Cathrin Gilbert hat ihr Jura-Studium abgebrochen und ist dann über ein Volontariat bei der Axel Springer-Journalistenschule beim SPIEGEL gelandet. Dort hat sie sieben Jahre lang gearbeitet, bevor sie 2012 zur ZEIT gekommen ist. Sie ist hoch geschätzt für ihre Interviews, Anfang März etwa mit Wolodymyr Selenskyj.
Wie erschließt du dir die Interviewpartner so, dass sie sich im Gespräch öffnen?
Ich arbeite ja für verschiedene Ressorts, nicht allein für die Politik. Nach dem Selenskyj-Gespräch habe ich vergangene Woche zum Beispiel ein Interview mit Marius Müller-Westernhagen für das Entdecken-Ressort geführt. Das Wichtigste ist immer das Vertrauen der Gesprächspartner. Ohne Vertrauen kann kein gutes Interview entstehen. Sie dürfen keine Angst haben, falsch verstanden oder reingelegt zu werden.
Wer deiner Interviewpartner:innen hat dich besonders beeindruckt oder überrascht?
Mich interessieren vor allem jene Interviewpartner, um die sich alle bemühen, also exklusive Gespräche. Eine journalistische Herausforderung ist es schon, sie überhaupt zu bekommen, ein gutes Gespräch zu führen, es dann unterhaltsam aufzuschreiben und als letztes die Autorisierung. Am Schönsten ist es natürlich, wenn das Interview ohne Änderung freigegeben wird. Dann hat man sich wirklich verstanden – im wahrsten Sinne des Wortes. Mich beeindrucken jene Interviewpartner am meisten, die unter großem Druck stehen und trotzdem persönlich werden. Zum Beispiel der ehemalige Bundestrainer Joachim Löw, ich habe damals Jahre gebraucht, um wirklich ein offenes Gespräch zum Abschied führen zu können. Aber auch der ehemalige BILD-Chef Julian Reichelt, der enorm unter Druck stand, hat mich überrascht. Am schwierigsten sind Interviews mit internationalen, prominenten Künstler:innen. Carla Bruni zum Beispiel war zu Beginn des Gesprächs extrem verschlossen. Erst als ich mich privat öffnete, begann auch sie wirklich zuzuhören und zu erzählen.
„Aktualität, Relevanz und Überraschung sind die wichtigsten Kriterien eines guten Artikels“
Cathrin Gilbert
Ich möchte Journalistin werden und habe das Gefühl, dass das klassische Handwerkszeug des Journalismus zwar immer noch wichtig ist. Aber ist es nicht so, dass perfekt gemachte Texte hauptsächlich von einer kleinen Diskurselite konsumiert werden, welche sich selbst in einer medialen Filterblase befindet, in der junge Kanäle wie TikTok gar keinen Platz haben?
Gute Interviews sind gute Interviews, die Kanäle sind da nicht entscheidend. Wichtiger sind Neugierde, Hartnäckigkeit und Leidenschaft. Und das Interesse am Menschen. Wenn man bereit ist, viel von sich selbst in seinen Beruf einfließen zu lassen, dann gibt es viele verschiedene Wege, sich im Journalismus zu etablieren. Es gibt viele Journalisten, die Twitter professionell nutzen, aber nicht so viele, die Gesprächspartner gewinnen können. Rätst du jeder Journalistin, sich Spezialgebiete rauszusuchen? Ich habe bei der ZEIT zuerst in der Politikredaktion gearbeitet. Anschließend habe ich eine Fußballseite aufgebaut und Veranstaltungen im Rahmen des Fußballs organisiert. Ich bin kein Fußball-Nerd, Spiele analysieren können andere weitaus besser als ich. Auch hier habe ich einfach versucht, gute Beziehungen zu interessanten Menschen an den Schaltstellen aufzubauen. Mir war schon wichtig, dass sie die großen Entscheidungen bei uns verkünden und nicht allein in Fachmagazinen. So schafft man dann Aktualität und Relevanz. Das sind die beiden wichtigsten Kriterien eines guten Artikels oder Interviews neben Überraschung.
Hast du einen Tipp, welche Bücher oder Webinare mich dabei unterstützen können, eine gute Journalistin zu werden?
Nein. Ich lese keine Bücher über Journalismus und besuche auch keine Seminare. Ich liebe es, rauszugehen, am liebsten dahin, wo alle hinwollen, aber auf meinem eigenen Weg. Wichtig ist, viele gute Artikel zu lesen. Die Seite 3 der Süddeutschen zum Beispiel, oder Kultur-Aufmacher im SPIEGEL oder die New York Times. Das Lesen dient der Kreativität und inspiriert.