Angesichts der Wahlergebnisse der Bundestagswahl 2025 und der wachsenden Sorge um die Stabilität unserer Demokratie, gewinnt politisches Engagement zunehmend an Bedeutung. Nela Riehl, ehemalige Lehrerin und heute Abgeordnete im Europäischen Parlament, hat sich aus genau dieser Sorge heraus entschieden, aktiv zu werden. Sie spricht über ihren Weg in die Politik, die Herausforderungen für die Demokratie in Europa und warum es gerade jetzt entscheidend ist, sich einzubringen.
Nela, was hat dich bewegt, politisch aktiv zu werden?
Als Lehrerin für Politik habe ich mich natürlich immer schon für diese Themen interessiert und war aktiv – wenn auch nicht aktivistisch. Ich war auch glücklich in meinem Beruf, doch zunehmend wuchs in mir das Gefühl, dass wir unseren Kindern und Schüler:innen keine heile Welt hinterlassen. Eines Abends saß ich am Bett meines großen Sohnes, er war gerade friedlich eingeschlafen, und mich überkam eine innerliche Unruhe angesichts des Ukraine-Kriegs, der Pandemie und der wirtschaftlichen Lage. Ich dachte: „Wenn ich jetzt nichts tue, verbittere ich“, und wusste, dass ich handeln musste.
Ich habe Parteien recherchiert und Volt teilte meine Überzeugung, dass die Bearbeitung von Fragen über die Zukunft über die europäischen Grenzen hinweg organisiert werden muss, weshalb ich der Partei 2023 beitrat. Aus dem anfänglichen Plakate-Aufhängen wurde innerhalb kurzer Zeit schon der Schritt in die Berufspolitik, als mir von vielen Parteimitgliedern nahegelegt wurde, mich für die Europawahl aufstellen zu lassen. Seit Juli 2024 habe ich mein Lehramt niedergelegt und bin als Abgeordnete im Europäischen Parlament und als Ausschussvorsitzende für Kultur und Bildung tätig.
Nela Riehl (Bild) studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg und war von 2013 bis 2024 als Studienrätin an einer Hamburger Stadtteilschule tätig. 2024 zog sie ins Europäische Parlament ein und wurde zur Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Bildung gewählt.
Welche Erfahrungen aus deiner Zeit als Lehrerin kannst du in deine politische Arbeit einfließen lassen?
Meine Erfahrung im Umgang mit Menschen hilft mir besonders. Mir wurde kürzlich gesagt, man merke, dass ich mal Lehrerin war, wenn ich als Ausschussvorsitzende um Ruhe bitte. (lacht) Als Lehrerin habe ich auch beobachtet, wie Politik in der Schule vermittelt wird und wo Verbesserungen nötig sind. Der Politikunterricht wurde vor Jahren zugunsten der MINT-Fächer gekürzt, was zunehmend problematisch wird. Die Art der politischen Bildung muss verändert werden: Es geht nicht nur ums Auswendiglernen, sondern darum, den Schülern echten Zugang zur Politik zu ermöglichen – als Ausschussvorsitzende für Kultur und Bildung ist das mein Ziel.
Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe als Abgeordnete gemacht, jedes Jahr mit meinem Besucherkontingent vorrangig Schüler:innen zu mir ins Europäische Parlament nach Brüssel einzuladen. Ich möchte die Vorstellung der Politik als eine Art elitärem Club mit der eines gemeinschaftlichen Projekts ersetzen, an dem jeder teilnehmen kann und sollte.
Wie beurteilst du die aktuelle hochdynamische politische Situation in Europa?
Die politische Lage in Europa wie auch global ist durchaus herausfordernd, besonders angesichts großer Probleme wie dem Klimawandel, massiver Desinformation und dem allgemeinen Rechtsruck. Aber man muss das nicht akzeptieren. Diesen Bedrohungen für unsere Demokratie kann und muss durch Förderung der politischen Bildung entgegengewirkt werden. Bildung macht resilient. Sie verschafft einer Gesellschaft die nötigen Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein, die großen Themen als solche anzuerkennen, anstatt sie zu ignorieren, vor ihnen zurückzuschrecken oder auf Falschinformationen hereinzufallen und schließlich Lösungsansätze zu entwickeln. Jetzt ist nicht die Zeit, sich in seinen sicheren Kokon zurückzuziehen, wir müssen aktiv werden und gemeinsam auf die Straßen gehen.
Welche Auswirkungen auf die Demokratie in Europa hat deiner Meinung nach die Deutsche Bundestagswahl 2025?
Angesichts der globalen unruhigen Entwicklungen gilt es jetzt, in europäischer Zusammenarbeit demokratische Stabilität zu bewahren. Deutschland trägt dabei eine sehr wichtige Rolle und große Verantwortung, denn gerade mit unserer Geschichte können wir ein Statement setzen, indem wir ohne Kompromiss für Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte einstehen und Position be- ziehen. Gerade gegenüber den USA müssen wir stark, stabil und geeint auftreten. Wenn unsere Demokratie geschwächt ist, sendet das international keine guten Signale. Deswegen ist es so wichtig, dass wir an vorderster Front für Meinungsfreiheit kämpfen und nicht einfach akzeptieren, was von Rechts kommt.
