Die Arbeitswelt befindet sich im ständigen Wandel, und damit auch die Anforderungen an Führungskräfte. Besonders im digitalen Zeitalter verändern sich die Erwartungen und eine neue Form der Führung wird immer wichtiger. Prof. Dr. Claudia Peus, Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity an der Technischen Universität München (TUM), beleuchtet in diesem Interview, wie sich Führung im Wandel neu definiert und welche Rolle weibliche Führungskompetenz in dieser Entwicklung spielt. Sie erklärt, wie sich Führung in einer zunehmend komplexen und technologiegetriebenen Welt verändert und warum es unerlässlich ist, dass Unternehmen Inklusion und Diversität fördern.
Sie sind Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement sowie geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity an der TUM. Wie kamen Sie zu diesen Schwerpunkten?
Nachdem ich über Führung promoviert hatte, war ich als Post-Doc in Boston (Harvard und MIT) und hatte gerade ein Angebot für eine TT-Professur in den USA in den Händen. Da rief mein Doktorvater mich aus München an und fragte, ob ich nach Deutschland zurückkehren würde, um ein Center zur evidenzbasierten Förderung von Führungskompetenzen in der Wissenschaft aufzubauen. Da wir hier Neuland betreten konnten – in der Forschung wie in der praktischen Förderung von Führungskompetenzen in der Wissenschaft – nahm ich die Herausforderung an. Vieles, was wir damals begonnen haben, stellt das Fundament für meine heutige Arbeit an der TUM dar. Nun darf ich die Themen effektive und verantwortungsvolle Führung, Talentmanagement und Diversity als Vizepräsidentin der TUM vorantreiben.
Dabei ist es unser Ziel, die besten Talente in aller Vielfalt für die TUM zu gewinnen und zu fördern, so dass jede und jeder sein Potential voll entfalten kann. Wie die Weltlage zeigt, ist das noch immer keine Selbstverständlichkeit, in manchen Bereichen machen wir sogar Rückschritte – was mich sehr schmerzt. Mein Ziel ist es, neue Forschungserkenntnisse zu Führung im digitalen Zeitalter, Talentmanagement und Diversität zu generieren, diese aber gleichzeitig der Praxis zur Verfügung zu stellen und dort wiederum zu lernen, was wir in der Forschung als Nächstes untersuchen sollten. So beschäftigen wir uns derzeit mit Robotern als Führungskräften, der Zusammenarbeit in Human-KI-Teams oder der Frage, wie Frauen in den MINT-Wissenschaften noch sichtbarer werden können.
Generell treibt mich die Frage um, was effektive und verantwortungsvolle Führung in unserer komplexen Zeit ausmacht und wie wir diese in der Praxis fördern können. Vor diesem Hintergrund haben wir an der TUM im Jahr 2021 auch das TUM Institute for LifeLong Learning gegründet, das ich leiten darf.
Es gibt viele Möglichkeiten, um weibliche Talente in Unternehmen zu fördern. Welche Maßnahmen betrachten Sie als besonders sinnvoll?
Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um weibliche Talente zu fördern. Dies sind Maßnahmen zur gezielten Förderung der Kompetenzen weiblicher Talente, Mentoring-Programme oder Veranstaltungen mit Role-Models. All dieses ist wichtig – aber nicht genug. In den USA spricht man davon, dass es unklug ist, einen Ansatz zu verfolgen, der sich als „fixing the women“ beschreiben lässt. Vielmehr ist es wichtig, auch „fixing the institutions“ zu verfolgen. Dem kann ich nur zustimmen.
„Arbeitgeber sind gefordert, eine inklusive Kultur zu fördern“
Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Männer und Frauen durch Stellenausschreibungen gleichermaßen angesprochen werden (in unserer Forschung zeigen wir, dass Frauen häufig durch die verbale und bildliche Gestaltung abgeschreckt werden) und ob derselbe Lebenslauf anders bewertet wird, je nachdem, ob er einen weiblichen oder männlichen Namen trägt (auch hier zeigt die Forschung in vielen Bereichen noch deutlich unterschiedliche Bewertungen). Es geht darüber hinaus um die Frage, welche Kriterien für Auswahl- und Beförderungsentscheidungen herangezogen werden und ob der Zugang zu solchen Positionen einem offenen, klar strukturierten Prozess folgt – oder es hauptsächlich um informelle Netzwerke geht – dann haben häufig die Männer die Nase vorn.

Schließlich sind Arbeitgeber gefordert, eine inklusive Kultur zu fördern, in der Talente in all ihrer Vielfalt ihr Potential entfalten können. Überdies scheint es mir notwendig, dass Arbeitgeber ihre Karrieremodelle überdenken. Frauen wie Männer wollen heutzutage mehr Flexibilität und es erscheint mir auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll, dass hochqualifizierte Personen weit unter ihrem Potential beschäftigt werden, wenn sie (aus welchen Gründen auch immer) eine gewisse Zeit lang nicht Vollzeit gearbeitet haben oder aktuell arbeiten.
Quoten können den Anteil von Frauen in Führungspositionen natürlich kurzfristig erheblich steigern und dazu führen, dass Arbeitgeber ihre Strukturen, Prozesse und Kultur weiterentwickeln. Langfristig sollte jedoch das Ziel sein, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der Quoten überflüssig sind.
Wie wirkt sich „weibliche Führung“ auf die Mitarbeiter:innen und die Unternehmenskultur aus?
