Die Top-Strategieberatung BCG untersucht regelmäßig die 100 größten deutschen börsennotierten Unternehmen in Hinblick auf die Präsenz von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten. Der aktuelle BCG Gender Diversity Index zeigt, dass Unternehmen mit klarer Zielgröße schneller einen höheren Frauenanteil erreichen, wie die Studienleiterin Nicole Voigt im Interview verrät.
Was Frauenanteile in Vorständen betrifft, liegt Deutschland auf Platz 24 unter 27 EU-Staaten. Warum haben es Frauen in Deutschland so schwer, an die Spitze zu kommen?
Wir haben Ende 2020 den BCG Gender Diversity zum vierten Mal veröffentlicht und erneut festgestellt: Beim Thema Gleichberechtigung von Frauen im Top-Management geht es nur sehr schleppend voran. Über die Hälfte der 100 analysierten Unternehmen hat bislang noch keine Frau im Vorstand. Aber: Jene Unternehmen, die sich selbst zu einer Quote verpflichtet haben, erzielen deutlich größere Fortschritte in der Geschlechterparität. Das zeigt auch: Diversität ist ein Marathon, kein Sprint und erfordert messbare Ziele und kontinuierliches Engagement, sowohl von den Unternehmen, als auch von der Politik.
Messbar ist in jedem Fall, dass Unternehmen mit diversen Führungsteams wirtschaftlich erfolgreicher sind. Warum tun sich Arbeitgeber trotzdem so schwer damit, sich stärker für weibliche Führungskräfte zu öffnen?
Richtig, wir sehen, dass viele Unternehmen noch nicht so weit sind – das beweisen auch die Zahlen aus unserem Gender Diversity Index. Woran das genau liegt hat sicherlich viele Gründe und ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Was allerdings klar ist: Jene Unternehmen, die sich selbst eine Zielgröße gesetzt hatten, haben ihre Diversitätsziele auch schneller erreicht.
Und welche Maßnahmen auf Arbeitgeberseite haben sich als die wirksamsten erwiesen, um die Position im Gender Diversity Index zu verbessern?
Grundsätzlich gilt: Transparenz schaffen, Anreize bieten und für Verbindlichkeit sorgen. Ein entscheidender Faktor, den wir sehen, ist das Verknüpfen der Vorstandsvergütungen an Diversitätsziele. Ebenfalls sehr wirksam ist das Job-Sharing für Führungskräfte oder Programme zur Wiedereingliederung von Eltern nach der Elternzeit. In Summe braucht es jedoch ein breites Maßnahmen-Set, um erfolgreich zu sein – das beginnt beim öffentlichen Bekenntnis der Diversität und der Schaffung von firmeneigenen Frauennetzwerken und zieht sich bis zum Angebot von Teilzeit oder Homeoffice-Lösungen. Wichtig ist es, den Unternehmen vor Augen zu führen, dass Diversität einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert hat und auch positiv nach innen wirkt.
Für diese positive Wirkung nach innen sind Sie bei BCG als Leiterin der Women Initiative Düsseldorf auch verantwortlich. Wie wichtig sind interne Netzwerke für Frauen?
Frauen-Netzwerke fördern Austausch und schaffen Transparenz. Es ist wichtig, immer rechtzeitig ein Ohr an den Dingen zu haben, die ein Unternehmen umtreiben. Frauen versuchen gerade oft, Dinge mit sich allein auszumachen. Ich tausche mich deshalb gerne mit Kolleginnen aus allen Bereichen aus. Solche Netzwerke sind eine tolle Unterstützung, sollten aber von anderen Maßnahmen des Arbeitgebers unterstützt werden.
Welches sind denn Ihre größten Herausforderungen dabei, eine diverse Unternehmenskultur zu etablieren und wie weit ist BCG dabei?
Vielfalt ist Grundvoraussetzung für Innovation, das haben wir in mehreren Studien gezeigt. Es ist also in unserem eigenen Interesse, als Unternehmen Vielfalt zu fördern und zu leben. Das betrifft alle Facetten: Herkunft, Kultur, Weltanschauung, sexuelle Orientierung, fachlichen Hintergrund und natürlich auch Geschlechtervielfalt. Dafür haben wir bei BCG zahlreiche Initiativen, zum Beispiel Women@BCG, Colorful@BCG und Pride@BCG. Bei Geschlechtervielfalt ist unser Ziel insgesamt Geschlechterparität, und wir machen dabei auch große Fortschritte: Der Frauenanteil über alle Hierarchieebenen hinweg liegt bei über 40 Prozent, in unserem weltweiten Führungsgremium sind es 35 Prozent Frauen. Das sind gute Werte, aber auch hier wollen wir noch mehr erreichen.
FRAUEN IN DEN CHEFETAGEN:
DIE TOP 10 IM GENDER DIVERSITY INDEX 2020 VON BCG
1. Deutsche Telekom | 6. HENKEL |
2. Aareal | 7. DWS Group |
3. Merck | 8. Fraport |
4. CECONOMY | 9. KWS SAAT |
5. Fuchs Petrolub | 10. COMMERZBANK |
Bessere Werte als in den Vorstandsetagen gibt es bei den von Ihnen untersuchten Unternehmen in den Ebenen unter dem Top-Level. Was sagt dies aus?
