnisse bekommt. Im Hörsaal eignet man sich diese Fähigkeiten nicht an.
Es ist fast überflüssig zu sagen, dass dieser direkte Kundenkontakt in allen Branchen wichtig ist und für Hochschulabsolventen nicht selten einen gänzlich neuen Erkenntnisgewinn bedeutet, wenn sie merken, dass zufriedene Kunden das Rückgrat jedes Unternehmens sind.
2. Digitalisierung ist mehr als E-Commerce: Verstehe die Macht der Daten
Wenn Einsteiger mit dem Thema „Digitalisierung im Handel“ konfrontiert sind, ist die Perspektive zumeist häufig auf E-Commerce-nahe Herausforderungen wie die Verbesserung der User Experience oder dem Online-Marketing gerichtet. Diese Bereiche sind wichtig, im Kern ist die größte Herausforderung für die Handelsunternehmen allerdings, mit Daten richtig umzugehen. Das beginnt schon bei der Beziehung zwischen Lieferanten und Handel: Die digitale Erfassung und Verarbeitung von Stammdaten der einzelnen Produkte etwa ist Grundvoraussetzung für das Betreiben eines zukunftsfähigen Online-Shops, der immer dezidiertere Fragen von Kunden beantworten kann. Die Digitalisierung findet entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette statt und ist nicht nur ein wesentlicher Baustein für Optimierungen der Supply Chain, sondern auch Ausgangspunkt für neue Services oder gar Geschäftsmodelle.
Technologien wie Internet-of-Things, Machine-Learning oder Augmented/Virtual-Reality können den Handel inspirieren und dem Käufer Mehrwert bieten, die Erhebung, Verarbeitung und Analyse der Daten aber bleibt die Grundlage für solche Innovationen. Weil der Datenfluss zukünftig den Warenfluss bestimmen wird, ist Daten-Verständnis ein wichtiger Begleiter für eine Karriere im Handel, die einen nach dem Einstieg als Trainee weitere Türen öffnet in Führungspositionen.
3. Klassische Kompetenzen bleiben weiterhin gefragt
Auch unter dem hohen Druck der Digitalisierung bleiben klassische Management-Kompetenzen im Handel gefragt. Es werden weiterhin Wirtschaftswissenschaftler benötigt, die Filialen und führen sich dabei auf ihre Qualitäten in Personalführung und dem Verständnis aller relevanten Kennzahlen verlassen können sollten. Der stationäre Handel ist nicht tot – im Gegenteil: Selbst klassische E-Commerce-Unternehmen wenden sich der Fläche zu und eröffnen Offline-Stores. Beim chinesischen Online-Giganten Alibaba, der nun auch im Rest der Welt angreifen will, gehört dieses Konzept der Verbindung von Online und Offline seit Jahren zum Markenkern: Um die chinesischen Tante-Emma-Läden zu unterstützen, liefert Alibaba an die stationären Geschäfte Informationen, welche Produkte in ihrem Viertel stark online nachgefragt werden, aber noch nicht zum Sortiment des Händlers gehören. Dieser hat dann die Option, bei Alibaba zu Großhandelskonditionen diese Waren zu bestellen.
Auch eBay will mit einer neuen Initiative die Grenzen zwischen dem stationären und dem Online-Handel aufbrechen („eBay City”). Insbesondere bei emotionalen Produkten, die sich nicht wie Verbrauchswaren des täg-lichen Bedarfs zukünftig wahrscheinlich über Auto-Replenishment-Tools selbst auffüllen werden, bleibt der stationäre Handel sehr wichtig. Die Herausforderung auf der Fläche wird sein, wie das Einkaufserlebnis emotional so aufgeladen werden kann, dass es einen Mehrwert gegenüber dem kühlen Online-Einkauf bietet. Für diese direkte Interaktion mit Kunden und Mitarbeitern braucht es weiterhin klassische Management-Skills, die von Begeisterungsfähigkeit über Mitarbeiterführung bis hin zur zahlenorientieren Ergebniskontrolle reichen. Neben der Filialführung werden im Handel auch weiterhin Einstiegsstellen in Bereichen wie Einkauf, Controlling oder Marketing besetzt werden – man muss also kein Wirtschaftsinformatiker sein, um Perspektiven zu haben. Die klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenzen bleiben gefragt.
4. Handels- und Konsumgüterunternehmen brauchen Innovatoren
Die Digitalisierung ist in vielen Unternehmen keine rein technische, sondern vor allem eine organisatorische Herausforderung. Dies liegt darin begründet, dass der enorme Veränderungsdruck nicht selten auf althergebrachte Hierarchien, tradierte Arbeitsabläufe und eine Belegschaft ohne echte Digital Talents trifft. Im Resultat entstehen in diesen Unternehmen nicht in der Geschwindigkeit neue Konzepte für die Businessmodelle von morgen, wie sie es brauchen. Wenn sich Organisationen nicht so schnell wandeln, wie der Markt es erfordert, müssen die Infusionen von außen kommen: Sehr viele Unternehmen aus dem Handels- und Konsumgütersegment suchen die Kooperationen mit Start-ups, Lehrstühlen und innovativen Entwicklern. Für den Bewerber bei Handelsunternehmen bedeutet das, eigene Kreativität zu zeigen. Ein Praktikum bei einem jungen Digital-Commerce-Unternehmen und die Entwicklung einer eigenen Start-up-Idee machen einen nicht nur interessanter für den ersten Arbeitgeber, sondern schulen darüber hinaus die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
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