Die Demokratie weltweit steht vor großen Herausforderungen und in vielen Regionen ist sie sogar auf dem Rückzug. Doch wie können wir demokratische Strukturen stärken und was können junge Menschen dazu beitragen? Dr. Anna Herrhausen, Vorstandsmitglied der PHINEO gAG, gibt spannende Einblicke in die Bedeutung der Zivilgesellschaft, die Rolle von Netzwerken und die Chancen für Student:innen, sich aktiv für gesellschaftlichen Wandel einzusetzen.
Wie sind Sie zu PHINEO gekommen?
Ich interessiere mich seit über 15 Jahren für das Thema soziales Unternehmertum, Social Entrepreneurship. Dabei habe ich auch die Gründung von PHINEO verfolgt. Besonders beeindruckend fand ich, dass das Unternehmen sich zum Ziel gesetzt hat, die Wirkung sozialer Initiativen tatsächlich greifbar zu machen. Seit der Gründung im Jahr 2010 hatte ich PHINEO im Blick und stand immer wieder im Austausch mit dem Mitgründer und Vorstandsvorsitzenden Dr. Andreas Rickert. Als ich im Sommer 2023 die Deutsche Bank verließ, begannen mehrere Monate intensiven Austauschs – und schließlich wurde ich als zweites Vorstandsmitglied bestellt.
Haben Sie auch Tipps für erfolgreiches Networking?
Meine Erfahrung ist, dass ein Netzwerk entsteht, wenn man authentisch ist und Interesse zeigt. Mein Tipp wäre, sich nicht auf das Netzwerken an sich zu konzentrieren, sondern wirklich auf die Inhalte, die einen selber interessieren und die man vertreten möchte. Wer mit Leidenschaft über seine Ideen spricht, zieht automatisch Gleichgesinnte an. So entwickelt sich ein Netzwerk organisch.
Eines Ihrer Ziele ist die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Demokratie. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell in diesem Bereich, und wie kann man demokratische Strukturen in Zeiten wie diesen stärken?
Weltweit steht die Demokratie unter Druck, in vielen Regionen ist sie sogar auf dem Rückzug. Der Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit zeigt, dass wir auf einem historischen Tiefstand sind. Nur noch acht Prozent der Weltbevölkerung leben in vollständigen Demokratien, während 40 Prozent in autoritären Regimen leben.
Die Zivilgesellschaft bildet die Basis für eine funktionierende Demokratie. Sie organisiert das gesellschaftliche Miteinander, sie identifiziert Angriffe auf demokratische Strukturen, und sie setzt sich aktiv gegen solche zur Wehr. Das zeigt sich beispielsweise bei Organisationen, die digitale Bildung fördern, Desinformationen aufklären oder sich um Opfer digitaler Gewalt kümmern. Auch Initiativen, die Korruption bekämpfen, leisten einen wichtigen Beitrag. All das sind in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, zivilgesellschaftliche Organisationen, die sowohl den Klebstoff der Gesellschaft herstellen als auch die Demokratie verteidigen.
„Weltweit steht die Demokratie unter Druck, in vielen Regionen ist sie sogar auf dem Rückzug. Der Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit zeigt, dass wir auf einem historischen Tiefstand sind.“
Wie kann PHINEO dazu beitragen, demokratische Strukturen widerstandsfähiger zu machen?
PHINEO analysiert, welche Organisationen besonders wirkungsvoll sind und tatsächlich erreichen, was sie versprechen. Diese zeichnen wir mit dem sogenannten PHINEO-Wirkt-Siegel aus. Das hilft wiederum den Organisationen dabei Spendengelder zu einzuwerben oder Freiwillige zu begeistern, bei ihnen mitzuarbeiten. Wer seine Wirkung nachweisen kann, kann auch besser Ressourcen akquirieren.
Unsere Leserschaft ist vor allem im studentischen Bereich. Wo können junge Menschen aktuell besonders viel bewirken?
Junge Menschen fordern uns immer wieder heraus. Sie sagen uns klar, dass wir nicht genug tun – sei es für den Klimaschutz, Menschenrechte oder Biodiversität. Entscheidungsträger:innen dürfen immer wieder einen Spiegel vorgehalten bekommen und diesen als Ansporn begreifen.
Außerdem bringen junge Menschen oft innovative Lösungen mit. Sie haben noch nicht so viel ausprobiert und sind nicht durch vorherige Erfahrungen begrenzt. Sie sind einfach mutig und fragen: Warum machen wir es nicht anders? Und manchmal funktioniert genau das.
Welche Möglichkeiten gibt es für junge Menschen, die sich bei PHINEO engagieren möchten?
