In Zeiten des rasanten Wandels prallen in der Berufswelt oft unterschiedliche Erwartungen aufeinander – vor allem zwischen den Generationen. Besonders in Familienunternehmen führt dieser Generationenkonflikt zu Spannungen: Die Elterngeneration sieht das Unternehmen als Lebenswerk, während die Nachfolger:innen eigene Vorstellungen einbringen möchten. Wie kann der Spagat zwischen diesen Erwartungen gelingen? Coachin Britta J. Reinhardt verrät im Interview, wie man konstruktive Gespräche führt und gemeinsame Lösungen findet.
Inwiefern prallen in der Berufswelt unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen den Generationen aufeinander?
Unterschiedliche Generationen bringen unterschiedliche Werte, Prägungen und Vorstellungen von Arbeit mit. Während ältere Generationen häufig Stabilität, Loyalität und eine klare Hierarchie schätzen, sind jüngere Generationen oft an Flexibilität, Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung interessiert. In Familienunternehmen kommt eine zusätzliche Dynamik ins Spiel: Die ältere Generation sieht das Unternehmen als Lebenswerk, während die Nachfolger:innen sich fragen, wie sie ihre eigenen Vorstellungen darin verwirklichen können. Dabei entsteht eine gewisse Ambivalenz: Die jüngere Generation muss vieles in Frage stellen – nicht aus Prinzip, sondern weil sich die äußeren Bedingungen grundlegend verändert haben. Marktstrukturen, technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Werte erfordern neue Antworten.
Die Herausforderung besteht darin, Arbeitsweisen, Unternehmenskultur und Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen, ohne dabei die Verdienste der älteren Generation abzuwerten. Denn das, was sie aufgebaut haben, war in ihrer Zeit genau richtig und erfolgreich. Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten – und der Schlüssel liegt darin, diese Veränderungen gemeinsam zu gestalten, mit Respekt für das Erbe der Vergangenheit und einem offenen Blick für die Zukunft.
Viele junge Menschen stehen vor der Herausforderung, dass ihre eigenen beruflichen Wünsche nicht mit den Vorstellungen der Eltern übereinstimmen. Was nun?
Tatsächlich beobachte ich in meiner Arbeit manchmal eine Art „verkehrte Welt“: Die jüngere Generation ist sicherheitsorientierter und wägt Risiken oft sehr genau ab, während viele ältere Unternehmer:innen sich häufig als risikoaffin, pragmatisch und mutig erleben – schließlich haben sie Unternehmen aufgebaut und/oder durch Krisen gesteuert.
Vor 30 oder 40 Jahren gab es ebenfalls wirtschaftliche Herausforderungen, aber auch eine gewisse Berechenbarkeit: Märkte wuchsen, es gab weniger disruptive Veränderungen und wer sich unternehmerisch engagierte, hatte meist eine langfristige Perspektive. Heute hingegen sehen junge Menschen eine Welt im Umbruch – Klimawandel, digitale Transformation, geopolitische Unsicherheiten und ein Arbeitsmarkt, der sich ständig verändert. Kein Wunder, dass viele Stabilität suchen.
Darüber hinaus erleben viele junge Menschen Respekt vor der Aufgabe, die auf sie wartet. Die Frage ist daher nicht nur „Will ich das?“, sondern auch: „Kann ich das überhaupt leisten?“ Mein Rat: Sich bewusst machen, dass Verantwortung nicht gleichbedeutend mit Alleingang ist. Unternehmen erfolgreich zu führen, bedeutet nicht, alles allein zu stemmen – sondern sich die richtigen Partner, Netzwerke und Unterstützung zu holen. Offene Gespräche mit der älteren Generation können helfen, ein realistisches Bild von Chancen und Risiken zu entwickeln – jenseits von Idealbildern und Ängsten.
Wie spricht man in einer solchen Situation am besten mit seinen Eltern über seine Wünsche?
In Unternehmerfamilien geht es nicht nur um die Frage, welchen Beruf man wählt – sondern darum, ob man die Verantwortung für das Familienunternehmen übernimmt oder nicht. Viele junge Menschen spüren dabei einen inneren Druck: Einerseits gibt es eine Loyalität gegenüber der Familie und dem Lebenswerk der Eltern, andererseits den eigenen Wunsch nach einem anderen Weg.
Das Entscheidende in solchen Situationen ist die innere Haltung: Sich selbst Klarheit verschaffen und nicht aus Angst vor Erwartungen oder Konflikten schweigen. Denn eine der größten Herausforderungen in Nachfolgeprozessen ist das unausgesprochene: „Ich dachte, du willst das doch!“ oder manchmal auch umgekehrt: „Ich dachte, ich bin auf jeden Fall der oder die Nachfolger:in“. Wenn Erwartungen über Jahre hinweg stillschweigend vorausgesetzt werden, entstehen Missverständnisse und Enttäuschungen auf beiden Seiten.
