Big 4 ist nicht gleich Big 4 – der Meinung sind Prof. Dr. Deborah Schanz und Prof. Dr. Thorsten Sellhorn von der LMU. Denn besonders diese vier haben unterschiedliche Schwerpunkte in deren Leistungen und danach sollten Studierende Ausschau halten, wenn sie auf der Suche nach dem passenden Berufseinstieg sind. Was man sonst noch beachten könnte und was die Branche so umtreibt, erfahrt ihr im Interview.
Welche sind die großen Herausforderungen, denen sich die WP-Branche in den kommenden Jahren zu stellen hat?
Die Tätigkeitsfelder von Wirtschaftsprüfern sind enorm breit und vielfältig. Sie reichen von der Erstellung und Prüfung von Jahresabschlüssen über Unternehmensbewertung und Steuerberatung bis hin zur Unternehmensberatung. Entsprechend vielfältig sind auch die Herausforderungen, mit denen sich die WP-Branche aktuell konfrontiert sieht. Grundsätzlich führen jedoch drei übergeordnete Trends zu Herausforderungen in der Branche: Das sind (1) die fortschreitende Digitalisierung, (2) zunehmende Komplexität der Regulierung sowie (3) erhöhte Unsicherheit. Die Digitalisierung führt beispielsweise dazu, dass Unternehmen ihre Prozesse effizienter organisieren und automatisieren. Diese Entwicklung wirkt sich natürlich auf die Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern aus. So müssen Wirtschaftsprüfer ein umfassendes Verständnis für digitale Prozesse haben, um diese kritisch beurteilen zu können. Eine zunehmende Anzahl einzuhaltender Regularien führt zudem zu steigender Komplexität. Zu diesen Regularien zählen beispielsweise Offenlegungspflichten wie die nicht-finanzielle Erklärung. Zunehmende Unsicherheit ergibt sich beispielsweise im Tätigkeitsfeld der Steuerberatung durch zahlreiche unilaterale Maßnahmen zur Besteuerung digitalisierter Geschäftsmodelle. Um diese Herausforderungen meistern zu können, müssen Wirtschaftsprüfer zusätzliche Kompetenzen – beispielsweise IT-Kompetenzen – erwerben, um den Mandantenanforderungen auch in Zukunft gerecht zu werden.
Welche Trends beschäftigen die Branche nachhaltig und wie sollten Studierende mit Berufsziel WP auf deren Auswirkungen am besten reagieren?
Die Digitalisierung ist ein Megatrend. Wirtschaftsprüfer benötigen daher in Zukunft zusätzliche Kompetenzen. Für Studierende mit dem Berufsziel Wirtschaftsprüfer ist es sinnvoll, diese Kompetenzen bereits während ihres Studiums zu erwerben. Daher sollte die Ausbildung der Wirtschaftsprüfer von morgen auf zwei Säulen ruhen: (1) Zum einen benötigen Studierende – wie bisher – fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse insbesondere in der Rechnungslegung sowie im Steuerrecht. (2) Auf der anderen Seite sollten Studierende auch disziplinübergreifende Kompetenzen erwerben. Sie sollten ein Verständnis für digitale Prozesse und Systeme sowie Kenntnisse im Bereich der Datenvisualisierung und -analyse erlernen. Daher bietet es sich an, zusätzlich zu den klassischen BWL-Fächern zum Beispiel auch Grundlagenveranstaltungen in den Bereich Informatik und Data Analytics zu besuchen. Wichtig ist aber auch eine gründliche Schulung im wissenschaftlichen empirischen Arbeiten, die den Blick dafür schärft, welche relevanten Zusammenhänge sich aus Datenmustern ableiten lassen.
Was macht den besonderen Reiz in der Wirtschaftsprüfung aus und welche Geschäftsfelder empfinden Sie persönlich als besonders spannend?
Besonders reizvoll an der Wirtschaftsprüfung ist die große Vielfalt an Tätigkeiten. Kein Arbeitstag sieht aus wie der andere. Durch die verschiedenen Tätigkeitsfelder bekommt man als Wirtschaftsprüfer ein umfassendes Wissen über die Funktionsweise von Unternehmen und arbeitet interdisziplinär. Daher gibt es aus unserer Sicht nicht das „eine“ spannende Geschäftsfeld, vielmehr ergibt sich der Reiz der Wirtschaftsprüfung aus dem Zusammenspiel vieler Tätigkeiten und Kompetenzen. Die Digitalisierung dürfte diesen Reiz noch weiter erhöhen, denn zahlreiche repetitive und administrative Aufgaben können im Rahmen der Digitalisierung automatisiert werden. Somit bleiben vor allem abwechslungsreiche Fragestellungen für die Wirtschaftsprüfer von morgen, die ihren Mandanten als hochkompetente und kritische Sparringspartner zur Seite stehen.
