Die Verbindung von Theorie und Praxis spielt in der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung eine zunehmend wichtige Rolle. Professor Dr. Benedikt Franke, Inhaber des Lehrstuhls für Financial Accounting an der Universität Würzburg, erläutert, wie sich Studium und Praxis in den letzten Jahren verändert haben. Er spricht über aktuelle Herausforderungen und innovative Ansätze zur Integration von Theorie und Praxis, die Bedeutung digitaler Kompetenzen sowie die Zukunft der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen. Dabei wird klar: Nur durch enge Verzahnung bleibt die Lehre zukunftsfähig und kann Studierende optimal auf die moderne Arbeitswelt vorbereiten.
Herr Professor Franke, wie haben Sie selbst die Verbindung von Theorie und Praxis während Ihres Studiums erlebt?
Ich habe Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim studiert und 2010 meinen Abschluss als Diplom-Kaufmann gemacht. In Mannheim lag der Fokus auf einer fundierten theoretischen Ausbildung, ergänzt durch praxisnahe Formate wie Fallstudien und Projekte mit Unternehmen. Einige praxisorientierte Aktivitäten habe ich eigenständig über studentische Initiativen organisiert, die von der Universität unterstützt wurden. Nach dem Studium habe ich an der Graduate School of Economic and Social Sciences (GESS) promoviert und internationale Erfahrungen als Gastwissenschaftler in Kanada und Österreich gesammelt. Dort wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Methoden – insbesondere Datenanalyse – in der Praxis anzuwenden. Später habe ich an der SKEMA Business School in Paris meinen Praxisbezug weiter vertieft, bevor ich 2021 den Lehrstuhl für Financial Accounting in Würzburg übernommen habe. Seitdem ist es mir ein Anliegen, Theorie und Praxis eng zu verzahnen, um unsere Studierenden optimal auf den Berufseinstieg vorzubereiten.
Wie schätzen Sie die Integration praktischer Elemente in der heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Lehre ein?
Die wirtschaftswissenschaftliche Lehre an deutschen Universitäten entwickelt sich positiv, mit mehr Praxisprojekten, Unternehmenskooperationen und Gastvorträgen. Die größte Herausforderung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen theoretischem Wissen, methodischer Ausbildung und praktischer Anwendung zu finden. Oftmals dominieren nach wie vor theoretische Inhalte, und praktische Übungen oder datenbasierte Methoden kommen zu kurz. Ein weiteres Problem ist der Ressourcenbedarf: Neue Lehrformate und digitale Tools erfordern Investitionen in Infrastruktur – eine Herausforderung angesichts begrenzter Mittel. Im Vergleich zu meiner eigenen Studienzeit hat sich aber viel verbessert. Damals lag der Fokus stark auf Theorie, und Praxisbezug musste oft von den Studierenden selbst organisiert werden. Heute integrieren viele Universitäten praxisnahe Formate direkt in den Lehrplan, was den Übergang ins Berufsleben erleichtert. Besonders die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, zum Beispiel durch Simulationen, virtuelle Teams oder Online-Angebote. Allerdings müssen Lehrpläne und Prüfungsformate weiter angepasst werden, um Problemlösungsfähigkeiten und digitale Kompetenzen adäquat zu fördern.
„Die größte Herausforderung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen theoretischem Wissen, methodischer Ausbildung und praktischer Anwendung zu finden.“ – Professor Benedikt Franke
Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie an Ihrem Lehrstuhl um, um Theorie und Praxis zu verbinden?
Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu übertragen und die Problemlösungskompetenz der Studierenden zu fördern. Ein wichtiger Bestandteil sind Praxisprojekte, bei denen Studierende realitätsnahe Aufgaben bearbeiten. Dabei lernen sie, selbstständig relevante Informationen zu beschaffen, kritisch zu bewerten und in Lösungen zu integrieren. Dies stärkt nicht nur fachliches Wissen, sondern auch kritisches Denken und Teamfähigkeit. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Kombination aus Gastvorträgen und Fallstudien. Ein Praxispartner stellt in einem Vortrag ein konkretes Problem vor, das mit dem Vorlesungsinhalt verknüpft ist.
