„Fremde Erwartungen zu erfüllen, bringt einen nicht weiter“
Karoline Herfurth arbeitet in einer Branche, die noch immer stark männerdominiert ist: Frauen finden in der Regel vor allem als Schauspielerinnen statt, die umsetzen, was Männer auf dem Regiestuhl oder als Produzenten vorgeben. Karoline dagegen ist nicht nur renommierte Schauspielerin, sondern gehört zu den wenigen Frauen, die auch als Drehbuchautorin und Regisseurin arbeiten und damit die Gesamtverantwortung für einen Film tragen.
Du hast trotz deiner schauspielerischen Erfolge 2008 noch ein Soziologie- und Politikwissenschaftsstudium begonnen. Was hast du dir vom Studium erhofft?
Ich wollte unbedingt noch einmal studieren nach meiner Ausbildung an der Ernst-Busch Schauspielschule. Ich liebe die Schauspielerei, aber ich habe mich immer auch schon für andere Themen brennend interessiert. Besonders eben Politikwissenschaft und Soziologie. Meine Zeit an der Humboldt-Universität war eine der prägendsten Zeiten überhaupt und ich profitiere nach wie vor von dieser Horizonterweiterung in jedem Lebensbereich. Das Studium hat meinen Blick auf die Welt, auf das Miteinander von Menschen und auch auf meinen Beruf sehr verändert und geprägt.
Als ich dann mit dem Regieführen begonnen habe, hatte ich nicht mehr genug Zeit, um mich in die Themen und Literatur wirklich einzugraben und musste mich entscheiden zwischen Studium und Beruf. (lacht) Aber ich gebe die Hoffnung, das Studium irgendwann noch einmal zu beenden, noch nicht auf.
Du bist seit knapp 30 Jahren im Filmgeschäft und ein sehr bekanntes Gesicht auf den Kinoleinwänden; als Regisseurin hast du mit „Wunderschön“ einen der meistbesuchten deutschen Filme der letzten Jahre verantwortet. Wo siehst du dich selbst gerade in deiner Karriere?
Zu Beginn meiner Karriere habe ich eher von Projekt zu Projekt gedacht. Dabei habe ich mich vor allem damit beschäftigt, was mich an einem Film oder einer Rolle interessiert. Damals war ich noch dabei, mir meine Zukunft aufzubauen und natürlich zu studieren. Diese Findungsphase habe ich mittlerweile hinter mir und ich würde sagen, dass ich mir mein Leben fertig aufgebaut habe.
Ich habe das Glück, dass ich genau das machen kann, was mir Freude bereitet. Deshalb stehe ich auch nicht mehr ausschließlich vor der Kamera, sondern beteilige mich an allen kreativen Schritten des Entstehens eines Films – ich bin mittlerweile auch Drehbuchautorin und Regisseurin.
Eine Filmproduktion von Anfang bis Ende zu begleiten ist sicher ein hohes Pensum.
Auf jeden Fall. Ein eigener Film beschäftigt mich als Regisseurin mindestens zwei Jahre – das ist natürlich eine Zeitinvestition. Die Zeit wird im Leben ja generell nicht mehr, weshalb sie immer kostbarer für mich wird. Aus diesen Gründen mache ich mir sehr viele Gedanken darüber, wie ich meine Zeit einsetze. Ich will sie genau für das nutzen, was mir Spaß macht und wichtig ist.
Deswegen interessiert mich auch nur noch das eigentliche Filmemachen.
Das ganze Drumherum und in der Öffentlichkeit-Stehen ist nicht so meins.
„Erfüllt nicht die Erwartungshaltungen anderer, sondern tut die Dinge, die Euch wirklich am Herzen liegen“
– Karoline Herfurth
Wie gehst du mit externen Erwartungshaltungen um, die dich und deine Arbeit in eine Schublade packen?
Ehrlich gesagt beschäftige ich mich nicht so viel mit fremden Erwartungshaltungen. Ich glaube, dass einem so ein Denken im Leben nicht weiterbringt – weder für sich selbst noch für den Beruf. Genau deshalb suche ich mir nur die Projekte aus, die mich wirklich interessieren.
Was mich dagegen manchmal beschäftigt, ist die Frage, welche Grenzen das Filmemachen in Deutschland hat. Vor allem, wenn man sich gleichzeitig mit der internationalen Konkurrenz messen muss.
Mit „Wunderschön“ hast du selbst diese internationale Konkurrenz an der Kinokasse deklassiert. Im Februar ist dein Film „Eine Million Minuten“ erschienen. Darin geht es darum, dass man im Alltagstrott oder auf der Karriereleiter manchmal aus den Augen verliert, wie kostbar und begrenzt die Zeit mit geliebten Menschen sein kann. Konntest du für dein persönliches Leben davon etwas mitnehmen?
Ganz bestimmt. Für mich war es eine große Freude, Vera Küper in „Eine Million Minuten“ zu spielen und mich mal wieder ganz auf die Schauspielerei zu konzentrieren. Vera ist so eine lebensfrohe, neugierige und weltoffene Person und es hat richtig gutgetan, mit ihren Augen in die Welt zu gucken. Das hat mich definitiv angesteckt und mein Motto für 2024 ist daher inspiriert – ich will mutig sein und über mich selbst hinauswachsen.
