Während des Interviews hat die iranisch-stämmige Schauspielerin Elnaaz Norouzi mit den Tränen zu kämpfen. Die Proteste der iranischen Frauen und Männer und die Sorge um Familie und Freunde machen sie aber nie sprachlos: Sie berichtet, was der Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 in den Händen der iranischen Sittenpolizei für eine sich nach Freiheit sehnende Gesellschaft bedeutet und warum es wichtig ist, dass Medien nicht das Interesse an den Protesten verlieren. Von Frauen in westlichen Demokratien wünscht sich Elnaaz Norouzi mehr Engagement, für ihre Rechte einzustehen: „Missstände werden oft zu bereitwillig akzeptiert“.
Du bist als Kind mit deinen Eltern aus Teheran nach Hannover gekommen. Was war der Grund für die damalige Flucht und wie hast du deine Kindheit erlebt?
Der Grund für die damalige Flucht war die politische Situation, in der sich meine Eltern sehr unsicher gefühlt haben. Besonders für mich haben sie sich ein besseres Leben gewünscht: Sie wollten, dass ich im Ausland zur Schule gehen und etwas aus mir machen kann. Unter dem Regime der Islamischen Republik hätten mir nicht alle Türen offen gestanden. Für mich als Achtjährige war es damals extrem schwer. Ich hatte mich in Teheran langsam an den Schulalltag gewöhnt und neue Freundschaften geknüpft – und dann sind wir von einem auf den anderen Tag in ein neues Land gezogen. Ich musste mich wieder neu eingewöhnen – an Land, Sprache und Mitschüler. Das war sowohl für meine Eltern als auch für mich nicht einfach.
Nach dem Abitur bist du nach Indien gezogen. Wann wusstest du, Schauspielerin werden zu wollen?
Schon als kleines Mädchen war es mein Traum, Schauspielerin zu werden. Ich wusste natürlich damals noch nicht, dass es mich eines Tages mal nach Bollywood verschlagen würde. Als ich mein Abitur abgeschlossen hatte, dachte mir, ich muss unbedingt nach Indien fliegen und sehen, was daraus wird (lacht). Damals war ich wirklich noch sehr naiv und dachte, ich würde direkt in den größten Filmen mitspielen. So einfach war das natürlich nicht. Aber heute stehe ich trotzdem mit echten Bollywood-Größen vor der Kamera. Der Weg war nicht immer leicht, aber letztlich habe ich mir diesen Jugendtraum erfüllt. Ich bin schon stolz darauf, dass ich nicht aufgegeben habe in den schwierigen Zeiten, in denen es phasenweise so aussah, als würde ich meine Ziele nicht erreichen.
Wo ist Zuhause für dich?
Auf die Frage nach meiner Herkunft antworte ich immer, dass ich aus dem Iran komme. Aber wenn jemand fragt, wo meine Heimat ist, sage ich, dass ich drei davon habe. Teheran, Hannover und Mumbai sind mein Zuhause. Da ich jetzt in Mumbai lebe, ist das vermutlich mehr mein Zuhause als Deutschland oder der Iran. Trotzdem bedeutet Heimat für mich nicht nur die Verbindung zu einem Ort, sondern auch meine Erinnerungen an Menschen, denen ich mich verbunden fühle. Und ich habe Freunde auf der ganzen Welt, weil ich so viel gereist bin. Deshalb ist meine Heimat die Welt, kann man sagen.
Wenn du heute auf den Iran blickst, welche Gefühle überkommen dich?
Ich vermisse meine Heimat, ich vermisse Teheran und ich vermisse meine Freunde und Familie. Da werde ich immer etwas emotional, weil ich schon viele Jahre nicht mehr dort sein konnte. Als wir Asylbewerber in Deutschland waren, konnten wir natürlich nicht in den Iran einreisen. Als das wieder möglich war, bin ich ein paar Mal zurückgekehrt. Nachdem ich mit israelischen Producern für die Apple TV+ Serie „Teheran“ gearbeitet habe und mich jetzt für die Proteste im Iran ausspreche, darf ich seit über vier Jahren nicht dort einreisen.
