„Viele Arbeitgeber wollen anscheinend auch angelogen werden“
Neunzig Prozent aller Versuche, einen Job zu bekommen, scheitern schon ganz am Anfang: Nur eine von zehn schriftlichen Bewerbungen wird von den Arbeitgebern nicht aussortiert. Wenn man die erste Hürde genommen hat, folgt das Interview, in dem vor allem ein strukturiertes Vorgehen auf Unternehmensseite für den Kandidaten herausfordernd ist. Professor Uwe Peter Kanning weiß, wie man beide Schritte erfolgreich meistert.
Der Wirtschaftspsychologe der Hochschule Osnabrück beschäftigt sich damit, nach welchen Kriterien Arbeitgeber Bewerber einstellen. Bei seinen Studien hat er herausgefunden, dass auf Unternehmensseite noch einiges an Luft nach oben ist, wenn es darum geht, die richtigen Verfahren zu praktizieren, nach denen Kandidaten wirklich nach ihrer Eignung ausgewählt werden. Es fängt bei den Anschreiben an, bei denen Bewerber in den seltensten Fällen mit schonungsloser Offenheit punkten können. Aber auch in den Vorstellungsgesprächen zeigen sich Recruiter in ihren Fragestellungen oft unstrukturiert. Wer Sichtweise und Vorgehen der Arbeitgeber kennt, kann sich gezielt auf deren Erwartungen einrichten und seine Chance auf einen Job deutlich erhöhen.
Im Grunde wissen die meisten Arbeitgeber selbst nicht so recht, wen sie genau suchen
Herr Professor Kanning, die Bewerbungsgründe im Anschreiben stellen für Arbeitgeber das wichtigste Kriterium dar. Wie formuliert man diese, sodass das Unternehmen stark interessiert wird?
Die allermeisten Arbeitgeber möchten gern aus den Unterlagen herauslesen, dass sich Bewerber intensiv mit der Stelle auseinandergesetzt haben, einen Be – zug zu den eigenen Kompetenzen oder Motiven herstellen und sich aus voller Überzeugung bewerben. Es empfiehlt sich hier also eine differenzierte Darstellung, die nicht zu sehr nach Ratgeberliteratur aussieht. Man sollte zeigen, dass man Informationen über das Unternehmen eingeholt und nicht nur die Stellenanzeige gelesen hat. Bei der eigenen Motivation darf man ruhig ein wenig übertreiben. Viele Unternehmen wollen scheinbar auch angelogen werden. Allerdings sollte man sehr starke Übertreibungen vermeiden, wenn es sich um „No-Name-Arbeitgeber“ handelt. Niemand glaubt, dass ein Bewerber sein ganzes Leben lang darauf hingearbeitet hat, bei einem Zahnstocher-Hersteller in Castrop-Rauxel arbeiten zu dürfen. Da die Interpretation des An schreibens ein sehr subjektiver Akt ist, ähnelt das Ganze durchaus einem Lotteriespiel.
Fast ebenso wichtig bei der Beurteilung ist, ob der Bewerber zur ausgeschriebenen Stelle passt. Wie bekommt man es hin, in diesem Punkt zu überzeugen, wo doch viele Stellenausschreibungen sehr unkonkret sind?
Das ist genau das Problem. Im Grunde wissen die meisten Arbeitgeber selbst nicht so recht, wen sie genau suchen und arbeiten mit Worthülsen wie „Teamfähigkeit“, „Leistungsorientierung“, „Führungs kompetenz“. Bei größeren Unternehmen könnten man sich einmal die Unternehmenswerte durchlesen und daraus etwas ableiten. Bei kleineren Unternehmen könnte man anrufen und aus dem Gespräch herauslesen, was gesucht wird. Da vielen Firmen selbst nur nebulöse Vorstellungen haben, ist es auch nicht so schlimm, selbst nebulös zu antworten. Ich würde dann aber immer versuchen, einen Bezug zur eigenen Person herzustellen: „Meine besondere Teamfähigkeit zeigt sich daran, dass ich …“. Bei Fachkompetenzen wird die Sache viel leichter. Da sollte man auf konkrete In – halte von Praktika, die Abschlussarbeit oder ähnliches verweisen.
Ehrlichkeit in Bewerbungen zahlt sich nicht unbedingt aus. Wie würden Sie raten, mit der Beschreibung der eigenen Stärken umzugehen?
Die Forschung würde Unternehmen raten, Anschreiben erst gar nicht mehr anzufordern, weil sie letztlich keine diagnostisch wertvollen Informationen enthalten. Die meisten Arbeitgeber honorieren es aber nach wie vor, wenn Stärken dargestellt werden. Ich würde darauf achten, dass meine Stärken zu den nebulösen Anforderungen der Stelle passen. Und auch hier gilt wieder: Es ist vorteilhaft, Beispiele aus dem eigenen Leben zu nennen, um die Darstellung glaubwürdiger zu machen. Bei aller Selbstdarstellung muss man aber ein gewisses Maß an Realitätsbezug wahren. Stellen Sie sich vor der Arbeitgeber glaubt das tatsächlich alles und erwartet, nach der Einstellung, entsprechende Stärken – das kann dann für beide Seiten unangenehm werden.
