
Professor Dr. Dietmar Fink und Bianka Knoblach überprüfen regelmäßig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und wissen genau, wie sich das Berufsbild der Prüfer aktuell verändert. Am Beispiel der nicht-finanziellen Reportings erklären sie im exklusiven Interview, welche neuen Geschäftsfelder im Bereich von Nachhaltigkeitsthemen entstehen und dabei wichtige gesellschaftliche Fragen berühren.
Als Sie die Befragungen zu Ihrer letzten Studie zu „Deutschlands besten Wirtschaftsprüfern“ im Herbst/Winter 19/20 durchführten, war noch keine Corona-Krise erkennbar und auch Wirecard war noch im DAX. Nun bereiten Sie die 2022er Studie vor. Wie blicken Sie persönlich heute auf die Branche und welche neuen Fragestellungen im Vergleich zu vor zwei Jahren interessieren Sie aktuell ganz besonders?
Bianka Knoblach: So ganz haben wir die Wirtschaftsprüferbranche auch seit unserer letzten großen Studie natürlich nicht aus den Augen gelassen. 2020 beispielsweise, auf dem Höhepunkt von Corona und des Wirecard-Skandals, haben wir in einer Befragung von über 1.000 Führungskräften die Beratungssparten von Deloitte, PwC, KPMG und EY gegen die wichtigsten klassischen Managementberatungsunternehmen gebenchmarkt.
Wie nicht anders zu erwarten, sind damals vor allem die Werte von EY drastisch eingebrochen. Aber auch die Spill-over-Effekte auf die übrigen drei der Big Four waren deutlich erkennbar. Da ist quasi die gesamte Wirtschaftsprüferbranche in einen Reputationsstrudel geraten.
Dietmar Fink: Das Gleiche haben wir auch an anderer Stelle festgestellt – bei kleinen und mittelgroßen Gesellschaften, die sich plötzlich gegenüber ihren Kunden für Dinge rechtfertigen mussten, mit denen sie selbst nicht das Mindeste zu tun hatten. Wir sind sehr gespannt, ob dies ein dauerhafter Imageschaden ist. So ganz glauben können wir das nicht, denn in den über 20 Jahren, die wir die Prüfer- und Beraterbranche jetzt analysieren, hat sich immer wieder gezeigt, dass die Mandanten zum Vergessen neigen. Ob sich das Negativbild allerdings auch im Recruiting schnell wieder korrigieren lässt, das wird erst die Zeit zeigen.
Welche Auswirkungen erwarten Sie durch das neue Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG), das Reformen zu Rotation, Trennung von Prüfung und Beratung sowie Haftung für Abschlussprüfer enthält?
Bianka Knoblach: Da gehen die Meinungen auseinander. Manche Marktbeobachter halten die Maßnahmen für sehr sinnvoll, andere betonen vor allem die Risiken, die mit ihnen verbunden sind. Nehmen wir beispielsweise die Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers. Die Haftungsvolumina für fahrlässige oder vorsätzliche Fehler sind deutlich erhöht worden. Bei vorsätzlichem Handeln haftet der Prüfer sogar unbegrenzt. Befürworter argumentieren, dass dies den Qualitätsdruck auf die Prüfer erhöht. Vordergründig klingt das erstmal sehr nachvollziehbar.
Es gibt aber auch mahnende Stimmen, die darauf verweisen, dass sich Wirtschaftsprüfer ohnehin gegen mögliche Strafzahlungen rückversichern. Sie befürchten, dass aufgrund von höheren Versicherungsprämien lediglich die Prüfkosten steigen werden und dass, weil sich so manche kleinere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die teuren Versicherungen nicht leisten kann, letztendlich die vom Gesetzgeber eigentlich nicht gewollte Konzentration am Prüfermarkt weiter zunimmt – und damit der Einfluss der Big Four.
Dietmar Fink: Auch die Rotationspflicht könnte in die gleiche Richtung laufen. Unternehmen von öffentlichem Interesse – im Grunde also alle kapitalmarktorientierten Unternehmen, alle Versicherungen und die allermeisten Banken – müssen nun spätestens alle zehn Jahre einen neuen Abschlussprüfer beauftragen, also eine neue Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die ihren Jahresabschluss testiert. Ausnahmen gibt es nicht mehr. Auch das macht auf den ersten Blick durchaus Sinn, will man dadurch ja einer zu starken Nähe des Prüfers zum Mandanten vorbeugen, die seinen neutralen Blick trüben könnte. Andererseits zeigt die jüngste Vergangenheit, dass im Zuge der Rotation deutlich mehr Unternehmen von einer mittelständischen zu einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wechseln als umgekehrt. Was nicht das Beste ist, wenn man den Konzentrationsgrad der Branche im Blick hat.