Je älter ich werde, desto mehr beschäftige ich mich mit der Zeit, die mir noch bleibt. Mir passiert es immer mal wieder, dass ich zu einem kleinen Roboter werde, der eine To-Do-Liste abarbeiten muss. In diesen Momenten erinnere ich mich dann immer wieder daran, dass ich mein Leben nicht nur erledigen, sondern erleben will.
Wie gehst du damit um, wenn sich dein Leben zu sehr weg vom „Erleben“ entwickelt?
Immer, wenn ich in den Kopf rutsche und mit Erledigen beschäftigt bin, versuche ich anzuhalten, auszuatmen und in meinen Bauch hineinzufühlen, wie sich das Leben und der Moment gerade anfühlen. Ich treffe mittlerweile alle Entscheidungen nur noch in Zusammenarbeit mit meinem Bauch. Wenn ich etwas nicht einschätzen kann oder kein Gefühl bekomme, lasse ich es bleiben. Manchmal sagt mir mein Bauch aber auch: Lass dich auf das Abenteuer ein! Und dann versuche ich die Dinge, die mir Spaß machen und für die ich lebe, voll und ganz zu genießen.
Als jemand, der schon Millionen von Leuten in die Kinosäle und vor die Bildschirme gelockt hat: Zahlt man für eine große Karriere immer auch einen Preis?
Der Tag hat nur 24 Stunden und sowohl Lebenszeit als auch Lebensphasen hat man nur in begrenztem Rahmen. Dessen sollte man sich so früh wie möglich bewusstwerden, denke ich. Das heißt: Ein „Ja“ an einer Stelle bedeutet ein „Nein“ an einer anderen. Alles geht nicht, also geht es im Leben immer auch um Prioritäten. Wenn man aber das Privileg hat, zu entscheiden, dann glaube ich, kann man nicht früh genug damit anfangen, sich zu überlegen, was man wirklich Erreichen möchte im Leben.
Und idealerweise sollte man auch die richtigen Leute finden, mit denen man zumindest einen Teil des Weges gemeinsam gehen kann, weil sie ähnliche Ziele haben. Aber, bevor sich das zu geplant und strukturiert anhört: Erlaubt euch auch immer, Haken zu schlagen, Umwege zu gehen oder auch noch mal von vorne anzufangen.
Deine Projekte in den letzten Jahren haben oftmals verschiedene Formen von Frausein erforscht und die Grenzen der weiblichen Rolle in der Gesellschaft ausgelotet – beispielsweise in „Einfach mal was Schönes“ oder „Wunderschön“. Geht es dir bei deinen Filmen um deine Botschaft nach außen?
Ich habe mir das gar nicht so bewusst überlegt, das hat sich eher so ergeben. Diese Themen sind einfach die Dinge, die mich zu dem Zeitpunkt beschäftigt und umgetrieben haben und die habe ich in Geschichten übersetzt. Inwiefern soziale Normen, gesellschaftliche Ansichten und Überzeugungen zu politischer und sogar rechtlicher Realität werden, aus denen wiederum tatsächliche Unfreiheiten entstehen, das ist auf jeden Fall etwas das mich schon lange beschäftigt.
Ich bin immer wieder überrascht, wie weit entfernt wir von unserem eigenen Ideal der Gleichheit, Selbstbestimmtheit und Unversehrtheit sind. Vor allem, wenn es um die Selbstbestimmtheit von Frauen geht.
Karoline Herfurth ist Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Bereits mit elf Jahren stand sie vor der Kamera.
Nach ersten schauspielerischem Erfolgen in Filmen wie „Crazy“, „Mädchen, Mädchen“ und „Das Parfüm“ absolvierte sie eine Ausbildung an der Ernst-Busch Schauspielschule.
Im Anschluss begann sie, Politikwissenschaft und Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin zu studieren.
Weitere Filmerfolge feierte Karoline Herfurth durch „Fack ju Göhte“, „Einfach mal was Schönes“ und „Wunderschön“. Ihr Film „Eine Million Minuten“ erschien im Februar 2024.
Gibt es soziale Projekte, die du besonders gerne unterstützt?
Ich setze mich für verschiedene Projekte ein, von „Pro Asyl“ über „Zusammenleben Willkommen“, „Ärzte ohne Grenzen“, „Deutschland Hilft“, „Stiftung Bethel“ oder das Sozialunternehmen „wellcome“, das Familien in Not unterstützt. Besonders am Herzen liegt mir das Netzwerk „In dubio pro infante“, dessen Schirmherrin ich bin. Dem Netzwerk geht es darum über institutionalisierte Gewalt an Familiengerichten aufzuklären und sich gegen strukturelle Gewalt gegen Frauen und Kinder stark zu machen. Leider wird dieses Thema auf politischer Ebene viel zu sehr ignoriert oder sogar befördert, wie eine Recherche von Correctiv und der Süddeutschen Zeitung zeigen. Deswegen ist es mir ein besonderes Anliegen, darauf aufmerksam zu machen.
Falls du das schon verraten darfst: Was kommt nach „Eine Million Minuten“?
So viel darf ich verraten: Ich werde in diesem Jahr eine Art Fortsetzung von Wunderschön drehen. Dabei werden wir sowohl geliebte bekannte Figuren wiedersehen als auch neue kennenlernen. Mehr möchte ich aber noch nicht verraten.
Ein weiteres inspirierendes Role Model aus der Filmbranche findest du hier.