Unsere jüngste Untersuchung hat gezeigt, dass es auf den beiden Ebenen unter dem Vorstand einen Anteil von knapp 20 Prozent Frauen gibt – jeweils doppelt so viele wie in den Vorständen. Das lässt den Schluss zu, dass es genug qualifizierte Frauen gibt, die in das oberste Führungsgremium aufrücken könnten.
Sie sind auch auch Positivbeispiele gestoßen. Welche sind das ?
Erst einmal sind alle Unternehmen erwähnenswert, die sich dafür einsetzen, dass Frauen gleichberechtigt werden. In unserem Report heben wir Beiersdorf hervor, weil wir hier eine sehr positive Entwicklung über die vergangenen Jahre beobachtet haben – die Position im Index hat sich stetig verbessert. Doch auch unsere Champions, 2020 war es die Deutsche Telekom, verdienen Anerkennung.
Und welche Frau in Chefetagen beeindruckt Sie persönlich ganz besonders?
Martina Merz, die Vorstandsvorsitzende von thyssenkrupp. Sie muss einen Traditionskonzern aus der Stahlindustrie in eine neue Ära bringen, die ganze Branche steht vor einem großen Umbruch. Das bringt riesige Herausforderungen mit sich, wie etwa der Umbau hin zu „grünem“ Stahl.
Wenn Sie heute als High Potential einen Arbeitgeber auswählen würden, auf welche Kriterien würden Sie besonders achten beim Punkt Diversität?
Wie divers ist das Top-Management aufgestellt, welche Möglichkeiten gibt es, um Karriere und Familie zu verknüpfen und: Bekennt sich der potenzielle Arbeitgeber zu Diversität und hat sich selbst Ziele gesetzt? Auch wichtig ist, ob die Firma Frauen in den wichtigsten Gremien hat, denn das hat eine enorme Sogwirkung auf motivierte Mitarbeiterinnen. Das sind die Faktoren, die Unternehmen tatsächlich diverser – und letztlich auch erfolgreicher machen.
Die Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens spielt gerade bei Familien eine wichtige Rolle. Wie gelingt es Ihnen aus einer – zumindest bis Corona – reise- und arbeitszeitintensiven Branche wie der Beratung, den Wünschen Ihrer Mitarbeiter zu entsprechen?
Unternehmensberatung ist kein klassischer „nine to five“ Job, das wissen unsere Mitarbeiter natürlich. Dennoch bietet die projektbasierte Arbeit gute Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten, zum Beispiel bei Elternzeit. Wir haben außerdem zahlreiche Flexibility-Angebote, zum Beispiel als Elternteil in Teilzeit zu arbeiten. Auch ermöglicht BCG seinen Mitarbeitern, Auszeiten zu nehmen – über den Jahresurlaub hinaus von bis zu acht Wochen. Wir wissen, dass einiges noch nicht perfekt ist, aber wir arbeiten beständig daran, besser zu werden.
Und welche Rolle spielen New-Work, die sinnstiftende Funktion der Arbeit und Werte wie Freiheit und Selbstständigkeit bei BCG?
BCG legt großen Wert auf die Bedürfnisse jedes einzelnen, dabei achten wir auch stark darauf, sinnstiftende Tätigkeiten anzubieten. Wir sind in bis zu 20 Branchen tätig und können von Haus aus sehr vielfältige Projekte bieten, der „Group Spirit“ und die Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Kollegen ist dabei großer Bestandteil unserer Arbeit. Es gibt bei BCG aber auch die Möglichkeit, ein Jahr lang für eine gemeinnützige Organisation oder einen speziellen Kunden zu arbeiten. Hinzu kommen individuelle Trainings- und Mentorenprogramme, zugeschnitten auf die persönliche Entwicklung jedes einzelnen.
CHECKLISTE GENDER DIVERSITY
Diese Punkte sollten Absolvent:innen in Hinblick auf ihren ersten, potentielle Arbeitgeber ganz besonders abklopfen, rät Nicole Voigt
1. Schau dir an, wer das Top-Management bildet. Sind es ausschließlich Männer? Gibt es Frauen in den wichtigsten Gremien?
2. Welche konkreten Möglichkeiten gibt es, um Karriere und Familie zu verknüpfen? Frag gezielt nach, wie flexibel der Arbeitgeber ist und welche Modelle er anbietet. Wichtig: Bei definierten Arbeitszeitmodellen muss man nicht im Einzelfall um den nötigen Freiraum kämpfen, sondern kann sich auf diese Standards verlassen. Habe keine Angst, solche Fragen zu stellen.
3. Bekennt sich der potenzielle Arbeitgeber zu Diversität und hat sich selbst Ziele gesetzt? Wer sch in der Öffentlichkeit klar positioniert, muss auch liefern. Achte deshalb auf Unternehmen, die ihre Vorstellungen offensiv kommunizieren und bei denen im besten Fall die Vorstandsvergütung an Diversitätsziele geknüpft ist!
Mehr zum Thema Gender-Diversität und Female Leadership findet ihr hier.