Die Sehnsucht nach Fashion Styles, die zeitgleich cosy und trendig sind, war 2013 der ausschlaggebende Impuls für Judith Dommermuth JUVIA zu gründen. Heute hat ihr Modelabel über 600 Verkaufsstellen in 15 Ländern. Ein Gespräch über die Gründe für zu wenige Unternehmerinnen, aber auch über die Ambivalenz eines Marktes, der die einst geforderte Nachhaltigkeit heute oft zugunsten von Fast Fashion vernachlässigt.

Sie sind erfolgreiche Unternehmerin, haben sich aber mit JUVIA ein Segment ausgesucht, welches sehr kompetitiv ist. Was gab für Sie den Ausschlag, in Fashion zu gründen?
Die Idee für ein eigenes Modelabel ist ganz langsam und im ersten Moment aus purem Eigenbedarf gewachsen. Ich habe lange selbst am Markt nach Loungewear-Styles gesucht, die hochwertig und aus weichen Materialien verarbeitet sind, modisch designt, aber nicht zu laut sind. Genau dieses Mittelmaß von sportlich – aber nicht Sportswear, casual – aber nicht zu cool, angezogen – aber nicht spießig, gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. So sind die Idee und der Wunsch nach einer eigenen Kollektion immer weiter gereift, bis mein Mann irgendwann zu mir sagte: Worauf wartest du noch? Es ist keine Schande zu scheitern, es ist eine Schande, es nicht zu probieren! Dieser Satz hat sich so sehr eingeprägt, dass ich daraufhin tatsächlich loslegte.
Wie ist JUVIA positioniert?
Wir versuchen ganz bewusst, unsere Zielgruppe mit keinem bestimmten Alter zu definieren. Denn unsere Kollektionen sind alterslos! Meine Nichte trägt unsere Styles beispielsweise genauso gerne wie meine Mutter. JUVIA ist für mich eine Art von Lifestyle. Für selbstbewusste Frauen, die sich für sich selbst gut und vor allem gemütlich anziehen wollen, die sich in ihrem Look wohlfühlen und ungezwungen chic aussehen möchten. Frauen, die wissen, dass sich diese Adjektive – gemütlich und stylisch – nicht gegenseitig ausschließen. Dabei bieten wir aber nicht nur den „einen“ JUVIA Look an. Wir sind viel mehr als eine reine Loungewear-Brand und haben passend zum 10-jährigen Jubiläum im vergangenen Winter auch unseren Claim erneuert. Denn JUVIA steht mittlerweile vor allem für „EASY LUXURY“. Unsere Kollektionen umfassen zum Beispiel auch eine große Auswahl an Ready-to-wear und Streetstyle-Looks, die sich perfekt mit den klassischen Jersey-Styles ergänzen. Da ich JUVIA als Lifestyle und nicht nur als Modemarke sehe, ist die Fantasie für eine Expansion natürlich groß. Aktuell launchen wir beispielsweise unser erstes eigenes Parfum „EASY“, welches unser Wohlfühl-Portfolio perfekt ergänzt. Und auch sonst träume ich noch von ganz vielen anderen Produkten – aber alles nacheinander und zu seiner Zeit.
Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit bei JUVIA?
Natürlich setzen auch wir uns mit dem Thema auseinander. So produzieren wir den größten Teil unserer Kollektion ganz bewusst in Europa (Portugal) und haben hierfür alle Fabriken selbst besichtigt und einzeln ausgewählt. Uns liegt es sehr am Herzen, dass die Arbeitsbedingungen fair sind und verzichten hierfür auch gerne auf möglichen Umsatz – denn mit einer Produktionsverschiebung ins Ausland könnten wir sicherlich viel günstigere Produkte anbieten oder auch unsere Marge vergrößern – aber das ist nicht unsere Priorität!
Zu Nachhaltigkeit gehört auch der nachhaltige Umgang mit Ressourcen. Doch gerade extreme Fast Fashion-Geschäftsmodelle wie Shein erfreuen sich großer Beliebtheit – die Konsument:innen sind genau die jungen Menschen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Was läuft da falsch?
