In unserer Zeit der schnellen Veränderung ist klares Leadership wichtiger denn je. Gefragt sind Entscheidungsfähigkeit, Umsetzung und Authentizität. Traditionelle Verhaltensmuster werden abgeschafft und sowohl Selbstbestimmung als auch Selbstentfaltung werden das neue Maß der Dinge. Britta Daffner ist Bereichsleiterin bei IBM und Executive Coach und weiß, welche Persönlichkeitsmerkmale und Skills über den Erfolg der Führungskräfte von morgen entscheiden.
Tagtäglich begleiten Sie Führungskräfte. Wie unterscheidet sich Ihrer Beobachtung nach der Führungsstil von Frauen und Männern?
Sie kennen bestimmt diese Persönlichkeitstests, die versuchen, Menschen in vier Kategorien einzuteilen. Unsere Welt und wir als Menschen sind komplexer als das. Genauso wenig lassen sich meiner Meinung nach pauschal Führungsstile in „typisch Mann“ und „typisch Frau“ unterteilen. Vielmehr bin ich der Meinung, dass sich der Führungsstil daran orientiert, in welcher Umgebung man selbst aufgewachsen ist, welchen Führungsstil man vor allem am Anfang seiner Karriere erlebt hat und wie reflektiert der Mensch an sich ist. In der Theorie wird der „Denkstil“ von Menschen oftmals in die Dimensionen „Empathie“ und „Systematisierung „aufgeteilt. Empathie beschreibt das Bedürfnis, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und eine ihrem Gefühlszustand angemessene emotionale Reaktion zu zeigen. Systematisierung hingegen beschreibt eine Vorliebe für das Verstehen und Manipulieren von „Systemen“, die nach festen Gesetzen und Regeln funktionieren. Wenig überraschend zeigen Frauen in Studien oftmals mehr Empathie, während Männer eher der Systematisierung zugetan sind. Es gibt allerdings Theorien, dass diese Ausprägung nichts mit dem Geschlecht an sich zu tun hat, sondern durch den Testosteron-Spiegel im Mutterleib bestimmt wird. Das Geschlecht einer Person gibt also nur im Durchschnitt, Aufschluss über ihren Denkstil oder eben auf ihren Führungsstil. Selbstverständlich gibt es auch Frauen, die stärker systematisieren, oder Männer, die mehr Empathie zeigen. Daher bin ich mit Pauschalaussagen an dieser Stelle sehr vorsichtig und plädiere eher dafür, den Menschen als Ganzes zu sehen und verstehen zu wollen.
Lässt sich daraus schlussfolgern: Es gibt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder Qualitäten, die ein Mann unbedingt mitbringen sollte, um Karriere in einem Unternehmen zu machen – und es gibt andere Persönlichkeitsmerkmale oder Qualitäten, die für Frauen entscheidende Erfolgsfaktoren sind?
Spannenderweise, wenn wir uns die Megatrends der kommenden Jahrzehnte anschauen, lautet ein Megatrend ganz klar: Individualisierung und Empowerment. Die sozialen Strukturen und Identitätsmerkmale, die unser Leben traditionell geprägt haben, verlieren an Bedeutung. Wir erleben einen großen gesellschaftlichen Wandel, weg von traditionellen Verhaltensmustern, hin zu mehr Individualisierung und Selbstbestimmung. Während es in der Vergangenheit wichtig war, sich anzupassen und die sozialen Codes der Karriere zu befolgen, ist es heute gesellschaftlich akzeptabler – ja sogar bewundernswert – geworden, sich abzuheben und „authentisch“ zu sein. Unabhängig von Mann oder Frau sehe ich allerdings, dass sich die Qualitäten die Leader:innen die nächsten Jahre mitbringen sollten, um Karriere zu machen, sich aktuell stark in „soziale Qualitäten“ ausrichten. Wirkliche Leader:innen von heute und morgen müssen mutig neue Wege gehen und Menschen lieben.
„Wir leben in einer Zeit des Umbruchs“
Britta Daffner
Ihr Coaching zielt darauf ab, sehr führungsstark zu sein. Welche Frauen repräsentieren heute für Sie „Female Leadership”?
Es gibt eine ganze Reihe von Frauen, die für mich Role Model der heutigen Führung sind. Auch hier muss ich den Disclaimer geben, dass ein Mensch niemals vollumfänglich ein Ideal verkörpern oder dazu glorifiziert werden sollten, denn in unsere Natur liegt, dass wir nicht perfekt sind, