
Einem Artikel des Handelsblatts zufolge aus dem November 2017 waren in der Privatwirtschaft im vergangenen Jahr nur 26 Prozent der Führungskräfte weiblich. Die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen in Deutschland und die Chancen für den weiblichen Nachwuchs werden dabei weiterhin intensiv debattiert. Die für große Unternehmen verpflichtende Frauenquote bleibt umstritten, zeigt gleichzeitig aber erste positive Ergebnisse.
Nach dem aktuellen Women-on-Board-Index, erhoben durch die Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR), beläuft sich der Anteil weiblicher Aufsichtsräte in den größten deutschen Unternehmen auf knapp 26 Prozent, in den Vorstandsriegen lediglich auf knapp 7 Prozent. Zur Erklärung der Unterrepräsentanz weiblicher Top-Managerinnen führt die Wissenschaft verschiedene theoretische Ansätze an. Der zur Rolleninkongruenz mit der darin diskutierten Gläsernen Decke wird in Forschung und Praxis aktuell umfassend diskutiert.
Stereotype weiblicher Führungskräfte
Das immer noch vorherrschende Motto „Think-Manager-Think-Male“ steht sinnbildlich für die stereotype Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften. Dabei werden Frauen stereotypisch die folgenden Attribute zugeschrieben: unterordnend, abhängig, emotional, empfindlich, passiv, intuitiv, fürsorglich, beziehungsorientiert, einfühlsam, kooperativ und kommunikativ.
Männer hingegen werden beschrieben durch dominant, autonom, unemotional, selbstsicher, aktiv, rational, tatkräftig und leistungsorientiert. Die stereotypischen Ansichten gegenüber der Führungsperson sind dabei die folgenden: führungswillig, autonom, beherrscht, selbstsicher, dynamisch, rational, entscheidungsfreudig, konfliktbereit, konkurrenzorientiert, rücksichtsvoll und kommunikativ. Bei Gegenüberstellung dieser Ansichten wird deutlich, dass Männer der Führungsrolle stärker entsprechen. Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob die stereotypischen Ansichten zur Führungsperson noch zeitgemäß sind und wie es tatsächlich um die Eigenschaften weiblicher Führungskräfte steht.
Gläserne Decke und Rolleninkongruenz-Theorie
Diese vorherrschenden Stereotype sind maßgebliche Treiber der Gläsernen Decke – einem Phänomen, das sich wissenschaftlich nicht vollumfänglich erklären lässt. Die Gläserne Decke beschreibt dabei eine Schwelle beim Aufstieg ins Top-Management, die Frauen bisher nur selten überwinden. Weibliche und männliche Nachwuchsführungskräfte sollten sich diesem Phänomen bei der Weiterentwicklung in der Arbeitswelt und dem Fordern und Fördern durch Vorgesetzte weiterhin bewusst sein.
Die Rolleninkongruenz beschreibt in diesem Zusammenhang, dass wenn es in der Praxis zum Auswahlprozess und der Bewerbung beziehungsweise Erwägung einer Frau für eine bestimmte Führungsposition kommt, Wirkungsmechanismen vorherrschen, die verhindern, dass Frauen tatsächlich in bestimmte Führungsrollen berufen oder befördert werden. Auslöser für diese Wirkungsmechanismen ist der sogenannte Backlash-Effekt: In dieser Theorie wirken und verhalten sich Frauen entweder „typisch weiblich“ und entsprechen demnach in ihren Stereotypen nicht denen der Führungsrolle. Im Gegensatz dazu können Frauen auch wie eine Führungsperson wirken und sich wie eine solche verhalten. Diese Wahrnehmung entspricht dann aber nicht mehr dem typischen Rollenbild der Frau, sie erscheinen zu maskulin und wirken damit nicht authentisch. In beiden Fällen scheitern die weiblichen Nachwuchsführungskräfte beim Fortkommen.