Ist es sinnvoll, im Anschreiben den Nutzen für den Arbeitgeber in Aussicht zu stellen, die sich aus einer Zusammenarbeit ergeben könnte?
Unbedingt! In einer Befragung von mehr als 200 Unternehmen haben wir herausbekommen, dass fast 60 Prozent der Arbeitgeber so etwas lesen wollen. Es gibt aber wichtigere Punkte. Das sind zum Beispiel die Erklärung, warum man sich beworben hat (83 Prozent), warum man zu der Stelle passt (81 Prozent) und eine Darstellung der eigenen Stärken (70 Prozent).
Welche Rolle spielt heute noch das Foto und worauf achten Personaler dabei?
Seit 2006 dürfen Arbeitgeber in Deutschland keine Fotos mehr anfordern, um Menschen vor Diskriminierung zu schützen. Auch die Forschung würde in den meisten Fällen von einer Deutung der Fotos abraten. Die Realität ist allerdings, dass die meisten Bewerber von sich aus Fotos schicken und die meisten Arbeitgeber auch Wert darauf legen. In unserer Studie zeigte sich, dass die Arbeitgeber insbesondere auf die Qualität des Fotos, die Kleidung und den Gesichtsausdruck achten. Es empfiehlt sich also, Fotos von einem Fotografen anfertigen zu lassen. Bei der Kleidung würde ich lieber ein wenig zu konservativ als zu salopp auftreten, um zu verdeutlichen, wie wichtig mir die Stelle ist.
Beim Thema Lebenslauflücken offenbaren sich Kandidaten selten ehrlich, sondern konstruieren gerade Lebensläufe für den Arbeitgeber. Können Sie anhand dieses Beispiels zeigen, dass Bewerber eher für professionelle Selbstdarstellung belohnt als nach ihrer primären Eignung ausgewählt werden?
Grundsätzlich werden Menschen positiver bewertet, die keine Lebenslauflücken aufweisen, obwohl sie sehr wenig bis nichts aussagen. Bewerber die ihre Lücken schließen, sind also im Vorteil. Ein konkretes Beispiel habe ich nicht. In der Ratgeberliteratur gibt es aber eine Empfehlung, die mir durchaus nützlich er – scheint. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine große Lücke von vielleicht einem Jahr. Wenn Sie jetzt angeben, dass Sie in der Zeit ihre sterbende Mutter bis zu Tode gepflegt haben wird sich wohl kaum jemand trauen, da näher nachzufragen. Die Lücke ist geschlossen und gleichzeitig suggeriert man soziale Verantwortung und Kompetenz.
Welche Rolle spielen für Arbeitgeber bei der schriftlichen Bewerbung Faktoren wie das Sozialengagement und die Hobbys?
Arbeitgeber glauben beispielsweise, dass Menschen, die sich sozial engagieren über höhere soziale Kompetenzen verfügen und Mannschaftssportler teamfähiger sind. Etwa 40 Prozent interessieren sich für Sozialengagement und etwa ein Viertel für Hobbys und sportliche Aktivitäten. Die Forschung würde auch hiervon eher abraten.
Wenn die Hürde „schriftliche Bewerbung“ genommen wurde, geht es in das Vorstellungsgespräch. Sie empfehlen Arbeitgebern, dabei strukturierter vorzugehen, als es oft in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Gibt es eine Vorab-Recherche, die Sie Kandidaten vor einem Interview empfehlen?
Hoch strukturierte Interviews sind in Deutschland sehr unüblich. Die meisten Interviews laufen ab wie vor Jahrzehnten, mit den ewig gleichen Fragen, auf die man die ewig gleichen Antworten zu geben hat. Darauf kann man sich ein Stück weit mit Ratgeberliteratur vorbereiten. Hinzu kommen willkürliche und spontan generierte Fragen, auf die man sich schwer vorbereiten kann, weil unbekannt ist, was dem Interviewer gefällt. Ob man genommen wird oder nicht hängt bei solchen Interviews mehr vom Interviewer als von der Eignung der Bewerber ab. Auf strukturierte Interviews kann man sich nicht gut vorbereiten, weil sie eben sehr viel stärker auf die Stelle und die konkreten Anforderungen zugeschnitten sind.
Welche Fragen zur eigenen Biographie werden in einem strukturierten Interview gestellt?
Man würde zum Beispiel nach konkreten Situationen aus der Berufsbiografie fragen, nach Situationen mit schwierigen Kunden oder der Leitung eines Projektes. Es geht dann darum, die Situation sowie das eigene Verhalten zu beschreiben und zu bewerten. Letztlich geht es darum etwas über stellenbezogene Erfahrungen und Verhaltensorientierungen zu erfahren.
Der Punkt „Biographie“ gilt oft als der jenige, auf den man sich am besten vorbereiten kann, wenn man es mit schlecht vorbereiteten Interviewern zu tun hat. Gilt dies auch auch, wenn die Recruiter einen strukturierten Leitfaden haben?
