„Es geht um den ganz eigenen, authentischen Weg“
Erschöpfung, Ängste und fehlende Entscheidungskraft können die eigene Leistungsfähigkeit mindern und zu Problemen im Privat- und Berufsleben führen. Melanie Frowein zählt zu den renommiertesten systemischen Coaches und berät Klient:innen in unterschiedlichen Branchen und Themen – darunter auch erfolgreiche Geschäftsfrauen und Dax-Vorstände. Sie betont, wie wichtig es ist, dass Menschen ihren Kraftplatz finden.
Erzählen Sie uns bitte eingangs etwas über sich selbst.
Seit meiner Kindheit begleitet mich ein aufrichtiges Interesse an den Menschen und deren Seelenleben. So bin ich aus vollem Herzen Coach und Teamentwicklerin geworden und berate seit nunmehr 24 Jahren Einzelne und Teams in ganz unterschiedlichen Berufen und Kontexten – von der Gründerin, über den Familienunternehmer, die Anwältin bis hin zur Schauspielerin oder zum Beispiel den Dax-Vorstand.
Im Kern begleite ich vornehmlich in Themen, die ich selbst durchlebt und durchlitten habe: der Suche nach dem eigenen Platz, bei wichtigen Entscheidungsfindungen, zu Fragen der Beziehungsgestaltung wie Präsenz und Bindung, Grenzen, dem Umgang mit Gefühlen und Bedürfnissen, zu Führung und Wirkung, Konflikten und Zusammenarbeit und schließlich zu Überforderung, Stress und Erschöpfung.
Ich empfinde es auch nach all den Jahren als großes Privileg, Menschen in ihren wichtigen, teils existenziellen Anliegen begleiten zu dürfen und dabei frei zu sein. Es beglückt mich wirklich jedes Mal erneut, wenn es gelingt, dass Klient:innen zu mehr Freiheit, zu mehr innerem Halt und Freude gelangen, zu mehr Verbundenheit mit sich selbst und anderen Menschen, an ihrem eigenen Kraftplatz oder auf dem Weg dahin.
Am Anfang des Berufslebens scheint Kraft im Übermaß vorhanden zu sein, und man ist geneigt, sich alles abzufordern – gerade beim ersten Arbeitgeber. Wann sollte man lernen, dass alles endlich ist – auch die eigenen Kräfte?
Am Anfang wollen wir uns beweisen, testen unsere Grenzen, suchen Anerkennung. Es ist wichtig, von Beginn an gute Beziehungen zu bauen – zu Kollegen, Vorgesetzten und Kunden – und regelmäßig Feedback einzuholen, um immer mehr Orientierung zu finden und damit mehr Sicherheit. Diese hilft, erste Abgrenzung in Form von Neins zu wagen und auch damit Konflikte zuzumuten.
Es ist zudem wichtig, die Erwartungen und Aufträge gut zu verstehen und die Spielregeln zu kennen im Fall von möglichen Unsicherheiten und Fehlern im Prozess. Und zuletzt: Selbstfürsorge ist immer nützlich, vor allem dahingehend, gnädig sein zu lernen im Umgang mit sich selbst, immer auch den Blick auf die Ressourcen richtend und das Gelingende.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach besondere Triggerpunkte, auf die man bereits frühzeitig im Rahmen einer Selbstfürsorge achten könnte?
Warnsignale können beispielsweise sein, wenn wichtige Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können, trotz Erfolgs die Freude abhandengekommen ist, Ängste Überhand nehmen, Schlafstörungen auftauchen oder zum Beispiel Überforderung und Erschöpfung Raum greifen. Der erste Schritt ist dann, sich diese Nöte einzugestehen und sie ernst zu nehmen und ein nächster Schritt, sich dann Unterstützung zu holen.
Das tun die Wenigsten und wenn, oft erst spät. Im Rahmen der Selbstfürsorge ist es aus meiner Sicht hilfreich, Symptome lesen zu lernen als wichtige Rückmeldungen von Körper und Seele.
„Wir brauchen mehr Frauen in der Führung, gute Rollenmodelle – auch für die Männer“
– Melanie Frowein
Ihre Klient:innen sind oft überaus erfolgreich. Wenn Sie die Lebensläufe und -situationen dieser Menschen betrachten: Zahlt man einen Preis für Erfolg?
Die interessante Frage ist doch zuerst, was verstehen wir überhaupt unter Erfolg? Status, Titel, Einkommen, Zufriedenheit oder Erfüllung? Erfolg hat viele Dimensionen und sicherlich ist eine wichtige Unterscheidung die innere und äußere Dimension. Meine Erfahrung ist, dass viele äußerlich sehr erfolgreiche Men- schen innerlich gar nicht zufrieden sind. Neulich fragte mich ein Klient: „Kennen Sie einen wirklich glücklichen erfolgreichen Menschen?“
Es braucht eine innere Kohärenz, damit wir im Einklang sind mit unserem Tun und Leben. Dafür zitiere ich immer gerne Fontane: „Es kann die Ehre dieser Welt dir keine Ehre geben, was dich in Wahrheit hebt und hält, muss in dir selber leben“.
Wenn wir wirklich verbunden sind mit dem, was wir tun, also am richtigen Platz sind, kriegen wir dauerhaft mehr Energie und Freude, als dass wir Energie und Kraft verlieren. Und ja, alles hat seinen Preis: Es braucht Engagement und Hingabe. Es ist auch wichtig, anzumerken, dass sich die Frage nach dem richtigen Platz im Laufe des Lebens immer wieder neu stellen kann – es geht also um den ganz eigenen, authentischen Weg.