Persönlichkeitsprofile der Führungskräfte
An dieser Stelle zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass die gläserne Decke mit ihren stereotypischen Annahmen zwar weiterhin vorherrscht, das tatsächliche Persönlichkeitsprofil von Managerinnen jedoch dem männlichen Profil in keinen Eigenschaften nachsteht und Frauen anhand ihrer Persönlichkeitsstruktur gleichwohl Führungspositionen ausfüllen können. Im Rahmen der zugrundliegenden Studie wurden die Persönlichkeiten von über 300 Männern und Frauen in Top-Führungspositionen deutscher Unternehmen mit ihren tatsächlich vorherrschenden Persönlichkeitsausprägungen untersucht. Schwerpunkte waren die Big Five mit den Dimensionen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit sowie die Dunkle Triade mit den Dimensionen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie.
Frauen in Führungspositionen und solche die es einmal werden wollen – und sich auf Basis ihrer Persönlichkeit eine solche Rolle zutrauen – sind im Vergleich zu den Männern gleichermaßen emotional stabil, gewissenhaft und leistungsorientiert. Frauen sind minimal extrovertierter und offener für Erfahrungen. In Bezug auf die Härte der Führungsperson, also die Verträglichkeit, sind Frauen in Führungspositionen härter und demnach weniger kooperativ als es männliche Top-Manager sind. Die Dimensionen der Dunklen Triade zeigen mit Hinblick auf bestehende Stereotype bemerkenswerte Ergebnisse: Frauen sind gleichermaßen narzisstisch ausgeprägt und verfügen ebenfalls über eine geringere Ausprägung an machiavellistischen Eigenschaften. Auch in Bezug auf die Psychopathie finden sich zwischen Frauen und Männern in der Führung keine Unterschiede. Dabei lässt sich Narzissmus durch typische Eigenschaften wie Grandiosität, überzogenes Selbstbewusstsein, Eitelkeit, Autoritätsbedürfnis und Risikoneigung beschreiben. Machiavellismus enthält Eigenschaften wie Härte und Durchsetzungsstärke, eine gewisse „Coolness“ oder auch „Abgebrühtheit“, Misstrauen und Zynismus.
„Think-Manager-Consider-Female“
Stellt man die Ergebnisse der weiblichen Führungskräfte denen von durchschnittlichen Frauen aus der Bevölkerung gegenüber wird deutlich, dass Top-Managerinnen untypisch weiblich und sehr viel mehr Alpha-Frau sind. Frauen in der Führung sind demnach signifikant narzisstischer, emotional stabiler, extravertierter, kreativer, gewissenhafter sowie weniger verträglich. In Bezug auf das vorherrschende Bild der Führungsrolle entsprechen Frauen allen Eigenschaften, die Führung erfordert.
Die stereotypischen Ansichten gegenüber Frauen in Führungspositionen müssen daher grundsätzlich hinterfragt und angepasst werden. Frauen, die Führungspositionen anstreben und ausfüllen, können diese anhand ihrer Persönlichkeit genauso gut beziehungsweise auch schlecht erfüllen, wie es Männer tun. Über die untersuchten Eigenschaften hinaus wird im Exkurs um weibliche Führungskräfte und ihre Eigenschaften deutlich, dass innerhalb der Unternehmen in Bezug auf Kultur und Umgang immer häufiger beispielhafte Eigenschaften wie Empathie, eine ausgeprägte Kommunikation und der Wunsch nach einer Balance zwischen Arbeit und Leben eine Rolle spielen.
Das sind alles Eigenschaften, die Frauen in den letzten Jahrzehnten maßgeblich in Unternehmen getragen und geprägt haben. Von diesen Werten profitieren auch die Männer in der Unternehmenswelt. Durch den Wunsch nach Familie, der unter Frauen und Männern gleichermaßen ausgeprägt ist, jedoch in Form von Umsetzung, Einsatz und der biologisch bedingten Auszeit die Frau stärker fordert, ergibt sich für die Politik und die Unternehmen weiterhin das Problem der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, damit Frauen den Ansprüchen einer Führungsrolle noch besser gerecht werden können.
