„Eine reine Männerdomäne ist die IT nicht mehr“
Bei der Bundesbank sind Tech-Frauen längst keine Seltenheit mehr. Esther Recktenwald ist seit Juli 2023 stellvertretende Leiterin der IT bei der Bundesbank und hat einen beeindruckenden Weg zurückgelegt – ganz ohne formelles Informatikstudium. Ihre Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch die IT keine reine Männerdomäne mehr ist. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie vielfältig und entscheidend die Rolle von Frauen in diesem Bereich ist und noch werden wird.
Sie sind Teil des IT-Führungsduos bei der Bundesbank. Erzählen Sie uns doch bitte zum Einstieg etwas von Ihrem Weg, der Sie von der Beratung nun zu einer der wichtigsten Behörden geführt hat.
Schon während ich verschiedene Unternehmen im Finanzsektor und Organisationen im öffentlichen Dienst rund um Digitalisierung und Transformation beraten habe, wollte ich meine Kundinnen und Kunden davon überzeugen, dass Veränderungsprozesse eine technologische Komponente haben. Und dass es in einem Unternehmen beispielsweise keine künstliche Trennung zwischen IT-Abteilung und Fachbereich geben sollte. Gleichzeitig waren das immer Projekte auf Zeit, bei denen es darum ging, wichtige Impulse zu setzen. In der Bundesbank habe ich nun die Gelegenheit, einen tiefgreifenden digitalen Transformationsprozess nachhaltig zu begleiten und bis zum Ende mitzugestalten. Und das Ergebnis mitzuerleben. Ich will erfahren, was die Veränderungen mit uns machen.
Sie selbst haben nicht Informatik studiert. Oft gibt es die Vorstellung, dass nur ausgeprägte Coder im Verlauf Ihres Berufslebens Zugang zu einer Karriere im IT finden. Warum stimmt dies nicht?
Ich kenne die ganzen Mythen und Legenden über Informatiker. Dass nur ein Informatik-Abschluss zur Arbeit in der IT qualifiziert, dieses Vorurteil begleitet mich schon eine ganze Weile. Doch ein zehn Jahre alter Abschluss hilft mir eventuell herzlich wenig, wenn ich nicht in der Lage bin, Trends zu erkennen, zu bewerten und mit dem größtmöglichen Nutzen einzusetzen. Und da sich Technologien in immer kürzeren Innovationszyklen entwickeln, ist es unglaublich wichtig, sich regelmäßig aus- und weiterzubilden und mit der Zeit zu gehen. Worauf ich hinaus will: Informatikkenntnisse sind zweifelsohne wichtig, aber es gibt andere Qualifikationen und Fähigkeiten, die in der IT ebenso gebraucht werden – auch fachliche. Wir brauchen unter anderem Menschen mit wirtschaftswissenschaftlichen wie juristischen Kenntnissen. Und auch das Bild der introvertierten Nerds ist ziemlich antiquiert. Wir haben bei uns auch extrovertierte, meinungsstarke Kolleginnen und Kollegen. Unsere Vielfalt ist generell enorm. Und das auch, weil wir immer mehr Frauen werden. Eine reine Männerdomäne ist die IT nicht mehr. Und das ist wichtiger, als man auf Anhieb vermuten würde.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel mit Blick auf Künstliche Intelligenz. Natürlich ist es als IT unsere Aufgabe, die technische Basis zur Verfügung zu stellen. Doch in einem zweiten Schritt geht es darum, mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Fachbereichen passende Anwendungsfälle aufzubauen. Wir gestalten und programmieren dabei heute die Algorithmen, die morgen viele Prozesse unserer Arbeits- und Lebenswelt definieren. Da ist es ungemein wichtig, dass das zum Beispiel von ebenso vielen Frauen wie Männern gemacht und beeinflusst wird. Diversität wird die Qualität der Ergebnisse erhöhen.
Beschreiben Sie uns doch bitte, was genau zu Ihren Aufgaben gehört.