Deshalb ist es wichtig, frühzeitig offen zu sprechen – mit Respekt für die Eltern, aber auch mit Klarheit für sich selbst. Ein guter Weg ist es, wenn die Generationen lernen, ergebnisoffene Gespräche zu führen als ehrliches Erkunden. So kann ein Dialog entstehen, in dem beide Seiten sich gehört fühlen – und in dem vielleicht auch neue Möglichkeiten sichtbar werden, anstatt nur eine Entweder-oder-Entscheidung.
Wie kann man elterlichem Rat trotz abweichender Meinung wertschätzend begegnen?
Elterlicher Rat ist meist gut gemeint. Doch für die nächste Generation stellt sich die Frage: Wo endet der wertvolle Rat – und wo beginnt die Beeinflussung meiner eigenen Entscheidungen?
Kaum eine Konstellation macht es schwieriger, herauszufinden, was wirklich das Eigene ist, denn die Werte, Überzeugungen und Denkweisen der Familie sind oft über Generationen hinweg tief verankert. Was fühlt sich für mich „richtig“ an – weil es meinen eigenen Wünschen entspricht? Und was erscheint mir nur naheliegend, weil ich es von klein auf so kenne?
Wertschätzung bedeutet in diesem Kontext nicht, jede elterliche Empfehlung ungefiltert zu übernehmen. Es geht darum, sich das Wissen der Älteren anzuhören, es mit den eigenen Überzeugungen abzugleichen und dann bewusst zu entscheiden. Ein möglicher Ansatz könnte sein: „Ich sehe, dass ihr aus eurer Erfahrung heraus diesen Weg als richtig anseht. Ich verstehe, warum – und ich nehme euren Rat ernst. Gleichzeitig spüre ich, dass ich meinen eigenen Weg finden muss. Lasst uns im Gespräch bleiben.“
So wird der Austausch zum Dialog und nicht zum stillen Ringen zwischen den Generationen.

Haben Sie konkrete Tipps, wie man es schafft, sich bei seinen Entscheidungen nicht von äußeren Erwartungen steuern zu lassen?
Das ist ein Prozess. Erstens: Sich selbst gut kennenlernen. Was motiviert mich wirklich? Was gibt mir Energie? Zweitens: Eine innere Klarheit entwickeln. Wenn ich weiß, warum ich eine bestimmte Entscheidung treffe, fällt es mir leichter, sie zu vertreten – auch gegen Widerstände. Drittens: Ein unterstützendes Umfeld suchen. Menschen, die ähnliche Werte teilen, können helfen, den eigenen Weg mit mehr Selbstvertrauen zu gehen. Und schließlich: Sich erlauben, den eigenen Weg zu erproben, auch wenn es nicht immer leicht ist.
Dabei kann es sehr hilfreich sein, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein neutraler Blick von außen – sei es durch Coaching, Mentoring und auch strukturierte Verfahren wie Persönlichkeits- oder Kompetenztests – kann helfen, Klarheit über die eigenen Stärken, Interessen und Werte zu gewinnen.
Manchmal zeigt sich dabei, dass der eigene Weg viel näher am Unternehmen liegt, als man dachte.
Manchmal wird aber auch deutlich, dass es für alle Beteiligten besser ist, neue Möglichkeiten jenseits der Familiennachfolge zu erkunden. Wichtig ist: Eine bewusste Entscheidung für oder gegen eine Rolle im Unternehmen ist kein Verrat, sondern eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit der Zukunft – sowohl der eigenen als auch der des Unternehmens.
Sie beraten Familienunternehmen beim Generationenübergang. Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Die Übergabe eines Familienunternehmens ist nie nur eine wirtschaftliche Entscheidung – sie ist immer auch eine Frage von Identität, Verantwortung und familiärer Dynamik. Die größten Herausforderungen entstehen oft nicht durch strategische oder finanzielle Fragen, sondern durch unausgesprochene Erwartungen, Loyalitätskonflikte und unterschiedliche Vorstellungen von Führung. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Nachfolgern und Nachfolgerinnen:
Nachfolger sind oft diejenigen, die „müssen“ – sie stehen in der Pflicht, die Familientradition weiterzuführen, auch wenn sie sich innerlich vielleicht noch nicht ganz sicher sind. Nachfolgerinnen hingegen sind oft diejenigen, die „wollen“, aber sich ihre Rolle erst erkämpfen müssen – sei es gegen traditionelle Vorstellungen, Zweifel im Unternehmen oder unbewusste Vorbehalte innerhalb der Familie.
