„Female Leadership” zeigt sich nicht nur in einer erfolgreichen Karriere. Die auf den folgenden Seiten porträtierten Frauen kämpfen für Menschenrechte und Demokratie und gegen Unterdrückung und Gewalt – oft unter Einsatz ihres Lebens.
Wer heute in Myanmar, Belarus oder Hongkong für Demokratie und Menschenrechte kämpft, muss mit schweren Drangsalierungen rechnen, von denen Gefängnisaufenthalte nicht mal die schlimmsten sind. Obwohl Frauen weltweit von Gewalt und Verfolgung bedroht sind, gibt es immer mehr weibliche Aktivisten, die für ihre Ziele kämpfen. Und all dies in einer Welt, in der Femizide – also Morde an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts – Sexismus, sowie häusliche und sexuelle Gewalt für Mädchen und Frauen überall zum Alltag gehört. Immer mehr Frauen stehen gegen diese Gewalt auf und erheben ihre Stimmen. Diese Stimmen werden immer lauter und mutiger und nehmen am öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs teil, treiben politische Reformen voran und gehen auf die Straße, um für ein besseres Morgen zu kämpfen. Diese Frauen sind mutige Vorbilder, die ihren Mitmenschen zeigen, wie wichtig und stark die eigene Stimme ist, und stärken damit die Hoffnung auf eine humanere Welt von Morgen.
Der Militärputsch von Myanmar
Nach dem Militärputsch und der illegitimen Machtübernahme von Senior General Min Aung Hlaing am 01.02.2021 ist in Myanmar nichts mehr, wie es war. Seit diesem Tag befindet sich das Land im Ausnahmezustand und tausende Menschen bieten dem Militär in beeindruckender Manier jeden Tag die Stirn. Am Samstag, dem 27. März 2021 – dem offiziellen „Tag der Streitkräfte“ – war der bislang blutigste Tag seit Beginn der Proteste.
An diesem Feiertag töteten Soldaten über 100 Zivilisten im ganzen Land, während sich das Militärkommando, im Beisein von unter anderem China und Russland, in der Hauptstadt Naypyidaw selbst zelebrierte.
Trotz der Härte des Militärs vereinen die zivilen Proteste, die nun seit Anfang Februar andauern, die Menschen Myanmars. Egal welcher Religion oder Ethnie sich jemand zugehörig fühlt, egal ob jung oder alt, egal welchen Geschlechts – sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Die Rückkehr des dunklen Zeitalters der Militärdiktatur zu verhindern. Mitten in dieser bunten Masse an Menschen sind zwei junge Frauen aktiv: Hnin und Su Myat, über die Autorin Carolin Hirsch berichtet.
Su Myat
Frauen werden in Myanmar als die Hüterinnen der Tradition angesehen. Das heißt, dass sie sich ruhig und demütig verhalten sollen: anständig gekleidet, mit bedeckten Schultern und Waden, im traditionellen Htamein. Su Myat trägt auch Htamein, aber sie reinterpretiert dieses Kleidungsstück neu. Die 23-jährige trägt ihren Htamein nicht als Rock, der in der Taille sitzt und bis zu den Knöcheln reicht, sondern kreiert sich daraus ein Wickelkleid, das ihre Schultern und ihre Waden zeigt. Ihre kreative Art den Htamein zu tragen wird in der Öffentlichkeit oft als Provokation wahrgenommen.
Obwohl Myanmar die letzten Jahre de facto von Aung San Suu Kyi regiert worden ist, ist die Rolle der Frau im Land weniger im öffentlichen Raum und in Führungspositionen angesiedelt. Der Auslöser des Militärputsches ist der Wahlsieg von Aung San Suu Kyis Partei im November 2020. Dass eine Frau politisch erfolgreicher und beliebter ist als Min Aung Hlaing hat, meines Erachtens, das militärische Ego verletzt und dessen Maskulinität nun in seiner toxischsten Form zu Tage gefördert.
Die weibliche Existenz innerhalb der Gesellschaft wird nun im Zuge der Proteste neu ausgehandelt und alte Glaubenssätze werden hinterfragt, ausgehebelt und gegen das Militär verwendet. Der 8. März 2021, der internationale Frauenkampftag, war der Tag der Htamein-Revolution. An diesem Tag waren über die Straßen der Städte Leinen gespannt, an denen von Frauen getragene Htamein und Slips aufgehängt waren, ebenso wie Monatsbinden. Der Hintergrund dazu ist ein alter Glaube, der besagt, dass Männer mit hpoun geboren werden, einer Art moralischer Überlegenheit. Hpoun wird verletzt oder geschwächt, wenn Stoff, der eigentlich den weiblichen Unterleib bedeckt, sich über dem Kopf des Mannes, seines heiligsten Körperteils, befindet. Die Protestierenden konnten diesen Glauben für sich instrumentalisieren, da die aufgehängten Leinen bewirkt haben, dass Polizisten und Soldaten entweder diesen Straßen ferngeblieben sind oder sie erst betreten haben, nachdem sie die Leinen umständlich abgenommen haben, um nicht darunter durchlaufen zu müssen.
Wenn auch nicht auf so drastische Weise, fordert Su Myat durch ihr Htamein-Kleid diese altmodischen Glaubenssätze in ihrem Alltag heraus und fördert deren Reflektion. Ebenso durch ihre Arbeit in einer Organisation, die technische Entwicklung, digitale Sicherheit und soziales Unternehmertum fördert und vereint. Dort hat sie einige Initiativen koordiniert, die besonders Frauen und deren Geschäftsideen fördern.
