Als Expertin für digitale Transformation berät Dr. Patrizia Ecker Unternehmen dabei, wie diese in einer hochtechnologisierten Welt wettbewerbsfähig bleiben. Sie verrät dir, wie die Arbeitswelten von morgen aussehen werden und wie sich junge Frauen heute darauf vorbereiten können.
Unser Arbeitsleben wird immer stärker vom Umgang mit Technik geprägt. Nun sagt man Frauen nach, dass sie mit Technologie eher fremdeln als Männer. Steht uns im KI-Zeitalter bevor, dass wir den Anschluss verlieren könnten?
Ja, und genau deshalb müssen wir das Narrativ ändern. Es geht nicht darum, dass jede Frau jetzt Programmiererin werden muss, sondern darum, ein grundlegendes Verständnis für Technologie und ihre Auswirkungen zu entwickeln. Ich habe mir das ganze Thema Technologie anfangs komplett selbst beigebracht – mein Hintergrund ist eigentlich Psychologie und Kunstgeschichte. Das zeigt, wie wichtig Lifelong Learning ist.
Wie kamst du auf die Idee, aus dieser Fächerkombination den Weg zu einer Digitalberaterin zu gehen?
Ich habe mich nie strikt an einem vorgegebenen Karriereweg orientiert. Stattdessen habe ich mich für Fächer entschieden, die mich faszinierten. Die Verbindung zur digitalen Welt kam dann ganz natürlich. Technologie ist keine rein technische Disziplin, sondern eine, die uns alle betrifft. So wurde aus meiner „ungewöhnlichen“ Kombination genau der richtige Weg in die Digitalberatung.
Du hast vorhin Lifelong Learning erwähnt. Kannst du nachvollziehen, dass es einen überfordert, wie schnell die Welt sich dreht und man mit jedem neuen KI-Update das Gefühl hat, dass das Wissen von gestern wertlos geworden ist?
Absolut. Ich erinnere mich an einen Moment, als ich dachte: „Warum soll ich mich jetzt mit XY beschäftigen, wenn es in sechs Monaten überholt ist?“ Anfangs hatte ich den Druck, wirklich alles zu kennen. Aber dann habe ich meinen eigenen Ansatz gefunden: Es geht nicht darum, jedes Tool bis ins letzte Detail zu beherrschen, sondern zu verstehen, wie man mit Technologie umgeht und welche Prinzipien dahinterstehen. Niemand kann alles wissen – aber wer weiß, wo und wie er sich Wissen aneignen kann, bleibt langfristig erfolgreich.
Müssen wir es vielleicht trennen: Auf der einen Seite gibt es die Notwendigkeit, bei Technologie up-to-date zu sein, und auf der anderen Seite sind es persönliche Skills, die uns unabhängig von Tech befähigen, im Beruf zu bestehen?
Ich sehe das nicht als zwei getrennte Bereiche. Im Gegenteil, Tech-Know-how und menschliche Fähigkeiten gehen Hand in Hand und werden in Zukunft untrennbar sein.
Leadership, kritisches Denken, emotionale Intelligenz – all das sorgt dafür, dass KI uns ergänzt, aber nicht dominiert. Deshalb geht es für mich nicht um ein Entweder-Oder: Wer beides beherrscht, wird in der Zukunft besonders gefragt sein.

Besonders gefragt sind überzeugende Führungskräfte. Was zeichnet diese aus – und wie wird man seine solche?
Für mich sind Führungskräfte von morgen vor allem lernbereit, empathisch und entscheidungsfreudig. Ich erlebe in meinem Job oft, dass viele am Anfang ihrer Karriere keine Lust auf klassische Entry-Level-Jobs haben. Ich war genauso (lacht). Selbstbewusstsein ist natürlich gut, aber oft steckt dahinter auch Selbstüberschätzung. Der Weg zur Führungskraft bedeutet, sich die Hände auch mal schmutzig zu machen und erst einmal zu lernen, wie man mit Menschen, Teams und Verantwortung umgeht.