Anschließend entwickeln die Studierenden in Gruppen eigene Lösungsvorschläge und präsentieren diese zusammen mit einer Dokumentation und einer Executive Summary. So erwerben sie nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch Soft Skills wie Teamarbeit und Präsentationstechniken. Ein weiteres Praxisformat ist unser SAP-Kurs in Kooperation mit einem Unternehmen. Hier arbeiten Studierende mit der Software SAP S/4HANA in einer simulierten Unternehmensumgebung. Sie verbuchen Transaktionen, analysieren Daten und lösen reale Probleme. Neben dem Umgang mit moderner Software lernen sie auch, wie diese als Informationsquelle genutzt werden kann – eine Fähigkeit, die im Berufsleben zunehmend gefordert wird.
Wird die Bedeutung praktischer Erfahrung in der Lehre ausreichend berücksichtigt? Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?
Es gibt bereits viele positive Entwicklungen – auch an unserer Fakultät – aber ich sehe noch Potenzial, diese Ansätze systematischer in allen Studienphasen zu verankern. Besonders in den ersten Semestern könnten Exkursionen und Gastvorträge den Studierenden Orientierung bieten und ihnen mögliche Berufsfelder näherbringen. In späteren Semestern sollte der Fokus verstärkt auf projektbasiertem Lernen und Simulationen liegen, um den Übergang von Theorie zur Praxis zu erleichtern. Praktika sind ein weiteres Element, das stärker gefördert werden sollte. Durch praktische Arbeitserfahrungen können Studierende ihre erlernten Fähigkeiten in realen Unternehmenssituationen vertiefen und wichtige Soft Skills wie Kommunikation und Problemlösungskompetenz weiterentwickeln. Eine systematische Verzahnung von Theorie und Praxis würde nicht nur die Berufsvorbereitung verbessern, sondern auch Unternehmen zugutekommen, die auf gut ausgebildete Absolventen angewiesen sind.
Wie lässt sich der Austausch zwischen Forschung und Praxis weiter fördern? Welche Ansätze setzen Sie um?
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen bietet großen Mehrwert: Praxisrelevante Fragestellungen werden in die Forschung integriert, und wissenschaftliche Erkenntnisse finden schneller ihren Weg in betriebliche Abläufe. Gemeinsam erarbeitete Lösungen stärken sowohl den Erkenntnisgewinn als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Wir setzen verstärkt auf gemeinsame Forschungsprojekte, bei denen wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, um sowohl praktische Probleme zu lösen als auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren.
Ein aktuelles Beispiel ist ein Projekt zur Frage, wie digitale Dashboards und KI die Entscheidungsprozesse in Unternehmen verändern können. Solche Projekte bieten Unternehmen die Möglichkeit, auf unser Know-how zurückzugreifen, während wir aktuelle Entwicklungen erforschen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die enge Zusammenarbeit bei Abschlussarbeiten. Studierende, die ihre Abschlussarbeit in Kooperation mit einem Unternehmen schreiben, profitieren von praktischen Einblicken und erlernen gleichzeitig den Einsatz wissenschaftlicher Methoden. Diese Kooperationen sind eine Win-win-Situation: Unternehmen erhalten fundierte Analysen, während wir Zugang zu praxisrelevanten Daten erhalten, die unsere Forschung bereichern.

Wie bereiten Sie Studierende auf Berufe in der Wirtschaftsprüfung und anderen wirtschaftsnahen Feldern vor?