Eigentlich wollte sie nächstes Jahr ein Auslandssemester in Neuseeland machen, da sie neben ihrem Job noch Anglistik studiert. Aber seit dem Putsch ist dieser Plan in weite Ferne gerückt. Während sie die ersten Tage noch aktiv auf der Straße war, muss sie momentan zu Hause bleiben. Anfang Februar ist sie auf ihrem Weg zu den Protesten gestürzt und hat sich dabei den Knöchel gebrochen. Seitdem sie nicht mehr laufen kann, ist sie online aktiv. Momentan bereitet sie auf Myanma und auf Englisch Schulungen zu digitaler Sicherheit vor, da das Militär im Zuge des Putsches die Meinungsfreiheit online noch mehr bedroht und verfolgt.
Hnin
„I’m a farm girl now“ erzählt mir Hnin über Videochat und lacht, während sie einen Hund streichelt, der sich gerade an ihr Bein lehnt. Seit kurzem kann sie nicht mehr in ihre Wohnung in Yangon zurück und hält sich auf einem Bauernhof im Umland versteckt. Ihre Nachbarschaft ist zu gefährlich geworden, sagt sie, sie fühlt sich nicht mehr sicher zu Hause. Seitdem sie auf dem Bauernhof ist, kann sie nachts wieder etwas zur Ruhe kommen.
Die Soldaten und Polizisten laufen nachts durch die Straßen der Städte und Dörfer und dringen in die Wohnungen der Menschen ein. Ende März haben Polizisten in Mandalay ein 7-jähriges Mädchen erschossen, das auf dem Schoß ihres Vaters saß, nachdem sie in das Haus der Familie eingedrungen waren.
Hnin ist 24 Jahre alt, eine Linksintellektuelle, eine Feministin, eine Punkerin. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte, freute sie sich auf die Universität. Sie dachte, dass sie nun endlich frei und kritisch denken und hinterfragen kann. In der Schule, so erzählt sie mir, lernen die Kinder nur Propaganda. Unter anderem, dass das Militär, welches von 1962 bis 2011 eines der repressivsten Regime der Welt aufrechterhalten hat, Retter des Landes sei.
Nachdem sie an der Uni nur noch mehr Zwang fand, alles unhinterfragt hinzunehmen, schloss sich Hnin einer Studierendenvereinigung an. Solche Vereinigungen spielten eine große Rolle in der Geschichte Myanmars im Aufbegehren gegen autoritäre Regime. Dort schaffen sich die Studierenden selbst Räume, in denen sie unter anderem über Politik und soziale Gerechtigkeit diskutieren und sich auch dafür engagieren können. So kam es, dass Hnin 2015 einen Protestmarsch von Mandalay nach Yangon mitorganisiert hat, um gegen eine repressive und diskriminierende Bildungsreform zu demonstrieren. In der Frontlinie in Yangon wollte Hnin ihre Kommilitonen aus Mandalay in Empfang nehmen und ist dabei direkt in einen Polizeikessel geraten. Die Polizei hat die Proteste brutal niedergeschlagen und etliche Studierende festgenommen. Auch diejenigen, die direkt links und rechts von ihr gelaufen sind, wurden damals verhaftet. Diese Menschen hat sie nun im Februar bei den Protesten gegen den Militärputsch wieder getroffen.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich Hnin von einer studentischen Aktivistin zu einer Punk-Feministin entwickelt. Ihre komplette Erscheinung schreit Revolution – denn das Private ist politisch: Sie kleidet sich nicht mehr traditionell, hat Piercings und Tattoos, sie analysiert und kritisiert das politische Geschehen und sie sagt, was sie denkt. Auch hat sie mittlerweile ein neues Sprachrohr: Sie schreit ihre Kritik am politischen Zustand in den Liedern heraus, die sie und ihre Band im Zuge der Proteste veröffentlicht haben. Dieses Mal läuft sie nicht direkt an der Frontlinie, sondern agiert in zweiter Reihe. Von dort kann sie schneller helfen, Verletzte wegzutragen und ist den Gummigeschossen weniger ausgesetzt, bekommt aber mehr Tränengas ab. Ein paar Mal hat das Tränengas sie schon erwischt. Ein anderes Mal konnte sie sich vor der Polizei noch rechtzeitig in einen Hauseingang flüchten.
Bereits 2.559 Menschen sind seit dem Coup festgenommen worden und 459 wurden von der Junta getötet, laut der Gefangenenhilfsorganisation AAPP am 28. März 2021. Viele von ihnen wurden in Polizeigewahrsam schwer misshandelt und gefoltert. Andere überleben die Festnahme nicht. Die Angehörigen erhalten meistens am Tag nach der Festnahme einen Anruf, dass sie kommen und die entstellte Leiche abholen können.
Carolin Hirsch ist Doktorandin an der Universität Konstanz in der Arbeitsgruppe Ethnologie mit Schwerpunkt politische Anthropologie von Prof. Dr. Judith Beyer. Für ihre Doktorarbeit hat Carolin von 2018 bis Anfang 2020 überwiegend in Myanmar gelebt und dort zu Aktivismus im Kontext der sich verändernden sozialen und politischen Landschaft geforscht. Ihr Hauptfokus lag dabei auf einem Punkkollektiv, das sich besonders für in Armut lebende Menschen engagiert und sich für einen positiven sozialen Wandel durch politische Bildung einsetzt. Des weiteren lag ihr Fokus auf feministischen Projekten, die sich für freie Meinungsäußerung und sichere Räume einsetzen. Die verwendeten Bilder stammen von Emily Phyo, einer in Yangon lebenden feministischen Künstlerin, die seit dem Coup ihre Performances inmitten der Proteste macht, sie fotografisch festhält und auf ihrem Instagramkanal @emily_phyo teilt.
Rund ums Thema Female Leadership könnt ihr euch auch hier informieren.