Wie bereiten Sie Studierende darauf vor, nach dem Abschluss des Studiums direkt auch in der Praxis bestehen zu können?
Wir bieten unseren Studierenden an der LMU die Möglichkeit, Fähigkeiten und Schnittstellenkompetenzen in den oben genannten zwei Säulen zu erwerben. Bei uns können sie aus einem breiten Angebot wählen und zu Experten im Rechnungswesen und Steuerbereich werden. Gleichzeitig erlaubt es unsere Prüfungsordnung, dass Studierende über den eigenen Tellerrand hinausblicken und beispielsweise juristische oder Informatikkurse belegen können. Darüber hinaus bieten wir selbst in Kooperation mit renommierten WP-Gesellschaften Schnittstellenkurse an, beispielsweise den Kurs Big Data and Taxes. Zudem bieten wir ein breites Lehr- und Veranstaltungsangebot, das unseren Studierenden vielfältige Kontakte in die Praxis eröffnet. Dazu zählen unsere Projektkurse im Master, im Rahmen derer unsere Studierenden mit Partnern aus der Praxis an realen Herausforderungen von Unternehmen arbeiten. In der Vergangenheit haben unsere Studierenden beispielsweise ein DAX-Unternehmen dabei unterstützt ein Tax-Compliance-Management-Systeme zu implementieren, Unternehmensbewertungen durchgeführt, Geschäftsberichte restrukturiert, Online-Schulungen zu den IFRS entwickelt oder mit einer namhaften Rechtsanwaltskanzlei eine Restrukturierung mit Fokus auf steuerrechtlichen Fragestellungen durchgespielt. Somit bieten wir unseren Studierenden nicht nur die Möglichkeit, die in der WP-Branche benötigten Hard-Skills zu erlernen, sondern ermöglichen ihnen zudem ein bereichsübergreifendes Curriculum und den Zugang zu einem breiten Netzwerk an Partnerunternehmen.
An welchen Fragestellungen arbeiten Sie an Ihrem Lehrstuhl gerade besonders intensiv?
Die bereits genannten Trends (Digitalisierung, Komplexität und Unsicherheit) und deren Auswirkungen auf die Tätigkeitsfelder von Wirtschaftsprüfern finden sich auch in unseren Forschungsprojekten wieder. So untersuchen wir beispielsweise den Einfluss von Unsicherheit auf Informationsflüsse zwischen Unternehmen und Investoren oder den Einfluss von EU-Regulierungen auf Unternehmensabschlüsse. Weitere Forschungsfelder beschäftigen sich mit der Auswirkung der Digitalisierung auf die Besteuerung oder mit Komplexitätstreibern im Steuersystem. Zudem sind wir auch methodisch sehr am Einsatz digitaler Technologien – beispielsweise maschinellem Lernen im Rahmen von Textanalyse – interessiert und bieten unseren Studierenden methodisch verschiedene Kurse sowie Seminar- oder Abschlussarbeiten an.
Wie unterscheiden sich die Wirtschaftsprüfer und wie finde ich den passenden Arbeitgeber innerhalb der WP-Branche?
Studierenden sind in der WP-Branche vor allem die sogenannten „Big 4“ bekannt. Auch wenn diese häufig sehr homogen erscheinen, haben sie doch strategisch unterschiedliche Ausrichtungen. Während die eine Big 4 ihren Fokus auf Prüfung legt, hat eine andere den Fokus auf der Steuerberatung und wieder eine andere eher in der Beratung. Hier kommt es sehr stark darauf an, welches Themengebiet einem Studierenden besonders liegt, damit er oder sie eine passende Entscheidung treffen kann. Neben den Big 4 gibt es natürlich auch noch zahlreiche kleinere, aber ebenso äußerst spannende WP-Praxen. Tendenziell bieten größere Organisationen wie die Big 4 die Möglichkeit, Expertise in einem Spezialbereich aufzubauen, während sich Mitarbeiter kleinerer Organisationen eher zu Generalisten entwickeln, schneller Verantwortung übernehmen und früher direkt mit dem Mandanten zusammenarbeiten. Um herauszufinden was einem Studierenden besser liegt, kann man nur empfehlen: ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren. Und das ermöglichen nahezu alle WP-Gesellschaften im Rahmen von Praktika und Werkstudentenstellen. Zusätzlich dazu können wir als LMU unseren Studierenden aufgrund unseres starken Netzwerks auch bereits im Rahmen von Gastvorlesungen, Veranstaltungen und Praxiskursen derartige Einblicke in verschiedene Unternehmen bieten.