In einem guten, hoch strukturierten Interview hat man keine Chance, das Gespräch thematisch in die eine oder andere Richtung zu drängen. Die Fragen stehen zu 90 Prozent vorher fest. Das ist wie bei einer Klausur. Da hilft es mir auch nicht, wenn ich mein ganzes Wissen über Geometrie ausbreite, wenn sich die Frage auf Algebra bezieht. In einem unstrukturierten Interview sieht das ganz anders aus. Hier könnte man versuchen von einem spannenden Projekt zu berichten, dass einen aus der Masse hervorhebt. Erfolgversprechend dürften auch biographische Inhalte sein, bei denen man eine Gemeinsamkeit mit dem Interviewer aufweist. Bewerber, die den Interviewern in Biographie, Werthaltung et cetera ähnlicher sind, werden in unstrukturierten Interviews auch positiver bewertet.
Die Auseinandersetzung mit dem Unternehmen und der Stelle ist essentiell
Wie bereiten sich Kandidaten am besten auf situative Fragestellungen vor und worauf achten Interviewer bei der Antwort ganz besonders?
Auch darauf kann man sich kaum vorbereiten. Gute situative Fragen sind vergleichbar zu einer Arbeitsprobe. Sie beschreiben konkrete Situationen aus dem Berufsalltag der zu besetzenden Stelle. Die Bewerber sollen die Situation bewerten und eigenes Verhalten beschreiben. Bewertet wird das Ganze vor dem Hintergrund einer Anforderungsanalyse, die man zuvor im Unternehmen durchgeführt hat. Die Bewertungskriterien sind also auch hier sehr spezifisch. Im Grunde genommen profitieren beide Seiten von solch hoch strukturierten Verfahren. Sie können nachweislich besser die berufliche Leistung prognostizieren. Der Arbeitgeber bekommt Mitarbeiter, die mehr Leistung bringen und der Bewerber bekommt eher eine Stelle, die zu ihm selbst passt.
Nehmen Sie bitte an, Ihnen würde als Kandidat eine Fachfrage gestellt werden, zu der Sie überhaupt keinen Zugang finden. Wie rettet man dann am besten die Situation?
Ich würde ganz offen zugeben, dass ich keine Ahnung hätte und signalisieren, dass ich mir aber gern die fehlenden Dinge noch aneignen würde, falls ich die Stelle bekäme.
Gerade bei Berufseinsteigern können Kandidaten nicht anhand ihrer Erfahrungen beurteilt werden. Entscheidend für den Arbeitgeber ist das Potenzial, das er im Bewerber zu er – kennen glaubt. Anhand welchen Vorgehens wird Potenzial festgestellt?
Die Berufserfahrung ist ein sehr viel schlechterer Prädiktor der zukünftigen Leistung, als viele Menschen glauben. In einem Auswahlverfahren würde ich daher immer auch die fachliche Eignung von erfahrenen Bewerbern hinterfragen. Manchmal sind Berufseinsteiger fachlich qualifizierter als die alten Hasen. Im Grunde geht es in der Personalauswahl immer darum, Mindestanforderungen zu definieren. Je weiter jemand unter den Anforderungen liegt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Person dies ausgleichen kann. Oder anders ausgedrückt, desto geringer ist das Potenzial, die Aufgaben der Stelle später mit Erfahrung und Training gut bewältigen zu können. Potenzialanalysen sind Assessment Center, die sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten. Hierbei geht es um die Planung von Weiterbildungs- und Coaching-Maßnahmen. Das Ziel ist hier gar nicht, möglichst gut abzuschneiden, sondern ein realistisches Bild abzugeben. Nur so kann man auch selbst von den später maßgeschneiderten Fördermaßnahmen profitieren. Wer hier „betrügt“, schadet sich nur selbst.
Was erwarten Arbeitgeber an durchdachten Fragen des Kandidaten im Gespräch?
Auch hier sollte man zeigen, dass man sich mit der Stelle, beziehungsweise dem Unternehmen auseinandergesetzt hat. Es sollten Fragen sein, die etwas mit der Stelle und der eigenen Position im Unternehmen zu tun haben: Verantwortungsbereiche, Weiterbildungsmöglichkeiten, Entwicklungsmöglichkeiten.
Für die meisten Absolventen sind es die ersten Interviews in ihrem Leben, die sie nach ihrem Studium führen. Welche Empfehlungen geben Sie denjenigen, die sich unsicher fühlen?
Üben, um Furcht zu verlieren und Sicherheit aufzubauen! Hochschulen bieten in der Regel im Career-Center Seminare an, in denen man das Verhalten in üblichen Einstellungsinterviews einüben kann. In der Bewerbungsphase könnte man sich ruhig auch mal bei ein paar unattraktiven Arbeitgebern bewerben, um hier Erfahrungen mit Interviews zu sammeln, ehe man bei seinen präferierten Unternehmen ins Rennen geht.
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Uwe Peter Kanning ist sowohl Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück als auch Autor und Herausgeber von 30 Fachbüchern und Testverfahren. Zu den Arbeitsschwerpunkten des vielfach ausgezeichneten Professors gehören Personaldiagnostik und fragwürdige Methoden der Personalarbeit.