Du coachst Führungskräfte. Was sind die häufigsten Fragestellungen oder Unsicherheiten, die dir dabei begegnen?
Die meisten Führungskräfte haben nicht Angst vor KI oder Digitalisierung – sondern davor, wie sie mit dieser rasanten Entwicklung Schritt halten können.
Häufige Fragen sind: Wie kann ich innovativ bleiben, ohne jeden Tech-Hype mitzumachen? Wie fördere ich kritisches Denken in meinem Team? Wie nutze ich KI, ohne mich von ihr abhängig zu machen?
Wie würdet du eine Art Bauplan zeichnen, wenn ich als junger, vielleicht eher introvertierter Mensch mich darauf vorbereiten möchte, einmal Personalverantwortung zu übernehmen?
Wenn du als junger Mensch auf eine Führungsrolle hinarbeiten möchtest, dann kann das schrittweise und gezielt geschehen, etwa darüber, Netzwerke aufzubauen: Gerade für Introvertierte kann es helfen, online zu starten. Es fällt oft leichter, erst digital Kontakte zu knüpfen und dann in Person ins Netzwerken reinzuwachsen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist sicherlich, das Selbstbewusst- sein zu trainieren, denn Sichtbarkeit ist extrem wichtig – was ich selbst auch erst letztes Jahr so richtig verstanden habe. Was mir dabei übrigens wahnsinnig geholfen hat, waren gezielte Workshops oder Coachings.
Kritisches Denken zu fördern wäre mein dritter Tipp, denn fundierte Entscheidungen beruhen immer auf Verständnis und nicht auf Trends.
Und last, but not least halte ich es für sehr wichtig, sich an Vorbildern zu orientieren: Lerne von ihnen – nicht, um sie zu kopieren, sondern um zu verstehen, welche Eigenschaften und Strategien für dich funktionieren könnten.
Wird Female Leadership in der Welt wichtiger oder drohen gesellschaftliche Rückschritte, in denen Frauen in einer traditionellen Rolle gesehen werden?
Die Datenlage ist eindeutig: Diversität bringt nachweislich bessere Ergebnisse. Die aktuellen Gegenbewegungen zeigen vor allem eins: Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Studien zeigen, dass Frauen oft kollaborativer führen, mehr auf langfristige Ziele setzen und ein stärkeres Gespür für Teamentwicklung haben, während traditionelle männliche Führung eher durch Wettbewerb und Hierarchie geprägt ist. Die besten Führungsteams vereinen beides.
Die Frage ist also nicht, ob Female Leadership wichtig bleibt – sondern ob wir als Gesellschaft bereit sind, veraltete Muster loszulassen und in Führung tatsächlich das zu fördern, was nachweislich den größten Mehrwert bringt.
Sind es aus deiner Sicht ausschließlich solche externen Faktoren, die Female Leadership im Wege stehen – oder müssen Frauen auch selbst aktiver Führungsrollen anstreben?
Externe Faktoren wie strukturelle Hürden oder unbewusste Vorurteile spielen definitiv eine Rolle – aber das allein reicht nicht als Erklärung. Ich sehe oft, dass Frauen sich selbst zurückhalten, weil sie das Gefühl haben, noch nicht „bereit“ zu sein. Sichtbarkeit und das bewusste Ergreifen von Chancen sind daher essenziell.
In der digitalen Welt können kognitive Verzerrungen besonders problematisch sein, weil Algorithmen und KI-Systeme bestehede Verzerrungen oft noch verstärken.
In deinen Projekten in der Transformationsberatung bekommst du auch einen Eindruck davon, wie sich die Unternehmen verändern. Wie wird unsere Arbeitswelt in 10 Jahren aussehen?
Henry Kissinger warnte davor, dass KI sich schneller entwickelt, als wir sie gesellschaftlich einordnen können, und dass wir lernen müssen, mit dieser neuen Realität umzugehen.