Das Schöne ist, dass kein Tag dem anderen gleicht. Wenn ich also mein Aufgabengebiet beschreiben soll, kann ich jetzt nur etwas vergessen (lacht). Beispielsweise gehört dazu, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen die Stabilität, Sicherheit und Resilienz unserer kritischen Systeme zu gewährleisten – etwa im Bereich des nationalen und internationalen Zahlungsverkehrs, den die Bundesbank als Teil des Eurosystems maßgeblich sicherstellt. Mich mit neuen Technologien und Trends zu beschäftigen, nimmt mich ebenfalls stark in Anspruch. Das gilt für unser Cloud-Projekt, das wir innerhalb der IT, aber auch für alle anderen Fachbereiche vorantreiben, oder auch für die Arbeiten zum digitaler Euro, die für die Bundesbank eine hohe Priorität haben. Und dann ist da noch das Thema „Ende-zu-Ende-Prozesse“. Wir haben uns in der Bank vorgenommen, unser Leistungsangebot viel stärker nach diesem Prinzip auszurichten. Und das bedeutet auch, sich organisatorisch zu verändern.
Sie stehen in der digitalen Transformation vor Herausforderungen. Cloud Technology und Cyber Security sind nur zwei der Themen, die eine hohe Relevanz im Finanzsektor haben. Welche konkreten Fragestellungen und operativen Antworten sehen Sie in den kommenden Jahren als die spannendsten an?
Am liebsten würde ich sagen: Alle! Für uns wird es immer darauf ankommen, dass wir Trends rechtzeitig erkennen und verifizieren, was sie für die Bundesbank bedeuten. Das muss gar nicht heißen, dass wir sofort auf den Zug aufspringen, aber wir sollten wissen, warum ein technologischer Trend in Zukunft relevant werden könnte. Aber da Sie Cloud und Sicherheit genannt haben. Beides können wir nicht getrennt voneinander betrachten. Und allein auf die vielen Fragen, die sich daraus ergeben, die richtigen Antworten zu finden, wird mehr als spannend.
Sie haben es bereits angesprochen. Gerade in der IT beschleunigen sich die Innovationszyklen immer mehr. Das Thema Cloud ist für die Bundesbank dabei von großer Bedeutung. Warum?
Services in der Cloud nutzen zu können, wird uns das Arbeitsleben leichter machen. Dabei geht es uns nicht nur darum, Prozesse optimieren zu können, also effizienter zu werden. Damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir haben uns als Behörde bewusst entschieden, neben dem Aufbau einer eigenen Private Cloud auch den Schritt in die Public Cloud zu gehen. Das ist für die Bundesbank eine große Sache – und in gewisser Weise ein technologischer Kulturwandel. Soweit wir wissen, gehören wir in diesem Umfang und auch mit der organisatorischen Konsequenz, wie wir es vorhaben, zu den ersten Behörden, die diesen Schritt gehen. Doch nur auf diesem Weg können wir auch das innovative Potenzial von Public-Cloud-Angeboten für uns dauerhaft nutzen. Ich denke da etwa an unsere Verantwortung und die kommenden Herausforderungen in der Banken- und Finanzaufsicht oder im Zahlungsverkehr. Für sie werden wir mithilfe von Cloudservices viel besser gerüstet sein und auch zukünftig wichtige Services anbieten können. In die Cloud zu gehen, ist ein langfristiges Investment, und wir sind bereit, dafür auch die Art und Weise zu verändern, wie wir uns organisieren und zusammenarbeiten. Ich meine damit neue Teamstrukturen, neue Rollen, neue Denkweisen, auch mehr Eigenverantwortung und eine noch stärkere Vernetzung – einen organisatorischen Kulturwandel also. Da passiert gerade sehr viel bei uns. Und es ist großartig, ein Teil davon zu sein.
Sie sind eine von vielen Frauen in Führungspositionen bei der Bundesbank. Welchen Stellenwert hat das Ziel Geschlechterparität auf Managementebene bei der Bundesbank?
Wir unterstützen natürlich die im Bundesgleichstellungsgesetz formulierten Ziele, bis Ende 2025 die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen zu erreichen. Mir ist jedoch eine andere Botschaft sehr wichtig: Für uns in der IT der Bundesbank ist Geschlechterparität unabhängig von Führungsaufgaben von großer Bedeutung.