Und wie sieht es mit der Trennung von Prüfung und Beratung aus?
Dietmar Fink: Vor allem darf ein Abschlussprüfer nun keine Steuerberatungs- oder Bewertungsleistungen mehr für ein von ihm geprüftes Unternehmen von öffentlichem Interesse erbringen und auch nicht für dessen Tochter- oder Muttergesellschaften in der EU. Bisher war dies nicht per se verboten, sondern nur, wenn bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Zudem dürfen die Honorare, die ein Abschlussprüfer für andere Nicht-Prüfungsleistungen in Rechnung stellt, ohnehin nicht mehr als 70 Prozent des durchschnittlichen Honorars für die Abschlussprüfungsleistungen der vorangegangenen drei Jahre betragen. In Ausnahmesituationen war es bisher möglich, diese Honorargrenzen in gewissem Umfang und für eine gewisse Zeit zu überschreiten. Das wurde für Unternehmen von öffentlichem Interesse nun gestrichen.
Bianka Knoblach: Die Trennung von Prüfung und Beratung steht ja immer wieder einmal auf der politischen Agenda. Grundsätzlich leuchtet das auch ein: Wie soll ein Abschlussprüfer etwas, was er zuvor in der Rolle eines Beraters selbst empfohlen hat, hinterher neutral prüfen? Dass dieses Thema allerdings gerade jetzt im Zuge des Wirecard-Skandals wieder auf das Tablett gebracht wird, zeugt von einer gewissen Einfallslosigkeit der Politik. Denn mit dem Wirecard-Betrug hatte die Verquickung von Beratung und Prüfung wenig zu tun. Außerdem haben manche Konzerne ohnehin bereits Governance-Regeln, die eine viel striktere Trennung von Beratung und Prüfung festschreiben als es der Gesetzgeber fordert.
Hat Corona zu einer weiteren Standardisierung von Abschlussprüfungen geführt und sorgen die durch Software automatisiert erledigten Teile der Abschlussprüfung nicht dafür, dass der oder die Wirtschaftsprüferin viel stärker den Part eines beratenden Prüfers übernimmt, sodass dies am Ende nicht fast zwangsläufig dafür sorgt, dass Prüfung und Beratung engere Bande knüpfen?
Bianka Knoblach: Corona hat der Digitalisierung auch in der Wirtschaftsprüferbranche einen weiteren Schub verliehen. Im Grunde wird dabei eine Entwicklung konsequent fortgeschrieben, die bereits vor der Corona-Pandemie an Fahrt aufgenommen hatte: Künstliche Intelligenz und Big-Data-Anwendungen etwa können Prüfern dabei helfen, Anomalien im Buchungsstoff aufzudecken, Prozessschwächen offenzulegen oder Zusammenhänge mit finanzfremden Daten herzustellen. Da liegt es nahe, dass Mandanten nicht nur daran interessiert sind, wie man die neuen Technologien am besten einsetzt, um die Richtigkeit von Buchungen zu überprüfen. Sie erwarten sich vielmehr völlig neue Erkenntnisse über das eigene Unternehmen. Und da geht die Prüfung dann tatsächlich nahtlos in die Beratung über.
Heißt dies, dass immer komplexere Prüfungen auch das Anforderungsprofil verändern?
Dietmar Fink: Das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers ändert sich momentan ganz maßgeblich. In der Vergangenheit waren vor allem finanzwirtschaftliche, steuerliche und buchhalterische Kompetenzen gefragt. In Zukunft geht es darüber hinaus auch um den professionellen Umgang mit verschiedensten Technologien. Und zwar nicht nur solchen, die die Wirtschaftsprüfer selbst einsetzen, um ihre eigene Tätigkeit effizienter und effektiver zu gestalten, sondern auch und vor allem um solche, auf die die Prüfer und Prüferinnen bei ihren Mandanten treffen. Die lassen den Prüfungsgegenstand oft viel komplexer werden, als er dies in der Vergangenheit war. In Zukunft zählt dabei vor allem die IT- und Systemkompetenz. Prüfer und Prüferinnen müssen sich auf hochkomplexe SAP-Systeme aufschalten und in diesen Systemen arbeiten. Viele Produkte ihrer Mandanten sind heute mit Sensoren und RFID-Funkchips versehen, Geräte und Maschinen werden immer intelligenter und kommunizieren miteinander. Roboter ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskraft, die künstliche Intelligenz hält Einzug in den Kundendienst und in klassische Angestelltenberufe.