Die vehementen Proteste gegen die Flüchtlingspolitik der CDU sehe ich als positives Beispiel gegenüber den aktuellen politischen Entwicklungen und auch das parteiübergreifende Einstehen für demokratische Werte, das ich in verschiedenen Ausschüssen beobachten konnte, stimmen mich in dieser Hinsicht hoffnungsvoll.
„Jetzt ist nicht die Zeit, sich in seinen sicheren Kokon zurückzuziehen“
Welche Werte sind für dich als Mutter besonders wichtig für die demokratische Zukunft Europas?
Ganz grundlegende Werte sind meiner Meinung nach ein Bewusstsein für Diversität und Solidarität gegenüber benachteiligten Gruppen und Minderheiten außerdem natürlich demokratische Grundwerte, wie Freiheit, Gleichheit und Frieden, die es besonders in Zeiten zu schützen gilt, in denen die Demokratie massiven Angriffen ausgesetzt ist. Darüber hinaus ist es meiner Meinung nach enorm wichtig, jungen Menschen ein Bewusstsein für die eigene politische Selbstwirksamkeit zu verschaffen, damit sich hier keine Lethargie und Desinteresse in Bezug auf die Probleme unserer Zeit einstellen.
Wie bleibt man angesichts des Übermaßes an schlechten Nachrichten in den sozialen Medien positiv?
Man sollte seine eigene mentale Gesundheit an erste Stelle setzen. Daher ist es wichtig, einen gesunden Umgang mit dem Konsum von Medien zu finden und auch bewusst Pausen einzulegen. Gerade weil ich mich bei meiner Arbeit so oft mit negativen Neuigkeiten umgeben muss, versuche ich aktiv, mir Freiräume zu schaffen. Ich war zum Beispiel kürzlich einen Tag am Meer – ganz ohne Arbeit, News oder Social Media. Solche Auszeiten füllen den inneren Tank auf.
Ein weiterer Tipp ist, sich selbst kennenzulernen, sodass man die Quelle seiner Gefühle wie Angst, Unzufriedenheit oder Beklemmung erkennt. Aus dem Aktiv-Werden Kraft zu schöpfen, ist die beste Strategie gegen das Gefühl der Hilflosigkeit, das häufig mit dem Überfluss an negativen Nachrichten einhergeht. Achtet aber darauf, politische Aktivität nicht nur als eine zusätzliche Pflicht zu sehen und das Gefühl zu entwickeln, alles würde auf den eigenen Schultern lasten. Ich rufe mir immer ins Gedächtnis: „Ich kann die Welt nicht von heute auf morgen retten und das ist okay.“ Politik bedeutet auch immer Gemeinschaft, also vernetzt euch, sprecht mit Freunden und Familie, oder schließt euch einer Partei an.
„Aktiv-Werden ist die beste Strategie gegen das Gefühl der Hilflosigkeit“
Welche Tipps würdest du jungen Menschen geben, die politisch aktiv werden möchten?
An erster Stelle gilt es, einfach anzufangen. Das ist der allerwichtigste Schritt. Ich möchte jeden dazu ermutigen, einer Partei beizutreten gerade auch dann, wenn die eigenen Vorstellungen sich nur teilweise mit dem Programm der jeweiligen Partei decken, denn erst durch den Beitrag der eigenen Meinung, kann sich eine politische Position auch in bestimmte Richtungen weiterentwickeln. Unabhängig von dem Eintritt in eine Partei ist es in jedem Fall wichtig, Gleichgesinnte zu finden und ein Netzwerk zu bilden. In der Zusammenarbeit entwickeln sich Ideen und es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten.
Was sind deine Ziele und Visionen für die Arbeit in der Politik?
Sehr wichtig ist mir die Erhöhung der Repräsentation der aktuellen Gesellschaft, um weiter das Bild der Politik als Club der Eliten aufzubrechen. So sind People of Colour im Europäischen Parlament extrem unterrepräsentiert, und die Anzahl von Frauen im Bundestag wird vermutlich weiter sinken. Um die Zukunft der kommenden Generationen zu verbessern, ist das Thema Klimaschutz natürlich ganz zentral. Damit wir dazu in der Lage sind, müssen wir aber vor allem den aktuellen Angriffen auf die Demokratie entschlossen begegnen und trotz dieser progressiv vorangehen, anstatt auf der Stelle zu treten. Natürlich sind die aktuellen Zeitumstände besonders herausfordernd, aber stellen gerade deswegen auch zusätzliche Motivation dar.
Einen weiteren Beitrag aus unserem FEMALE LEADERSHIP-Netzwerk findest du hier verlinkt.