Ich möchte nämlich nicht den Frauen, die schon bei uns sind oder noch zu uns kommen, den Eindruck vermitteln, dass sie nach oben kommen müssen und das möglichst schnell. Wir wollen Geschlechterparität auf allen Ebenen erreichen. Aber wir unterstützen grundsätzlich alle Frauen dabei, die gerne Führungskräfte werden würden. Wir haben genügend weibliche Vorbilder in der Bank und die entsprechenden Unterstützungs- und Entwicklungsangebote wie Mentoring-Programme, einen Talentpool und Coaching-Angebote.
Bis 2035 gehen dem deutschen Arbeitsmarkt netto sieben Millionen Arbeitskräfte verloren. Im IT-Bereich können heute schon viele Stellen nicht besetzt werden. Wen sucht die Bundesbank in den kommenden Jahren?
Allein der Wechsel in die Cloud ist für uns technologisch wie organisatorisch ein verdammt großer Schritt. Und wir werden Menschen brauchen und suchen, die nicht nur die nötige Fachexpertise besitzen, sondern mit uns gemeinsam Neuland betreten. Die große Veränderungen miterleben und mitgestalten wollen. Das gilt für verschiedene Bereiche: Strategie, Architektur, Sicherheit, Trends. Da werden wir in naher Zukunft diverse Stellen ausschreiben. Aber auch in unseren klassischen IT-Bereichen. Es ist ja nicht nur das Thema Cloud, das übrigens im gesamten System der europäischen Zentralbanken an Relevanz gewinnen wird. Auch am digitalen Euro mitzuarbeiten, ist eine ungemein reizvolle Aufgabe.
„Wir werden Menschen brauchen, die mit uns gemeinsam Neuland betreten.“
Und was kann die Bundesbank Kandidat:innen bieten?
Man muss vermutlich viele Jahre zurückblicken, um bei der Bundesbank einen Zeitpunkt zu finden, an dem sich so vieles so grundlegend verändert hat. Gleichzeitig müssen wir den Betrieb einer kritischen Infrastruktur sicherstellen, die essenziell für unser Wirtschafts- und Finanzsystem ist. Die hilft, die Inflation zu bekämpfen oder den Zahlungsverkehr gewährleistet. Die Menschen müssen sich auf die Bundesbank verlassen können. Wer solche Herausforderungen liebt, ist bei uns genau richtig. Wer dabei mitmachen möchte, wie sich eine große Behörde mit langer Tradition stark verändert, ist es auch. Und neben allen Vorteilen, die Bundesbank als Behörde im öffentlichen Dienst zu bieten hat, möchte ich vor allem unser Aus- und Weiterbildungsangebot nennen. Wer heute als Cloud-Entwickler oder -Entwicklerin einsteigt, ist in ein paar Jahren vielleicht als KI-Spezialist gefragt, und deshalb sorgen wir dafür, dass man sich weiterentwickeln kann. Deshalb ist uns auch das Thema Mobilität innerhalb der IT so wichtig.
Mein Gefühl ist, dass Frauen gerade eine wahnsinnige Kraft entwickeln, sich zu unterstützen. Heute sind Sie selbst Mentorin, aber gibt es eine Frau, die Sie (für sich selbst oder für Studentinnen) als einflussreiches Role Model sehen?
Da gibt es eine ganze Reihe von Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen am Ende ein breites Spektrum an Fähigkeiten oder Eigenschaften abdecken, die ich einfach gut finde. Das können Geschäftsführerinnen wie IT-Verantwortliche genauso sein wie weibliche Vorbilder aus der Politik oder Filmbranche. Das geht also von Julie Sweet über Jacinda Ardern bis hin zu Jennifer Lopez. Es ist cool, zu sehen, dass Frauen in allen Bereichen brillieren können. Und es sind alles Frauen, die ihren eigenen Weg gegangen sind und nicht den Weg der Männer kopiert haben. Die von ihren Fähigkeiten überzeugt sind. Das beeindruckt mich.
Eine weitere Story zu Frauen in Tech-Berufen findest du hier verlinkt.