Es bricht mir das Herz, wie meine Familie und andere Menschen dort leben. Von außen muss ich mitansehen, wie das Regime alle umbringt, die sich wehren. Seit sich die Lage im Herbst so zugespitzt hat, wollen alle etwas bewegen, aber gleichzeitig sind ihnen die Hände gebunden. Sie wissen genau, dass ihre Kinder schwer verletzt, oder gar nicht zurückkommen, wenn sie protestieren gehen. Das macht allen Angst, auch mir.
Warum hat der gewaltsame Tod von Jina Mahsa Amini in den Händen der iranischen Sittenpolizei die Lage so stark eskalieren lassen?
Es war nicht das erste Mal, dass eine Frau von der Sittenpolizei inhaftiert wurde. Das passiert leider sehr oft; ich selbst bin schon von der Sittenpolizei mitgenommen worden. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Frauen sich gegen die Unterdrückung wehren. Aber zu sehen, dass junge Frauen einfach ermordet werden und unsere Lage immer schlimmer wird, das hat alle Frauen mobilisiert. Die Frauen werden sogar misshandelt, wenn sie sich an die Gesetze der Sittenpolizei halten.
Ein weiterer Grund ist, dass die jüngeren Generationen mit der Unterdrückung ganz anders umgehen als noch ihre Eltern. Denen hat man immer gesagt: „Sag nichts. Hör einfach zu und mach, was dir gesagt wird!“. Die Generation Z, die jetzt auf den Straßen des Irans für ihre Rechte kämpft, lässt sich damit nicht mehr still halten. Sie können die Ungerechtigkeit eines solchen Mordes wie dem an Jina Mahsa Amini einfach nicht hinnehmen.
Was können wir uns im Westen von den Frauen im Iran abschauen?
Den Mut! Die Frauen im Iran haben keine Angst zu kämpfen. Besonders in einem Land, wo einem Todesstrafen und Vergewaltigung drohen, ist es extrem mutig, sich gegen das Regime aufzulehnen.
Ich begegne auf der Welt oft einem Konformismus, in dem Missstände einfach akzeptiert werden. Da kann ich nur sagen: Iranische Frauen sind da anders – vielleicht, weil wir mit Repressalien aufgewachsen sind. Ich bin auch so: Ich habe mir nie meine Meinung und meine Einstellung zu Gerechtigkeit und Menschlichkeit nehmen lassen!
Ich finde, in demokratischen Ländern könnten die Frauen ruhig etwas mutiger für ihre Rechte eintreten. Wenn ich beispielsweise an die Abtreibungsverbote in den USA denke, würde ich mir mehr Proteste wünschen. Die Frauen müssten meines Erachtens stärker zusammenstehen und sagen: „Wir wollen nicht, dass ihr über unsere Körper entscheidet“. Man lebt in einer Gesellschaft, die das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährt und ist trotzdem sehr passiv und zögerlich – das muss nicht so bleiben! Ich bin überzeugt, dass der Mut der Iranerinnen ein Mut ist, der allen Frauen Kraft geben kann.
„Lasst uns bitte Krieg und Unterdrückung nicht achselzuckend hinnehmen!“
Du hast dich in einem Instagram Video aus Protest ausgezogen. Welche Botschaft wolltest du damit senden?
In den Untertiteln meines Videos habe ich bei jedem Kleidungsstück, das ich ausgezogen habe – angefangen mit der Burka – geschrieben: „This is okay“ und „This is okay, too“. Ich wollte damit vermitteln, dass jede Frau anziehen darf, was sie will und wie sie will! Denn es ist ihr Körper und somit ihre Entscheidung.
Die Reaktionen darauf waren großartig, denn ich habe so viele positive und berührende Nachrichten bekommen. Es gab natürlich auch vereinzelt Kritik von Menschen, die den Punkt des Videos nicht verstanden haben, aber meine Message war den meisten Leuten klar: Eine Burka ist okay, ein Bikini ist okay und auch oben ohne ist okay. Das sollte jeder für sich selbst entscheiden dürfen.