Um ihrer Aufgabe in diesem Umfeld gerecht zu werden, müssen Wirtschaftsprüfer wissen, wie die neuen Technologien überprüft werden können.
Dietmar Fink: Richtig. Wirtschaftsprüfer benötigen künftig ein größeres Technologieverständnis, um die Zuverlässigkeit und die Sicherheit von Software und Hardware beurteilen zu können. Besonders herausfordernd ist das zum Beispiel bei der Blockchain-Technologie. Die funktioniert im Grunde wie ein digitales Geschäftsbuch, das von einem Netzwerk autorisierter Computer kontinuierlich in Echtzeit validiert wird. Noch ist nicht klar, was das für die Wirtschaftsprüfung bedeutet. So ist beispielsweise vorstellbar, dass die Prüfer künftig in Blockchain-Netzwerke eingebunden werden, um die Transaktionen kontinuierlich zu prüfen – sofern man Blockchain-Netzwerke überhaupt prüfen kann. Vielleicht müssen Blockchain-Transaktionen aufgrund ihrer immanenten Validierung auch gar nicht mehr geprüft werden. Allein um sich mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen, ist ein tiefes Technologieverständnis unabdingbar.
Sind WP-Gesellschaften deshalb heute für Berufseinsteiger interessantere Arbeitgeber als vor zehn oder zwanzig Jahren?
Bianka Knoblach: Ob das den Beruf des Wirtschaftsprüfers attraktiver macht, ist sicherlich eine Frage, die sich nur vor dem Hintergrund der eigenen Vorlieben beurteilen lässt. Wer gerne konventionell Akten durchstöbert und Zahlenreihen aufaddiert und Buchungen kontrolliert, für den sind die technologischen Herausforderungen vielleicht nicht das Richtige. Wer sich aber damit auseinandersetzen möchte, wie die neue, digitale Welt in Zukunft prüfungstechnisch gestaltet werden kann, für den ergeben sich viele spannende Aufgaben, die neben fachlicher und technologischer Expertise auch eine ganze Menge Kreativität und Innovationsgeist erfordern.
Die Wachstumsdynamik der Big 4 hat sich im Vergleich zum Verfolgerfeld deutlicher abgekühlt in 2020 (von 9,1 in 2019 auf 2,6 in 2020). Natürlich ist der Abstand zu Platz 5 im Umsatzranking groß, aber markieren Mandatsgewinne wie der von SAP, die sich nun von BDO prüfen lassen, eine Trendwende hin zu mehr WP-Vielfalt bei den Top-Konzernen?
Dietmar Fink: Naja, hier sollte man realistisch bleiben. Dass BDO bei SAP zum Zuge gekommen ist, hat ja auch viel damit zu tun, dass sich die Big Four nicht wirklich um das Mandat gerissen haben – aus Angst um ihre lukrativen Beratungsaufträge.

Bianka Knoblach: Allerdings ist BDO auch abgesehen vom SAP-Mandat auf einem respektablen Wachstumskurs. Die zuletzt gewonnenen Prüfungs- oder Beratungsmandate lesen sich recht imposant: neben dem Lebensmittelkonzern Theo Müller, der Citigroup Global Markets Europe und dem Finanzvermittler MLP konnte BDO beispielsweise auch den Impfstoffhersteller BioNTech als Kunden gewinnen. Da wächst natürlich auch der Bedarf an talentierten Nachwuchskräften. Rund 300 neue Mitarbeiter will BDO kurzfristig an Bord holen. Und mit der gerade abgeschlossenen Übernahme von Concunia zeigt das Unternehmen, dass man nicht nur organisch, sondern auch durch Akquisitionen wachsen will. Der Abstand zu den Big Four bleibt aber natürlich trotzdem immens.
Große Fondsgesellschaften machen ih re Entscheidung für oder gegen ein Investment zunehmend von den Dimensionen „Environmental, Social and Governance“, den ESG-Faktoren, ab hängig. Sehen Sie in diesen nicht-finanziellen Reportings ein Beispiel für die gewachsene Vielfalt der Aufgaben innerhalb der Branche?