Unsere Rolle muss es sein, KI sinnvoll einzusetzen. In der Praxis zeigt sich das bereits heute – die spannendsten Innovationen entstehen dort, wo Menschen und Maschinen nicht als Gegenspieler, sondern als Team gesehen werden.
Der Future of Jobs Report unterstreicht diese Dynamik: Es wird prognostiziert, dass bis 2030 etwa 22 % der Arbeitsplätze weltweit Veränderungen erfahren werden. Diese Entwicklungen zeigen, dass wir unsere Fähigkeiten kontinuierlich anpassen müssen, um in einer sich wandelnden Arbeitswelt erfolgreich zu sein.
Du beschäftigst dich mit kognitiven Verzerrungen in der digitalen Umgebung. Worum geht es dabei?
Menschen treffen oft unbewusst fehlerhafte Entscheidungen. In der digitalen Welt kann das besonders problematisch sein, weil Algorithmen und KI-Systeme bestehende Verzerrungen oft noch verstärken. In meinen Projekten sehe ich besonders, wie kognitive Verzerrungen die Tech-Adoption in Unternehmen beeinflussen. Ein klassisches Beispiel ist kognitive Dissonanz – wenn Menschen ein bestehendes Weltbild haben, das mit neuen Informationen kollidiert. Ein weiteres Beispiel ist der Status-quo-Bias – die natürliche Tendenz, Dinge lieber so zu lassen, wie sie sind.
Deshalb ist es in meiner Beratung so wichtig, auch die psychologischen Hürden bei der Tech-Adoption zu verstehen. Denn oft scheitert digitale Transformation nicht an der Technik – sondern an der menschlichen Wahrnehmung.
Lassen sich diese systemisch bedingten Fehlurteile eher durch mehr oder weniger Human-in-the-loop beheben?
Gerade deswegen ist Diversität so wichtig und KI mit Daten zu füttern, die ebenfalls eine breite Spanne abdecken und nicht einseitig geprägt sind. Und deswegen sage ich auch allen Frauen, immer bitte KI zu nutzen, damit unsere Sichtweise ebenfalls stärker miteinfließt.
Du selbst bist freie Beraterin und Coachin. Warum ist dies für dich das richtige Setting?
Für mich war Unabhängigkeit wichtiger als Sicherheit. Ich glaube nicht, dass Gutes passiert, wenn man nur in der Komfortzone bleibt. Ich persönlich liebe die Abwechslung und die Freiheit, an Projekten zu arbeiten, die mich wirklich interessieren. Letztendlich geht es darum, herauszufinden, welcher Arbeitsstil am besten zu einem passt – und dann mutig genug zu sein, diesen Weg zu gehen.
Auf welche Projekte in der nächsten Zeit freust du dich besonders?
Gerade gibt es einige spannende Dinge, auf die ich mich freue, insbesondere auf die AI Literacy Alliance: Das ist ein Herzensprojekt für mich, weil wir hier direkten Einfluss auf die nächste Generation haben. Natürlich freue ich mich auch auf mein Buch, das bald erscheint. Und die aktuelle KI-Transformation bei einem Mittelständler macht mir viel Freude. Hier fangen wir wirklich bei Null an, was super spannend ist.
Dr. Patrizia Ecker ist Expertin für digitale Transformation, künstliche Intelligenz und kognitive Verzerrungen. Sie promovierte in Psychologie und Computer Science und beschäftigt sich mit der Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie.
Als Beraterin unterstützt sie Unternehmen bei der strategischen Implementierung von KI und digitalen Prozessen. Zudem ist sie Gründerin der AI Literacy Alliance, die sich für einen bewussten und reflektierten Umgang mit Künstlicher Intelligenz einetzt.
Ihr Buch „The Digital Reinforcement of Bias and Belief“ erscheint demnächst bei Palgrave Macmillan.