Dieses zwiegespaltene Verhältnis nehmen wir schon eine ganze Weile wahr. Vor Corona haben viele Endverbraucher und somit auch Händler nach Organic-Cotton-Ware gefragt. Viele Marken haben daraufhin ihre Kollektionen angepasst und Produzenten und Lieferanten mussten in langwierigen Prozessen die passenden Zertifikate beantragen. Die Rohware, welche bereits verifiziert war, ist daraufhin preislich explodiert und das hat auch der Kunde gespürt. Durch die anhaltenden Krisen, die Unsicherheit am Markt und den Anstieg der Preise hat sich das Verlangen nach Nachhaltigkeit leider wieder verringert und die Nachfrage nach Organic-Materialien ist zurückgegangen. Bei JUVIA versuchen wir diesem Konsumverhalten vor allem mit unseren Kollektionskonzeptionen entgegenzuwirken. Denn seit der Gründung unseres Labels bauen unsere Kollektionen aufeinander auf. Materialien und Farben verändern sich nicht plötzlich, sondern werden immer passend erweitert und können saison- und kollektionsübergreifend kombiniert werden. Selbst Jahre später passen so Neuheiten und eingesessene Lieblingsstyles noch zusammen.
„Es gibt noch immer geschlechterspezifische Vorurteile gegenüber Unternehmerinnen“
Weibliche Unternehmer sind rar. Woran liegt das und was könnte dies ändern?
Das stimmt, das musste ich auch selbst erleben. Besonders am Anfang meiner eigenen Unternehmerkarriere musste ich feststellen, dass wir Frauen oft vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, ein eigenes Unternehmen zu gründen und zu führen. Es gibt nach wie vor geschlechtsspezifische Vorurteile und Barrieren in vielen Branchen, die Frauen daran hindern, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dies kann von fehlender finanzieller Unterstützung und Zugang zu Ressourcen bis hin zu stereotypen Rollenerwartungen reichen. Eine der größten Herausforderungen ist es sicherlich, Familie und Job miteinander zu vereinbaren, und fehlender Support in diesem Bereich – sei es von außen oder auch innerhalb des engsten Kreises – ist oftmals das ausschlaggebende Argument, wenn sich Frauen gegen eine Unternehmerkarriere entscheiden. Ich denke, dass hier vor allem das gesellschaftliche, aber auch das eigene Mindset geändert werden muss. Frauen müssen den Glauben an sich selbst und ihre Fähigkeiten stärken, um den Mut zu haben, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Ein unternehmerisches Mindset erfordert Durchhaltevermögen, Risikobereitschaft, Kreativität und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Es bedeutet 100 Prozent Einsatz und das im klassischen Sinne: „selbst“ und „ständig“. Wir Frauen müssen uns hier ganz dringend mehr zutrauen! Letztendlich ist es aber wohl eine kombinierte Anstrengung von Gesellschaft, Politik und uns Frauen selbst, die dazu beiträgt, mehr Frauen in Führungspositionen und als erfolgreiche Unternehmerinnen zu sehen.
Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie mit Anfang 20 noch einmal am Anfang Ihres Berufslebens stünden?
Es ist vielleicht die typische Antwort, die sie nun erwarten… Aber wenn ich jetzt überlege, was ich anders machen würde, wenn ich noch einmal Anfang 20 wäre, lautet die Antwort aus tiefstem Herzen und mit voller Überzeugung: NICHTS. Mein Bauchgefühl hat mir immer gesagt, wo es lang geht und ich konnte mich zu 100 Prozent darauf verlassen. Sicherlich war rückblickend nicht jede Entscheidung die „richtige“, aber ich bin glücklich dort, wo ich jetzt bin und wie ich hierhergekommen bin. Es gibt nicht nur den einen richtigen Weg.
Nach einem Vordiplom in BWL widmete sich Judith Dommermuth ihrer Modelkarriere. Sie gewann unter anderem den Inscene MTV Model Contest und wurde 1999 das Gesicht von AirBerlin. Diese gesammelten Erfahrungen lässt sie heute in ihr eigenes Modelabel einfließen.
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