Das führt dazu, dass Nachfolgerinnen häufig besonders überzeugte und begeisterte Unternehmerinnen werden. Wer seine Rolle nicht einfach übernimmt, sondern sie sich erarbeitet, bringt oft eine besondere Leidenschaft und Klarheit mit. Diese Energie kann für das Unternehmen eine große Chance sein – wenn sie gesehen und gefördert wird. Entscheidend ist, dass sowohl Nachfolger als auch Nachfolgerinnen ihre Rolle bewusst annehmen – nicht aus bloßer Verpflichtung, sondern aus Überzeugung. Nur dann kann die Nachfolge zu einer echten Weiterentwicklung werden und nicht nur zu einem „Weiter-so“.
Viele Unternehmen finden in Zeiten des demographischen Wandels keine Nachfolger. Sehen Sie darin eine gute Chance für Studierende, die selbst einmal Unternehmer werden wollen?
Definitiv! Während viele junge Menschen noch auf der Suche nach ihrer beruflichen Richtung sind, gibt es gleichzeitig zahlreiche Unternehmen, die dringend eine Nachfolge suchen. Das bedeutet: Unternehmertum muss nicht immer mit einer Neugründung beginnen – es kann auch der Einstieg in ein bestehendes Unternehmen sein.
Doch wie kommt man mit Unternehmer:innen ins Gespräch, die eine Nachfolge in Betracht ziehen? Hier ist es wichtig, den richtigen Rahmen zu finden:
• Veranstaltungen in der Gründer- und Nachfolgeszene sind eine hervorragende Möglichkeit, mit Unternehmer:innen ins Gespräch zu kommen, die für das Thema offen sind. Die Gründer-Szene entwickelt sich zunehmend auch zur Nachfolger-Szene.
• Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) sind eine weitere wertvolle Anlaufstelle. Viele IHKs bieten spezielle Nachfolgebörsen, Beratungen und Netzwerke, die den Prozess der Unternehmensübergabe erleichtern.
• Direkte Gespräche mit Unternehmer:innen im eigenen Umfeld erfordern ein anderes Vorgehen. Nicht jede Unternehmerin und jeder Unternehmer denkt aktiv über Nachfolge nach oder spricht offen darüber. Hier kann es helfen, zunächst Interesse am Unternehmen selbst zu zeigen: „Mich fasziniert, wie Ihr Unternehmen sich entwickelt hat. Wie sehen Sie die Zukunft?“ Manchmal öffnet sich daraus eine Tür für weitere Gespräche.
Letztlich bleibt die Unternehmensnachfolge eine spannende Option für alle, die unternehmerisch denken – und mit den richtigen Kontakten und einer guten Vorbereitung kann sie eine echte Alternative zur Neugründung sein.
Gern möchte ich in diesem Zusammenhang noch das Wiesbadener Institut für Nachfolge-Kultur (WINK), bei dem ich ehrenamtlich als Vorstandsmitglied tätig bin, erwähnen. Wir haben die Vision eine neue „Nachfolge-Kultur“ zu etablieren. Darunter verstehen wir eine frühzeitig, selbstbestimmt und bewusst gestaltete Nachfolge, die multiperspektivisch angegangen wird. Wir verstehen uns bei WINK als die Anlaufstelle für Unternehmer:innen und ihre Familien, um den Prozess der Nachfolgeplanung in Gang zu setzen und wir möchten, dass Nachfolge als ein natürlicher Vorgang angesehen wird, der immer aktuell ist – gemäß dem Motto: „Nach der Nachfolge ist vor der nächsten Nachfolge“.
Zur Unterstützung haben wir die App „Walk of Change“ entwickelt – den Jakobsweg der Nachfolge. Dieser kann auch von jungen Menschen genutzt werden, die sich eine Nachfolge – egal ob familienintern oder extern – vorstellen können, genutzt werden, um sich erste ernsthafte Gedanken darüber zu machen. Es handelt sich um einen geführten Spaziergang, der zehn Fragen zur Nachfolge stellt und bei dem man die Antworten einfach in das Handy spricht.
Britta J. Reinhardt ist Spezialistin für die Beratung von Transformationsprozessen in mittelständischen Familienunternehmen. Sie ist kompetente Gesprächspartnerin auf Augenhöhe für Geschäftsführer:innen und Inhaber:innen, nicht zuletzt da sie die alltäglichen Anforderungen an diese Rollen durch ihre 12-jährige Erfahrung als geschäftsführende Gesellschafterin kennt.