„Generalisten mit multidisziplinärem Ansatz“
Die Prominenz der Big 4 aus Deloitte, KPMG, PwC und EY sorgt dafür, dass Studierende bei der Karriereplanung zunächst an deren Internationalität, Renommee und Kundenkreis denken. Aber auch der WP-Mittelstand hat einiges zu bieten und ist für einen bestimmten Typus Mensch möglicherweise sogar die bessere Wahl. Jörg Hossenfelder, Geschäftsführer des Research- und Beratungsunternehmens Lünendonk & Hossenfelder und ausgewiesener Kenner des Marktes, klärt auf, welche wesentlichen Fakten du vor einer Bewerbung berücksichtigen solltest.
Die EU-Taxonomie stellt mittelständische Unternehmen vor neue Berichtspflichten im Bereich ESG (Environmental, Social, Governance) – und eine Vielzahl von ihnen wird die neuen Anforderungen nicht ohne externe Expertise erfüllen können. Für mittelständische Wirtschaftsprüfungen bietet dies erhebliche Wachstumschancen, können sie doch auf bestehende Kundenbeziehungen vertrauen und diese nutzen, um ihre Services rund um die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erweitern.
Die persönlichen Beziehungen, die mittelständische WP-Gesellschaften zu ihren Kunden pflegen, bieten ihnen dabei unbestritten einen Vorteil gegenüber den größeren Prüfungsfirmen. Entscheidend für den Erfolg wird jedoch sein, die Komplexität der neuen Vorschriften zu bewältigen und das benötigte Know-how – auch personell – aufzubauen. Wirtschaftsprüfungshäuser müssen ihre Mitarbeitenden entsprechend weiterbilden und zusätzliche Kompetenzen aufbauen. Dies ist gerade für den WP-Mittelstand angesichts des Fachkräftemangels und des Konkurrenzdrucks durch die Big Four eine riesige Herausforderung.
Hohes Potenzial bei Beratungsfeldern Cyber Security und KI

Neben dem Aufbau von ESG-Expertise sind die WP-Gesellschaften jedoch auch an anderer Stelle immens gefordert. Technologiethemen – insbesondere Cyber Security und Künstliche Intelligenz – sind für ihre Mandanten von entscheidender Bedeutung. So überrascht es nicht, dass die WP-Gesellschaften hier ein lukratives Geschäft wittern. Die Next Six – das mittelständische Verfolgerfeld der Big Four mit einem internationalen Netzwerk-Brand – rechnen hierbei mit sehr starken (67 %) beziehungsweise starken (33 %) Umsatzzuwächsen. Entsprechend groß ist der Innovations- und Investitionsdruck bei den Audit-Häusern, sich in diesen Beratungsfeldern Kompetenz anzueignen. Das schlägt sich auch in den IT-Budgets nieder: Die mittelständischen Prüfungshäuser werden 2024 nahezu 3 Prozent ihrer Umsätze in Digitalisierung investieren – über den reinen IT-Betrieb hinaus. Das ist mehr als im Vorjahr (2,8 %), und auch ein höheres Investment als die Gesamtheit der WP-Gesellschaften (2,5 %).
Das Thema Digitalisierung steht bei den CFOs, zusammen mit ESG, also ganz oben auf der Agenda – auch um die interne Organisation und Prozesseffizienz voranzutreiben. Dabei liegt der Fokus in der Digitalstrategie der mittelständischen Prüfhäuser besonders in der Standardisierung der Abschlussprüfung (62 % sehr starker, 38 % starker Fokus) sowie auf Künstlicher Intelligenz (43 % sehr starker, 47 % starker Fokus). Intern sowie extern ist der Digitalisierungsdruck also enorm und die WP-Gesellschaften sehen die Aufwände für Digitalisierung und KI zunehmend als sehr große Herausforderung – die Next Six mehr noch als die Gesamtheit der Prüfhäuser.
„Das Tätigkeitsfeld wird immer attraktiver, die Aufstiegschancen sind zudem sehr gut“
Hohe Nachfrage nach Kandidat:innen: Der War for Talents bleibt stark
Größter Hemmschuh jedoch ist und bleibt für die Branche die erschwerte Rekrutierung von qualifiziertem Personal, denn nur mit neuen Talenten lassen sich neben den Kernaufgaben die Themenfelder ESG und Digitalisierung vorantreiben. Laut ifo Institut finden 69,2 Prozent der Wirtschaftsprüfungen und Steuerberatungen nicht den Bewerber oder die Bewerberin, die sie benötigen. Die Suche nach qualifiziertem Nachwuchs gestaltet sich zunehmend schwierig. Beim Wettbewerb um die knappen Talente werden Arbeitgeberattraktivität und angebotene Benefits ausschlaggebend.
Fakt ist: Das traditionelle Berufsbild des Wirtschaftsprüfers entspricht nicht mehr der Realität, das Aufgabenspektrum ist durch KI, Digitalisierung und ESG vielfältiger geworden, und auch das Klischee des ständigen Reisens ist in Zeiten von Remote-Arbeit überholt.
Das Tätigkeitsfeld von Wirtschaftsprüfern wird indes immer attraktiver, und die Aufstiegs- und Entwicklungschancen sind aussichtsreich. Bedauerlich ist, dass die Zahl der Examensabsolventen in der Wirtschaftsprüfung rückläufig ist; das WP-Examen muss dringend den modernen Anforderungen an einen Wirtschaftsprüfer angepasst werden.
„Die Prüfung und auch die Steuerberatung sind das Kerngeschäft des WP-Mittelstands“
Karriere bei den Big Four oder im Mittelstand? Unterschiedliche Pluspunkte
Was aber unternehmen nun die Wirtschaftsprüfungen in Sachen Arbeitgeberattraktivität? Mit welchen Vorzügen und Benefits punkten die Big Four, und was spricht eher für eine Karriere im Mittelstand? Die Großen in der Branche bieten jungen Talenten mit ihrer internationalen Ausrichtung Zugang zu großen, globalen Kunden und die Arbeit in internationalen Teams und Niederlassungen im In- und Ausland. Wer sich auf eine Nische oder bestimmte Branche spezialisieren möchte, ist bei den Big Four gut aufgehoben.
Mittelständische Prüfer hingegen bieten zwar weniger internationale Möglichkeiten als die großen Konzerne, zeichnen sich jedoch durch einen multidisziplinären Ansatz aus. Die Prüferinnen und Prüfer sind hier eher „Generalisten“, mit frühzeitig engem Kontakt zu Mandanten im nationalen oder regionalen Raum. Ganz grundsätzlich lockt eine Partnerschaft in einem Prüfungshaus den WP-Nachwuchs nicht mehr so wie in der Vergangenheit und auch die Kanzleien stellen das Modell auf den Prüfstand. Gründe hierfür sind der Fachkräftemangel, Finanzierungslücken und gegebenenfalls auch Pensionszusagen.

