„fim – Frauen im Management“ ist ein branchenübergreifendes Frauennetzwerk, das ihre Mitgliederinnen mit Beratung und Mentoring unterstützt. Die Vorstandsvorsitzende Carmen Wittmer stellt sich nicht nur unseren Fragen, sondern hält auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die paritätische Quote.
Wie klappt das Netzwerken in Corona-Zeiten für euch?
fim hat durch digitale Formate einen echten Zugewinn gemacht. Zum einen sind wir bundesweit noch näher zusammengerückt. Zum anderen haben wir sehr hochkarätig besetzte Onlineformate ermöglicht. Auch in 2022 sind wir bereits mit herausragenden virtuellen Veranstaltungen gestartet: fim meets #stayonboard – eine digitale Podiumsdiskussion mit Dr. Jessica Jacobi, Rechtsanwältin, Partnerin KLIEMT Arbeitsrecht und Co-Initiatorin von #stayonboard, Dorothee Bär, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie und Kultur und Dr. Nils Reich, Vorstand Sachversicherung AXA Deutschland. Sie alle haben #stayonboard unterstützt und so eine Änderung des Aktiengesetztes mit Signalwirkung in Sachen Gleichstellung bewirkt: Nun müssen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften nicht mehr ihr Amt niederlegen, wenn sie wegen der Geburt eines Kindes, wegen längerer Krankheit oder wegen eines Pflegefalles in der Familie eine Auszeit brauchen. Inspirierend und wirklich überzeugend war auch das Gespräch mit Katarzyna Mol-Wolf, die durch ein Management Buy-Out zur Verlegerin wurde, ihre Chance ergriff und ihren Traum lebt. Sie ist Gründerin & Verlegerin der EMOTION, HOHE LUFT und FINANZIELLE. Keine Frage, wir sehnen uns aber auch wieder nach persönlichem Austausch in Präsenz.
Steht denn heute schon ein Präsenztermin fest?
Ja. Am 8. September 2022 wird in Hamburg der Stiftungspreis unserer Gründerin Helga Stödter verliehen. Stödter würde diesen Jahr Ihren 100. Geburtstag feiern. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit, die für Frauen in Deutschland viel erreicht hat. Mit Sicherheit wäre sie stolz zu sehen, was aus ihrem Werk geworden ist und wie der Verein nach 30 Jahren mit viel Enthusiasmus und Engagement weiterlebt. Diese Preisverleihung nehmen wir als Anlass uns bundesübergreifend am 9.-11. September 2022 in Hamburg zu treffen.
Gibt es ein wichtigstes Ziel, das ihr euch für 2022 vorgenommen habt?
Oh ja, das gibt es! Wir renovieren – bildlich gesprochen – gerade unser Vereinshaus. Wir modernisieren und optimieren in verschiedenen Arbeitsgruppen und setzen neue Formate auf, um heute und in Zukunft für unsere Mitglieder attraktiv zu bleiben. Wir haben uns auch auf die Fahnen geschrieben, unsere Mitgliederzahl in diesem Jahr fast zu verdoppeln, denn unsere Themen sind aktueller denn je. Im Fokus wird weiterhin das persönliche Netzwerken und unsere exklusiven Veranstaltungen stehen, aber auch ein stärkeres politisches Engagement. Wir sind uns einig, dass das neue, seit 21. August 2021 wirksame Führungspositionengesetz II nur der Anfang sein kann, um Frauen in Führungsebene zu bringen. Dass von diesem Gesetz lediglich 160 börsennotierte Unternehmen betroffen sind, kann uns nicht genug sein. Wir fordern übrigens auch echte Parität – das heißt 50/50 – und keine schwachen Kompromisse ohne spürbare Sanktionen.
„Nichts ist selbstverständlich und nichts verändert sich ohne Druck“
Carmen Wittmer
Wie kann man bei euch mitmachen?
Wir haben uns für 2022 vorgenommen, ein Mentoring Programm aufzusetzen, um unser Wissen und unsere Erfahrung jungen Frauen, die in Führung wollen oder frisch in Führung sind, weiterzugeben und ihnen den Weg zu erleichtern. „Türen zu öffnen“ ist unser Vereinsmotto, deshalb nutze ich hier gerne die Gelegenheit eines Aufrufes an potentielle Mentoren und Mentees. Wendet euch sehr gerne an geschäftsstelle@fim.de mit euren Kontaktdaten. Ich selbst durfte die letzten Jahre viel Unterstützung durch fim-Mitglieder erfahren, die mir mit Rat und Tat in beruflichen Fragen, Höhen und Tiefen zur Seite standen. Wir freuen uns also sehr über neue Mitglieder! Schaut Euch einfach auf ww.fim.de um. Hier findet Ihr auch alle Informationen zur Mitgliedschaft.
Welche weiblichen Role Models begeistern dich gerade in diesen Zeiten besonders?
Da fällt mir natürlich sofort unsere Helga Stödter ein. Sie hat die Probleme ihrer Zeit erkannt und beispielsweise erreicht, dass alleinerziehende Mütter vom Jugendamt die Unterhaltszahlungen erhalten, wenn Väter diesen nicht nachkommen. Dies trifft natürlich auch für alleinerziehende Väter zu. Dann kommt mir Delia Lachance in den Sinn, die Galionsfigur von #stayonboard. Dank ihres medienwirksamen Falls, als Gründerin in der Elternzeit gezwungen zu sein, ihre CEO Position niederzulegen, hat sie eine unheimliche Dynamik entfacht. Mit der Gesetzesänderung, die beeindruckend schnell herbeigeführt wurde, hat sich viel zum Positiven verändert – übrigens auch für Männer. Mir machen diese positiven Veränderungen Mut.
Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen: Der börsennotierte Schreibwarenhersteller Edding hat die Vorstandsposition des Chief Digital Officers mit Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi in geteilter Führung besetzt. Das nenne ich Parität! Respekt an Per Ledermann, der als CEO für diesen mutigen Schritt des Familienunternehmens verantwortlich ist. Alle drei Stories verändern unsere Gesellschaft und unsere Business-Kultur. Das ist, was mich begeistert und wofür ich den drei starken Frauen – aber auch den Männern, die diese Schritte möglich gemacht haben – persönlich unendlich dankbar bin. Diese Errungenschaften motivieren uns als Verein, in unseren Forderungen zur paritätischen Führung nicht nachzulassen und uns im Schulterschluss dafür stark zu machen. Denn wie sagte unsere Gründerin Helga Stödter so schön: „Es geht eine wunderbare Kraft von Frauen aus, die sich einig sind und zusammenstehen.“
Auf welche Arbeitswelt treffen Absolvent:innen in den kommenden Jahren?
Mein klarer Appell an die neue Führungsgeneration lautet: Nichts ist selbstverständlich und nichts verändert sich ohne Druck. Denn es ist ein genereller Kultur- und Wertewandel, den wir fördern müssen, in der Wirtschaft wie in der Politik. Unternehmen, die heute noch wie militärische Einheiten geführt werden, werden in der Arbeitswelt von morgen untergehen.
„Kein Job der Welt ist es wert, sein persönliches Glück zu verlieren“
Carmen Wittmer
Bedarf es für diesen Wertewandel der Quote?
Ja, definitiv. Wir brauchen die Quote und eine relevante Masse sichtbarer Diversität. Führungskräfte mit Migrationshintergrund dürfen genauso wenig Exoten sein wie Frauen in den Führungsetagen der Wirtschaft. Mein Rat an die Absolventinnen ist deshalb auch: Seid nicht naiv, wir Frauen sind noch lange nicht am Ziel. Wenn ihr die gläserne Decke noch nicht spürt, seid ihr vielleicht noch nicht weit genug aufgestiegen. Haltet zusammen und unterstützt Euch gegenseitig. Ermutigt und stärkt Männer, die sich gleichberechtigt auf unsere Seite stellen. Zeigt Unternehmen den Rücken, die Eure Werte nicht teilen. Glaubt an Euch! Ihr könnt alles erreichen!
Wenn über Female Leadership gesprochen wird, werden in der Regel erfolgreiche Frauen genannt. Wie denkst du über Frauen, die keine klassische Karriere machen wollen und die ihre Vorstellung eines glücklichen Lebens nicht nach männlich geprägten Erfolgsdefinitionen ausrichten möchten?
Das ist eine sehr gute Frage, die mich sofort an unsere Diskussionen zu #stayonboard erinnert. Hier kam die Kritik auf, dass die Initiative ja nur für einen sehr kleinen elitären Kreis relevant sei. Mitnichten ist sie das! Denn nur, wenn sich in den Vorstandsetagen die Werte ändern, werden sich diese auch im gesamten Unternehmen ändern können. Diese im Rampenlicht stehenden Frauen haben Wirkung, aber auch für Frauen, die keine Karriere machen wollen, sind die Grundsätze der gleichen Teilhabe essentiell. Denn auch in der Partnerschaft oder bei der Kindererziehung sollten alle Familienmitglieder gleiche Rechte und Pflichten haben.
Eure Frage erinnert mich aber auch an eine fim-Veranstaltung im Jahr 2018 mit dem Titel „Neustart am Karrieregipfel“. Unsere Podiumsgäste erzählten, wo sie letztendlich ihre Berufung gefunden haben: Aus Vice-Presidents wurden Zen-Meister, aus Unternehmensberaterinnen Schuster, Konzernführungskräfte haben ihr Glück in der Lachmeditation gefunden. Besonders freut mich in diesem Zusammenhang, dass auch immer mehr Männer sich die Sinnfrage stellen – oft auch gerade am Karrieregipfel. Mein persönlicher Rat an eure Leserinnen: Folgt eurem Herzen – sucht Euch den Job, der Euch glücklich macht. Egal ob ihr CEO, Gründerin oder Erzieherin werdet. Kein Job der Welt ist es wert, sein persönliches Glück zu verlieren. Wartet nicht zu lange. Hört in euch rein. Seit bereit, mutige Schritte zu gehen. Unser Leben ist zu kurz für später.
Carmen Wittmer ist mit Herzblut Marketeer. Bereits mit 25 Jahren wurde sie Leiterin Kommunikation bei Sigel. Ihre weiteren beruflichen Stationen brachten sie nach Stuttgart, wo sie das Zepter für die Marke Leitz in der Hand hielt und später für Wüstenrot. Seit 2020 verantwortet Carmen Wittmer als Chief Marketing Officer und Prokuristin das Marketing und die Markenführung der AXA KG. Sie lebt in Ludwigsburg bei Stuttgart. Als Vorstandsvorsitzende der Vereinigung Frauen im Management e.V. kurz fim – setzt sie sich privat für Frauenkarrieren, die Quote und equal Pay ein.
Hier findest du einen weitern Beitrag zu einer interessanten Female Leadership Persönlichkeit