Wir bieten reguläre Praktika an – meist nach einem abgeschlossenen Vordiplom. In der Regel sollte man sechs Monate mitbringen, um wirklich in spannende Projekte einzutauchen. Zudem haben wir regelmäßig offene Stellen. Es lohnt sich, die Augen offen zu halten und sich ganz regulär zu bewerben.
Sie engagieren sich für mehr Frauen in Führungspositionen und MINT-Berufen. Haben Sie Tipps für junge Frauen, die ihren Weg noch suchen und ihr Potenzial ausschöpfen möchten?
Mein wichtigster Tipp ist, sich selbst etwas zuzutrauen und einfach mal etwas auszuprobieren. Ich habe das Gefühl, dass Frauen sich oft selbst im Weg stehen, zurückhaltender sind als ihre männlichen Kollegen und denken, sie hätten nicht genug Erfahrung für ein großes Projekt. Männer machen sich diese Sorgen kaum. Deshalb sollten Frauen bewusst sagen: „Doch, ich traue mir das zu. Ich kann das!“ Selbst wenn man anfangs Unsicherheiten verspürt, wächst man schnell in eine Rolle hinein und zeigt, was man kann.
Junge Talente wählen ihre Arbeitgeber heute bewusster aus. Worauf sollte man bei der Wahl achten?
Wichtig ist, sich selbst gut zu kennen und auch auf das Bauchgefühl zu hören. Man verbringt viele Stunden an seinem Arbeitsplatz – wenn sich die Tätigkeit nicht nur nach Arbeit anfühlt, sondern intrinsisch motivierend ist, ist das wunderbar. Das wünsche ich allen jungen Menschen, die überlegen, welchen beruflichen Weg sie einschlagen.
War Ihr Wechsel zu PHINEO eine große Veränderung?
Es war definitiv eine Veränderung, aber auch vertraut. Meine Beratungserfahrung in der Unternehmensberatung hat mir geholfen, mich schnell in neue Themen einzuarbeiten und keine Angst vor diesem Neuanfang zu haben. Das ist etwas, das ich später geschätzt habe: eine Sicherheit in Bezug auf Veränderungen mitbringen zu können.
Haben Sie einen Rat für Frauen in technischen Berufen oder allgemein für den Umgang mit Herausforderungen?
Es ist wichtig, dranzubleiben und Herausforderungen auszuhalten. Manchmal hilft es, sich mit anderen auszutauschen und zu merken, dass man nicht allein ist. Ein stabiles Netzwerk und gegenseitige Unterstützung sind dabei entscheidend. Ein dickes Fell braucht man schon und ab und zu einen guten Freund oder eine gute Freundin.
Haben Sie ein persönliches Role Model?
Mein Vater war eine große Inspiration für mich. Ich habe sechseinhalb Jahre die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft geleitet, die die Deutsche Bank in seinem Andenken gegründet hat. Dabei habe ich mich intensiv mit seinen Ideen beschäftigt – sein vorausschauendes Denken und sein breites Interesse an verschiedenen Disziplinen haben mich geprägt.
Mit einem Blick auf das globale Geschehen: In vielen Ländern breitet sich „Anti-Wokeness“ aus und man hinterfragt Menschenrechte. Sehen Sie davon auch eine Gefahr in Deutschland?
Ich habe schon Sorgen um unsere Demokratie und um das, was damit einhergeht – Schutz der Menschenwürde, Schutz des Planeten, Wertschätzen von Diversität. Das ist auch ein Grund dafür, warum ich sehr froh bin, bei PHINEO arbeiten zu können, weil ich das Gefühl habe, dass ich dort an der richtigen Stelle bin, etwas Gutes zu bewirken und die positiven Kräfte für Demokratie, für Klimaschutz, für Nachhaltigkeit zu stärken.

Dr. Anna Herrhausen hat einen Ph.D. von der Freien Universität Berlin und einen Master in Internationalen Angelegenheiten von der Columbia University. Sie begann ihre berufliche Laufbahn als Unternehmensberaterin bei McKinsey & Company und wechselte 2009 zur Allianz SE, wo sie den Corporate Responsibility Bereich mit aufbaute. Seit Januar 2014 war sie Direktorin im Bereich Kommunikation & CSR bei der Deutschen Bank. In beiden Finanzdienstleistungsunternehmen war sie in den Bereichen tätig, die sich mit gesellschaftlichem Engagement befassen. Heute schlägt sie nicht mehr die Brücke von der Wirtschaft in die Zivilgesellschaft, sondern ist nun auf der Seite der Zivilgesellschaft tätig und schlägt die Brücke in die andere Richtung. Seit 2024 ist Dr. Anna Herrhausen Vorstandsmitglied der PHINEO gAG.
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