Eine umfassende Ausbildung, die ökonomisches Grundverständnis und fachliche Spezialisierung verbindet, ist essenziell. Wirtschaftsprüfer und andere Fachkräfte müssen heute nicht nur finanzielle Berichterstattung beherrschen, sondern sich auch mit Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance und Risikomanagement auskennen. Daher ist es wichtig, dass Studierende lernen, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und verschiedene Sachverhalte fundiert zu bewerten. Zusätzlich zu fundiertem Wissen in Rechnungswesen und Finanzierung sind digitale Kompetenzen unverzichtbar. Besonders der Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI) spielt eine zentrale Rolle, da die Kombination aus Mensch und Maschine oft bessere Ergebnisse liefert. Studierende sollten daher frühzeitig Erfahrungen mit relevanter Software, Datenanalyse-Tools und digitalen Plattformen sammeln. Praxisorientierte Lehrmethoden sind ebenso entscheidend, um theoretisches Wissen in realitätsnahen Kontexten anzuwenden und kritisches Denken sowie Problemlösungsfähigkeiten zu fördern. Hochschulen müssen dafür sorgen, dass Studierende die Fähigkeit entwickeln, ihr Fachwissen erfolgreich in der Praxis einzusetzen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Verzahnung von Theorie und Praxis?
Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle, um Theorie und Praxis im Studium enger zu verbinden. Digitale Technologien machen Lehrinhalte interaktiver, praxisnäher und flexibler zugänglich, was den Lernprozess verbessert und die Entwicklung digitaler Kompetenzen fördert – essenziell für die moderne Arbeitswelt. An unserem Lehrstuhl nutzen wir eine E-Learning-Plattform, um Lernmaterialien bereitzustellen und Gruppenarbeiten zu organisieren. So können Studierende orts- und zeitunabhängig arbeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Integration von Softwaretools in die Lehre. Studierende erhalten Zugang zu Unternehmensdaten und üben, diese mit modernen Analysetools zu verarbeiten. Dies stärkt ihre Fähigkeit, Rohdaten zu strukturieren und fundierte, datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Ergänzend bieten wir Online-Module an, die Präsenzveranstaltungen sinnvoll ergänzen. Für Seminar- und Abschlussarbeiten haben wir zudem ein Tool entwickelt, das die Literaturanalyse erleichtert und komplexe Forschungsfragen strukturiert.
Ein kurzer Ausblick: Was passiert, wenn Lehre und Praxis nicht im Gleichschritt bleiben?
Wenn die Praxis der Lehre voraus ist, besteht die Gefahr, dass Hochschulen nicht mehr die Kompetenzen vermitteln, die die moderne Wirtschaft benötigt. Studierende würden dann mit veraltetem Wissen und unzureichenden Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt eintreten, was ihre Beschäftigungsfähigkeit mindert und Unternehmen nicht die dringend benötigten Fachkräfte liefert. Umgekehrt riskieren Unternehmen, ohne regelmäßigen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ihre Innovationsfähigkeit zu verlieren und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist eine enge Verzahnung von Hochschulen und Unternehmen unerlässlich. An meinem Lehrstuhl setzen wir auf regelmäßige Kooperationen, praxisnahe Projekte und die Einbindung von Praxismodulen in unsere Lehrveranstaltungen. Doch der Erfolg solcher Initiativen hängt auch von der Bereitschaft der Wirtschaft ab, langfristig in diese Zusammenarbeit zu investieren und nachhaltige Partnerschaften zu pflegen.
Die dynamische Entwicklung in Bereichen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit zeigt, dass Hochschulen und Unternehmen noch stärker kooperieren müssen, um Schritt zu halten. Flexible Curricula, gemeinsame Forschungsprojekte und maßgeschneiderte Weiterbildungsangebote – sowohl für Lehrende als auch für Fachkräfte – sind dabei entscheidende Bausteine. Auch wenn der Austausch in den letzten Jahren bereits intensiviert wurde, gibt es noch Luft nach oben. Nur durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit kann die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung zukunftsfähig bleiben und Absolventen hervorbringen, die den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen sind.
Prof. Dr. Benedikt Franke ist seit Oktober 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Financial Accounting an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Zuvor war er unter anderem Assistant Professor an der SKEMA Business School in Frankreich und Interim Professor an der Technischen Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Unternehmens-Transparenz, Offenlegung und Kapitalmärkte. Er promovierte 2015 an der Universität Mannheim, wo er zuvor auch sein Diplom in Betriebswirtschaftslehre erwarb. Internationale Erfahrungen sammelte er als Visiting Scholar in Graz und Kanada.