Gibt es eigentlich viel an Unterstützung durch die Iraner:innen im Ausland?
Die iranische Diaspora ist sehr stark, weil viele Menschen aufgrund der politischen Lage ausgewandert sind. Ich bin unglaublich froh, dass der Zusammenhalt weltweit so groß ist. Die Angst im Land selbst ist überwältigend, denn Protest ist lebensgefährlich. Wir Iraner:innen im Ausland dagegen können unsere Stimmen nutzen und für die Menschen im Iran tun, was in unserer Macht steht. Das ist nicht einfach, aber sowohl die Menschen im Iran als auch die in anderen Ländern dürfen nicht aufgeben und müssen weiter für die Gerechtigkeit auf die Straße gehen. Denn wenn wir aufgeben, wird sich nie etwas ändern.
Was würdest du dir von der Berichterstattung über den Iran im Westen wünschen?
Berichtet mehr! Selbst am Anfang der Proteste, als die Iraner:innen die großen internationalen News Channel getaggt haben, kam nur wenig in den Medien an. Jetzt wird leider noch weniger berichtet und das erweckt den Eindruck, dass die Proteste zu Ende sind. Das ist aber nicht so und deswegen ist es umso wichtiger, an dem Thema dran zu bleiben! Ich habe immer wieder Nachrichten bekommen, wie toll die Menschen mein Engagement für den Iran finden, aber selbst das wird langsam seltener.
Und auch wenn ich Schauspielerin bin und keine Reporterin, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, über den Iran zu sprechen und mich für die Freiheit der Frauen dort einzusetzen. Jeden Tag passiert etwas im Iran und jeden Tag sollte berichtet werden. Wie Wladimir Klitschko schon über die Ukraine gesagt hat: Gewalt, die in den Medien nicht mehr thematisiert wird, spielt den Aggressoren in die Karten. Lasst uns bitte Krieg und Unterdrückung nicht achselzuckend hinnehmen!
Wenn der Iran einmal nicht mehr unter der Herrschaft des Regimes steht, worauf wirst du dich bei deinem ersten Besuch im Land am meisten freuen?
Zu Beginn der Proteste saßen alle Iraner:innen, die nicht im Iran sein konnten, weltweit Tag und Nacht fassungslos vor ihren Telefonen und haben versucht, die Situation zu begreifen und haben natürlich viel geweint. Und ich habe mir vorgestellt, was ich anziehen würde, wenn der Iran endlich frei ist. Ich dachte mir: „Ich werde den aller ersten Flieger nach Teheran nehmen“. Aber aktuell ist dieser Traum noch weit entfernt.
Alles würde ich stehen und liegen lassen, wenn der Iran frei wäre. Ich würde sofort dort hinfliegen und meine Familie in die Arme schließen. Dann würde ich mich bei den Frauen und Männern bedanken, die ihr Leben während der Proteste für die Freiheit aufs Spiel gesetzt haben. Vielleicht kann ich diesen Wunsch manifestieren, indem ich ihn hier ausspreche. Lasst es uns manifestieren!
Elnaaz Norouzi wurde in Teheran geboren und flüchtete mit acht Jahren zusammen mit ihren Eltern nach Hannover. Dort ging sie zur Schule und absolvierte ihr Abitur. Bereits mit 14 Jahren bereiste sie als Model die Welt. Ihr Wunsch Schauspielerin zu werden, erfüllte sich auf der großen Bollywood-Leinwand. Seit 2018 stand sie unter anderem für die Netflix-Hitserie „Der Pate von Bombay“ (Originaltitel: Sacred Games) vor der Kamera. Als gebürtige Iranerin setzt sie sich heute vehement für die Freiheit und Unabhängigkeit der Frauen in ihrer Heimat ein.
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Mehr Infos zu Elnaaz Norouzi und ihren Projekten, findest du auf ihrer Website.
Bilder Credit: schwarz-weiß: Hans-Jürgen Oertelt, Farbe: Advait Vaidya