Bianka Knoblach: Absolut. Da entsteht gerade ein völlig neues Geschäftsfeld für die Prüferbranche. Und natürlich bauen alle großen Prüfungsgesellschaften entsprechende Einheiten auf. BDO zum Beispiel hat dieser Einheit den Namen „Sustainability Services“ gegeben und arbeitet mit Hochdruck daran, das neue Geschäft zu erschließen. Auch bei den anderen großen Gesellschaften ist das nicht anders. Für Hochschulabsolventen wächst da gerade ein überaus spannendes Tätigkeitsfeld heran. Die Themen, die nicht nur junge Menschen momentan wahrscheinlich mehr beschäftigen als irgendetwas anderes, nämlich der Umgang unserer Gesellschaft mit unserer Umwelt, die Klimapolitik aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz und Integration von Minderheiten, wird hier aktiv in neue Bahnen gelenkt. Daran mitzuwirken, ist eine tolle Herausforderung.
Was spricht dafür, als Hochschulabsolvent:in bei einem Wirtschaftsprüfer seine Karriere zu starten anstatt bei einer klassischen Beratung, wenn das Berufsziel Consulting ist?
Bianka Knoblach: Die Beratungssparten der Wirtschaftsprüfer können vor allem bei großen Transformationsprojekten punkten. Da wurden vor der Corona-Pandemie sprichwörtlich Busladungen junger Berater montagmorgens beim Kunden vorgefahren, um ganz operative Aufgaben in der Umsetzung großer Veränderungsvorhaben zu übernehmen, die das Kundenunternehmen wirtschaftlich effizient abwickeln muss. Fachlich kann das ganz unterschiedliche Themen betreffen – von der Supply Chain über Führungssysteme bis hinein in die IT. Die traditionellen Managementberater hingegen werden meist dann beauftragt, wenn es brennt – wenn also ein dringendes, meist als strategisch klassifiziertes Problem gelöst werden muss.

Das manager magazin sieht bei Strategy&, den Consultants von PwC, derzeit einen „auffälligen Massenexodus“, da man gerade eine Menge hochkarätige Berater verliere, unter anderem an Oliver Wyman. Ist dies eine Ausnahme oder lässt sich daraus ableiten, dass der Gestaltungsspielraum bei den klassischen Beratern größer ist?
Dietmar Fink: Die aktuellen Abgänge bei Strategy& schmerzen PwC natürlich sehr. Insbesondere, weil mit Joachim Rotering nicht irgendwer zu Oliver Wyman gewechselt ist. Joachim Rotering war zuvor vier Jahre der Weltchef von Strategy&. Dass so jemand zur Konkurrenz wechselt, ist schon eine kleine Sensation.
Bianka Knoblach: Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viele Akquisitionen begleitet, bei denen große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften klassische Managementberatungsfirmen übernommen haben. Der Zusammenschluss von PwC und Booz, aus dem Strategy& hervorgegangen ist, war dabei sicherlich die mit Abstand größte Transaktion. Das Grundprinzip ist allerdings fast immer das gleiche: Die Partner klassischer Beratungsunternehmen denken in der Regel extrem unternehmerisch und sind es gewohnt, ohne große Restriktionen das zu tun, was sie für richtig halten. Einen Verkauf fassen sie meist nur dann ins Auge, wenn sie das Gefühl haben, gemeinsam mit einem starken Partner unternehmerisch mehr erreichen zu können als aus eigener Kraft. Wenn sie dann allerdings von der überbordenden Infrastruktur einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vereinnahmt wurden, stellen sie schnell fest, dass ihren unternehmerischen Freiheiten ein enges Korsett angelegt wurde.
Die Bürokratie, das Risikomanagement, der Standesdünkel einer großen Wirtschaftsprüfung kann einem Berater, der in einer klassischen Managementberatung sozialisiert wurde, schnell den Spaß an seiner Tätigkeit rauben. Und da talentierte Berater momentan auf allen Hierarchieebenen keine Probleme haben, spannende berufliche Alternativen zu finden, zieht es viele von ihnen früher oder später an eine Wirkungsstätte, die ihnen mehr Freiräume lässt.
Wann dürfen wir die Ergebnisse Ihrer 2022er-Studie erwarten und dürfen wir uns schon darauf freuen, dass Sie uns dann bei high potential teilhaben lassen an Ihren Erkenntnissen?
Dietmar Fink: Die Vorbereitungen zu unserer nächsten Studie laufen bereits auf Hochtouren. Vorgestellt werden die Ergebnisse am 24. März kommenden Jahres auf einem großen Branchentreffen in Berlin und einen Tag später im Manager Magazin.
Bianka Knoblach: Natürlich freuen wir uns auch schon sehr darauf, die wichtigsten Erkenntnisse in gewohnter Manier wieder mit Ihnen hier bei high potential zu diskutieren.
Mehr zur Karriere als Wirtschaftsprüfer findest du in unserem WP-Absolventenradar