Worauf achten Arbeitgeber der WP-Branche Ihrer Erfahrung nach am meisten, wenn Sie Kandidaten beurteilen?
Die Wirtschaftsprüfung ist eine betriebswirtschaftliche Disziplin, daher sollten WP-Kandidaten natürlich ein fundiertes betriebswirtschaftliches Wissen mitbringen, insbesondere in den Bereichen Rechnungslegung und im Idealfall auch im Steuerrecht. Wenn ein Kandidat zudem Schnittstellenkompetenzen vorweisen kann, beispielsweise im Bereich Informatik oder im Bereich Datenanalyse, bringt das auf jeden Fall Pluspunkte. Neben diesen Hard-Skills und einem ausgeprägten analytischen Denkvermögen sind natürlich auch Softskills wie gute Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist gefordert. Zum Thema Noten im Studium kann man vermutlich Folgendes sagen: herausragende Noten haben einem Bewerber noch nie geschadet, sind aber meist nicht das finale Auswahlkriterium; häufig können Bewerber auch mit breitem universitären Wissen und praktischen Erfahrungen wie Praktika, Werkstudentenjobs oder Auslandsaufenthalten punkten.
Prof. Dr. Deborah Schanz ist Professorin für Betriebswirtschaft und seit 2011 Vorstand des Instituts für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuvor war sie von 2007 bis 2011 Professorin an der WHU-Otto Beisheim School of Management. Deborah Schanz studierte in Hamburg, Newcastle (UK) und Tübingen. Sie wurde 2004 an der Universität Tübingen promoviert (Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Franz W. Wagner) und 2007 in Graz habilitiert. Zuvor sammelte sie praktische Erfahrung als Unternehmensberaterin bei Deloitte in Stuttgart.
Deborah Schanz engagiert sich in zahlreichen universitären und außeruniversitären Gremien. In der akademischen Selbstverwaltung ist sie u.a. Vorsitzende des Prüfungsausschusses BWL/VWL. Sie leitet den Arbeitskreis Steuern der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., ist Mitglied des Vorstands des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) und des Vorstands der deutschen Sektion der International Fiscal Association (IFA). Sie ist Mitglied im Arbeitskreis Quantitative Steuerlehre (arqus) e.V. Von 2008-2011 war Deborah Schanz Mitglied des Akkreditierungsausschusses des Wissenschaftsrates, von 2013-2015 Mentorin für Studierende im Max Weber-Programm Bayern in der Studienstiftung des deutschen Volkes. Deborah Schanz engagiert sich im Beirat der Münchner Steuerfachtagung e.V., im Präsidium der Deutschen Vereinigung für Internationales Steuerrecht im Verband der International Fiscal Association, Sektion Bayern, und als Mitglied der Prüfungskommission für das Wirtschaftsprüfer-Examen.
Prof. Dr. Thorsten Sellhorn studierte von Volkswirtschaftslehre (VWL) und Betriebswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. Daraufhin absolvierte er von 1997 bis 1998 ein Auslandsstudium und erlangte 1998 den akademischen Grad Master of Business Administration (MBA) an der University of Wisconsin–Madison. Er promovierte 2004 mit summa cum laude an der Ruhr-Universität Bochum. Thorsten Sellhorn habilitierte 2008 mit dem Thema „Internationalisierung der Rechnungslegung“ an eben dieser Universität.
Thorsten Sellhorn ist seit 2014 Professor für Accounting an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung. Zuvor war er von 2008-2014 Professor für Accounting, Accounting and Control Group an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Seine Forschungsgebiete sind unter anderem International Financial Reporting Standards (IFRS), Rechnungslegungsqualität und Bilanzpolitik und Empirische Rechnungswesenforschung.