„Frauen wollen härter wirken“
Welche praktischen Ratschläge gibt es für Frauen, die Führungspositionen anstreben? Fragen an Prof. Marion Büttgen und Dr. Christian Mai.
Inwieweit haben sich Top-Managerinnen an eine männerdominierte Wirtschaft angepasst?
Wir konnten tatsächlich feststellen, dass Top-Managerinnen in ihren Persönlichkeitsausprägungen stark von denen der typischen Frau abweichen. Nachdem Persönlichkeit grundgegeben ist, gehen wir davon aus, dass Frauen in Führungspositionen diese Eigenschaften mitbringen und sich anhand der Ausprägungen in das Top-Management selektieren und selektiert haben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass Frauen beispielsweise die Dimension Anpassungsfähigkeit, also „Wie kompetitiv bin ich im Arbeitsumfeld?”, überkompensieren und hier härter wirken wollen als die Männer in der Führung.
Wird eine Führung, bei der fürsorglichere Männer an der Spitze stehen, auch Frauen fördern?
Wir können davon ausgehen, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der weiblichen Eigenschaften in der Führung sein wird. Dass es mehr Frauen in das Top-Management schaffen, ist demnach eine natürliche Entwicklung, die sicherlich durch Quoten und Förderprogramme verstärkt wird. Die Wissenschaft und Ergebnisse aus der Forschung zeigen grundsätzlich, dass Männer eher Frauen in Führungspositionen fördern als es Frauen in Spitzenpositionen tun.
Sollten Berufseinsteigerinnen versuchen, alles typisch weibliche abzulegen, wenn es ihnen gelingt?
In Bezug auf das persönliche Führungsverhalten muss sich jede und jeder selber finden, immer anhand seiner Persönlichkeitsstruktur, damit man sich langfristig wohlfühlt und authentisch bleibt. Das ist wiederum wichtig für diejenigen, die geführt werden sollen. Ich rate daher jeder Berufseinsteigerin – und auch den Berufseinsteigern – sich ihrer Persönlichkeit, den eigenen Stärken und Entwicklungsfeldern in Bezug auf Führung aktiv bewusst zu werden, Situationen zu reflektieren und sich mit einem Mentor, Partner oder Coach auszutauschen.
Wie wirken Frauen als Vorgesetzte auf Männer und Frauen?
Die Wirkung und Ressentiments haben etwas mit den stereotypischen Ansichten zu Männern und Frauen und den stereotypischen Ansprüchen an die Führungsperson zu tun. Das Konzept der Gläsernen Decke ist immer noch existent. Hier sollten sich Frauen bewusst sein, dass sie in Bezug auf die Führung teilweise noch als weniger fähig angesehen werden, was jedoch, anhand unserer Ergebnisse, schlicht falsch ist. Eine Frau erfüllt die Führungspersönlichkeit gleichermaßen, wie es ein Mann tut. Ein gesundes Bewusstsein für diese stereotypischen Ansichten und die eigene Führungspersönlichkeit ist also wichtig, wenn man mit Führungsaufgaben konfrontiert ist. Gleichzeit müssen diese Ansichten in Unternehmen und auch in der Gesellschaft abgelegt werden und ein neutraler Blick auf die Führungsrolle einziehen, um Chancengleichheit zu generieren und die Gläserne Decke aufzulösen.
Prof. Dr. Marion Büttgen ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der Universität Hohenheim. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Dienstleistungs- und strategischen Personalmanagement.
Dr. Christian Mai hat 2016 an der Universität Hohenheim zum Thema Führungspersönlichkeit im Top-Management promoviert. Er ist aktuell selbst als Führungskraft in einem großen Handelskonzern tätig und forscht und referiert weiterhin zu seinem Schwerpunkt.
Beitragsbild: © Lark Brooke, Unsplash
Stand: Frühjahr 2018