Welcher Druck ist der schmerzlichste: der, den uns andere machen, oder der, den wir uns selbst machen?
Die Menschen, die in meine Praxis kommen, leiden in der Regel vor allem unter dem eigenen Druck. Mögliche Gründe sind hier innere Glaubenssätze, zum Beispiel: „Ich muss perfekt sein“, ein starker innerer Kritiker, verbunden mit einem schwachen Selbstwert. Unsere strengsten Kritiker sind wir meistens selbst.
Und können wir daraus etwas lernen?
Lösungsansätze können sein, mehr Bewusstsein zu entwickeln für das, was uns da konkret Stress und Druck bereitet, den eigenen Anteil herauszuarbeiten, dafür Verantwortung zu übernehmen, Selbstregulation und Umgang mit „unguten“ Gefühlen, beispielsweise mit Ängsten, Unsicherheiten, Wut oder Scham, zu erlernen, sein Konfliktmanagement zu verbessern oder die einschränkenden Glaubenssätze zu überschreiben. Aus „Ich muss perfekt sein“ wird dann „Ich darf auch Fehler machen“.
Viele Frauen schätzen Ihre Unterstützung. Was unterscheidet die Frage- und Problemstellungen der Frauen von denen von Männern?
Ich berate ungefähr so viele Männer wie Frauen. Die Fragestellungen sind in meiner Erfahrung vielfach ähnlich. Wenn ich es auf eine Unterscheidung zuspitzen müsste, kommen Frauen häufiger mit dem Anliegen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. In der Regel erlebe ich Frauen auch kritischer mit sich selbst – vielleicht auch ehrlicher im Eingestehen von Schwächen und „inneren Konflikten“.
Bei Männern geht es zumindest zu Beginn eines Coachings oft eher um „äußere Konflikte“, zum Beispiel mit den Vorgesetzten. Berufstätige Frauen mit Familie und Kindern kommen auch einen Tick häufiger mit den Anliegen, Stressregulation zu erlernen und ihre Erschöpfung anzugehen. Erschöpfung ist natürlich vielen individuellen und inneren Ursachen geschuldet, zugleich jedoch leider auch äußeren Faktoren. Dazu gehören die immer noch bestehende Vereinbarkeitslüge, fehlende Unterstützungssysteme und die Tatsache, dass Frauen den Großteil der Care-Arbeit leisten, darunter die Erziehung der Kinder, die Pflege der Eltern und die Hausarbeit.
Sind Frauen Ihrer Beobachtung nach erfolgreicher, wenn sie die Führungsstile von Männern kopieren?
Ich glaube nicht an Kopieren, sondern an Authentizität. Leadership ist nicht nur mit einem bestimmten Geschlecht verbunden, sondern auch mit dem ganz eigenen Temperament und der Art, sein eigenes Gewordensein und seine Wunden und Muster zu verstehen und zu verarbeiten, und mit all dem in die Verantwortung zu gehen.
Zudem bin ich überzeugt davon, dass typisch weibliche Führungsqualitäten wie zum Beispiel Empathie, Kommunikations- oder Kooperationsfähigkeit aktuell und auch in einer Zukunft von hoher Unsicherheit, Komplexität und Dynamik gebraucht werden. Frauen sind erfolgreich, wenn sie mutig sind und sich mehr zutrauen. Sie sind meist selbstkritischer mit sich, aber zugleich häufig besser darin, tragfähige Beziehungen zu bauen, was der Kooperation dient – auch, weil dadurch ein besseres Konfliktmanagement möglich wird.
Was brauchen wir also in Zukunft, um Frauenkarrieren weiter zu stärken?
Mehr Frauen in der Führung, gute Rollenmodelle – auch für die Männer! Dafür brauchen wir offensichtlich die Quote. Und wir brauchen mehr und belastbarere Unterstützungssysteme, zuhause und in den Organisationen.
Was sollte leiten, wenn wir uns für einen Beruf, eine Aufgabe und einen Arbeitgeber entscheiden?
Dass wir das suchen, was uns wirklich Freude macht, unsere Berufung. Dass wir dafür den eigenen Kraftplatz finden, um unser einzigartiges Talent auch entfalten und in die Welt bringen zu können. Und wenn es nicht direkt am Anfang geklappt hat, dass wir den Mut aufbringen, uns nochmal neu aufzumachen, weiterzusuchen und zu wechseln. Und man sollte immer wieder überprüfen, ob es noch stimmt, und nicht nur auf die Anderen hören, sondern vor allem auf die innere Stimme. Sonst landet man erfolgreich im Falschen. Es gibt immer wieder Chancen, (auf) den eigenen Weg (zurück) zu finden. Auch Umwege können hilfreich sein, im Erlernen dessen, was man nicht will.
Melanie Frowein (Bild oben) studierte Psychologie und Organisational Theory and Behaviour an der London School of Economics und schloss mit einem Master of Science ab. Nach ihrer Zeit bei Bertelsmann in der Zentralen Managemententwicklung, als Leiterin Personalmarketing verantwortlich für das Recruiting und Coaching von High Potentials, machte sie sich im Jahr 2000 selbstständig als Coach und absolvierte seitdem zahlreiche Ausbildungen, unter anderem in systemischem Coaching, systemischer Familientherapie und Organisationsberatung sowie Change Management. 2010 gründete sie zudem mit ihrer Partnerin das Beratungsunternehmen Due Consultants und beschäftigt sich in den letzten Jahren auch mit Traumatherapieansätzen wie Somatic Experiencing.
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