Die Gebäude, in denen wir uns bewegen und leben, beeinflussen uns mehr, als man vermutet. „Healing Architecture“ beschreibt einen Ansatz, nach dem zum Beispiel Krankenhäuser zu unserem Heilungsprozess beitragen. Stefanie Matthys studierte Architektur an der RWTH Aachen. Sie arbeitete als Projektarchitektin im Pariser Büro von Odile Decq sowie bei Brunet Saunier Architecture und an der TU Berlin am Fachgebiet Architecture for Health. Sie ist Geschäftsführerin des European Network Architecture for Health (ENAH gGmbH) und sprach mit uns über Architektur und dass der Berufsstand eher für Frauen gemacht ist.
Wie kann Architektur dazu beitragen, dass Patient:innen schneller gesunden?
Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Es gibt diesen viel zitierten Satz von Winston Churchill: „We shape our buildings, thereafter they shape us.“ Darin steckt viel Wahres. Je nachdem, wie Räume zueinander angeordnet, belichtet oder gestaltet sind, können sie zum Beispiel beeinflussen, ob und wie wir kommunizieren, wie viel wir uns bewegen, wie vielen guten oder schädlichen Umwelteinflüssen wir ausgesetzt sind. Im Krankenhaus kann zum Beispiel das Design des Patientenzimmers beeinflussen, ob Keime von einem Patienten zum anderen übertragen werden. Wir wissen, dass Patient:innen, die einer bestimmten Tageslichtmenge ausgesetzt sind, schneller genesen als andere. Studien haben erwiesen, dass der Blick in die Natur den Stresslevel senken und eine geringere Dosierung an Medikamenten bewirken kann. Die Bandbreite, wie Architektur einen Krankenhausaufenthalt positiv unterstützen kann, ist groß. Vieles jedoch muss noch weiter untersucht und belegt werden, um auch von den Bauherren akzeptiert zu werden.
Welche Empfehlungen kannst du Absolvent:innen für den Berufseinstieg geben?
Ich denke, man ist immer am besten in dem, was einen wirklich interessiert. Um das herauszufinden, muss man manchmal erst ein paar Stationen durchlaufen. Man sollte daher ruhig auch mal einen sicheren Posten verlassen und etwas Neues wagen und vor allem die ersten Jahre nach dem Berufseinstieg nutzen, um verschiedene Perspektiven auf seinen Job auszuprobieren.
„Man ist immer am besten in dem, was einen wirklich interessiert!“
In der Architektur und auch im Design gibt es mehr Männer als Frauen, die zu Weltruhm gekommen sind. Warum ist das so?
Es mag sein, dass es mehr berühmte Architekten als Architektinnen gibt. Aber die Zukunft der Architektur ist durchaus weiblich. Schon als ich studiert habe, war das Geschlechterverhältnis der Studierenden 50/50. Inzwischen gibt es meines Wissens überwiegend Frauen im Architekturstudium. Ich habe es auch nie so empfunden, dass Architektur eine Männerdomäne ist. Wahrscheinlich deshalb, weil zwei sehr erfolgreiche Architektinnen meinen beruflichen Werdegang geprägt haben – Odile Decq in Paris und Christine Nickl-Weller in Berlin. Meiner Meinung nach ist Architektur ein Beruf, in dem gerade Qualitäten gefragt sind, die in der Regel Frauen zugeschrieben werden: die Fähigkeit, viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu managen, dabei die Befindlichkeiten unterschiedlicher Player – vom Bauherrn bis zur Baufirma – im Blick zu haben, vermitteln und Wogen glätten zu können. Denn Architektur ist letztlich ein Managementjob. Das Studium wird leider allzu sehr darauf reduziert, einen schönen Entwurf aufs Papier zu bringen. Im Beruf hingegen kommt es auch darauf an, die Belange von unzähligen Beteiligten eines Bauprojektes unter einen Hut zu bekommen. Meiner Meinung nach hilft da schlaues Fädenziehen eher als Poltern.
Welches weibliche Role Model aus Architektur oder Design beeindruckt dich besonders?
Da brauche ich gar nicht irgendwelche Berühmtheiten oder große Namen nennen. Die Frauen meiner Generation, die so vieles meistern, beeindrucken mich genauso. Zum Beispiel meine beiden Kommilitoninnen von der RWTH Aachen. Ilka Cassidy baut gerade in Philadelphia „Holzraum System“ auf, eine Firma, die sich auf nachhaltige, vorfabrizierte Holzbauten spezialisiert. Ricarda Ruland kümmert sich im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung um die Belange des städtebaulichen Denkmalschutzes, des Klimaschutzes und der Klimaanpassung in deutschen Innenstädten. Beide machen das neben Familie mit Kindern und aus eigener Kraft – das sind für mich echte role models.
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