Die Einstiegshürden in die Beratung sind geringer als in die Wirtschaftsprüfung
Die Young Talents müssen sich der Unterschiede im Portfolio bewusst sein: Bei den mittelständischen WP-Gesellschaften ist und bleibt das Segment Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung das Kerngeschäft, wohingegen bei den Big Four die Consulting-Sparte inzwischen der größte Umsatzbringer ist – und auch die höchsten Margen aufweist. Wichtigste Aufgabe im Audit-Segment wird das Prüfen bleiben, auch wenn Aspekte rund um ESG und KI die benötigte Expertise verändern.
Die Consulting- und Advisory-Sparten der WP-Gesellschaften bieten ein vielfältigeres Aufgabengebiet, das auch Experten aus Bereichen wie KI, Data & Analytics oder Nachhaltigkeit anspricht. Die Einstiegshürden für eine Karriere in der Beratung sind geringer, und das Consulting spricht ein diverseres Bewerberspektrum an – jünger, weiblicher, mit unterschiedlichen akademischen Backgrounds.
Ob in der Prüfung oder in der Beratung, eine Karriere im WP-Mittelstand ist vielversprechend – zumal die Branche sich dynamisch entwickelt. Aktuell überzeugen besonders diejenigen mittelständischen WP-Gesellschaften mit exklusivem Vertretungsrecht eines starken Netzwerks in Deutschland – sie weisen in den vergangenen Jahren die höchsten Wachstumsraten auf. Dazu zählen aus den Next Six beispielsweise Forvis Mazars (+21,4 Prozent in 2023) und aus dem Verfolgerfeld dhpg (+48,6 %, auch anorganisch bedingt).
Für den Mittelstand in der Wirtschaftsprüfung zeichnet sich eine zunehmende Marktkonsolidierung ab, und die Entwicklung in der Branche dürfte durch Übernahmen und Zusammenschlüsse spannend bleiben – nicht nur für uns Marktbeobachter von Lünendonk, sondern besonders auch für die Talente von morgen.

Autor Jörg Hossenfelder ist Kommunikations- sowie Politikwissenschaftler und studierte bis 2000 an den Universitäten Mainz und Bologna. Nach seinem Studium beriet er als Kommunikations-Berater Business-to-Business-Unternehmen. 2004 übernahm er die Leitung der Research-Abteilung bei Lünendonk & Hossenfelder. Seit Juli 2005 ist Hossenfelder Geschäftsführer, seit 2009 Geschäftsführender Gesellschafter.
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