Einen ganz klar „weiblichen“ versus „männlichen“ Führungsstil gibt es so nicht. Aber es gibt spannende Arbeiten beispielsweise zum sogenannten „transformationalen Führungsstil“. Dieser ist durch eine inspirierende Vision, hohe Leistungsziele, die Förderung von Innovation und die individualisierte Förderung von Mitarbeitenden gekennzeichnet und hat sich empirisch als besonders effektiv gezeigt. In einer spannenden Meta-Studie zu diesem Führungsstil zeigte sich, dass weibliche Führungskräfte diesen Führungsstil stärker zeigten als männliche. Wir wissen aber nicht, ob das eventuell an der gegebenenfalls härteren Selektion dieser (weiblichen) Führungskräfte liegt. Kurz gefasst bin ich aber immer wieder überrascht, dass in den Beschreibungen effektiver Führungskräfte Kriterien wie Zuhören können, Empathiefähigkeit oder individualisierte Förderung von Talenten eine große Rolle spielen (und häufig Frauen zugeschrieben werden), in Auswahl- oder Beförderungprozessen aber oft noch männliche Stereotype von Führungskräften („der eiskalte Entscheider“) dominieren.
Vor kurzem äußerte Mark Zuckerberg, dass Unternehmen nicht genug „masculine energy“ hätten. Würden Sie dem aus personalwirtschaftlicher Sicht zustimmen?
Nun, ich vermute, dass diese Aussage eher aus politischen Gründen erfolgte als auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Forschungsergebnisse zeigen, dass Unternehmen mit hoher Gender-Diversität eine signifikant größere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Ein Übermaß an sog. „maskuliner Energie“ führt vermutlich dazu, dass sich Frauen (und alle, die sich durch Alpha-Männer abgeschreckt fühlen) weniger zu diesen Organisationen zugehörig fühlen und sich seltener dort bewerben bzw. ihre Leistungsfähigkeit dort nicht entfalten können, was langfristig einen erheblichen Wettbewerbsnachteil darstellt. In einer Zeit, in der inklusives Führen und vielfältige Perspektiven für Innovationen und nachhaltigen Erfolg entscheidend sind, ist Zuckerbergs Aussage als rückwärtsgewandt zu bewerten.
Eine der Herausforderungen der Arbeitswelt ist das digitale Zeitalter und die Veränderungen, die damit einhergehen. Haben diese Veränderungen auch Auswirkungen
darauf, welche Arten von Führung besonders erfolgreich sind?
Dies hat in der Tat erhebliche Auswirkungen auf erfolgreiche Führungsansätze. Kurz gefasst sind Führungskräfte einerseits gefordert, die Implikationen der einflussreichsten neuen Technologien zu verstehen und diese für sich und ihre Organisationen zu nutzen, dabei aber auch die Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft im Blick zu behalten. Gleichzeitig wird aber die Berücksichtigung menschlicher Grundbedürfnisse wie die Suche nach Sinn, Fairness oder psychologischer Sicherheit immer wichtiger.
„Es ist entscheidend, eine Vertrauenskultur aufzubauen“
In einer Arbeitswelt, die durch rasante Veränderungen gekennzeichnet ist und in der Führungskräfte zunehmend virtuelle und auch Human-AI Teams effektiv leiten müssen, ist es entscheidend, eine Vertrauenskultur aufzubauen und die individuelle Entwicklung von Mitarbeitenden zu fördern. Weibliche Talente haben in dieser Zukunft hervorragende Chancen, da traditionell als „weiblich“ wahrgenommene Führungsqualitäten wie Kommunikationsstärke, Empathie und die Fähigkeit zur Teambildung immer wichtiger werden. Schließlich sind Werte als Kompass für das Führungshandeln wichtiger denn je.
Glass Ceiling. Glass Cliff. Haben diese Bilder negative Auswirkungen auf die Erwartungshaltung von Frauen im Job?
Ja, möglicherweise wirkt das schon abschreckend. Ich gebe zu, dass ich von diesen Phänomenen zu Anfang meiner Karriere nichts wusste. Andererseits helfen solche Begrifflichkeiten, zu verstehen, dass es sich um übergreifende Phänomene handelt, die mit einer einzelnen Person (zum Beispiel einem selbst) nichts zu tun haben. Und wenn ich auf die Zeit unserer Mütter oder gar Großmütter schaue, wird mir aber klar, dass Frauen in unserer Zeit bessere Chancen hatten als jemals zuvor.
Haben Sie noch einen Tipp für Studentinnen und Absolventinnen, die ihre eigenen Führungsqualitäten vielleicht noch nicht entdeckt haben, weil sie fälschlicherweise „masculine energy“ mit Führungsstärke verwechseln?
Ich glaube, es ist gerade für Frauen wichtig, in einem Gebiet wirklich gut zu werden. Das gelingt besonders leicht, wenn man dafür wirklich brennt. Also finden Sie heraus, was Sie begeistert, und verfolgen Sie dieses full power und suchen Sie sich Mentoren, die Ihnen Feedback geben, Sie herausfordern, Ihnen Chancen zum Lernen geben, aber Sie auch immer wieder unterstützen, wenn es schwierig wird.
Prof. Dr. Claudia Peus ist seit 2019 Gründungsdirektorin des TUM Institute for LifeLong Learning und seit 2017 Geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity an der TUM. Zudem hat sie seit 2011 die Professur für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement inne und war von 2014 bis 2020 Vice Dean of Executive Education an der TUM School of Management. Zuvor leitete sie das LMU Center for Leadership and People Management und war Habilitandin an der Ludwig-Maximilians-Universität. Ihre akademische Laufbahn umfasst auch Forschungsaufenthalte an der Harvard University und am MIT.
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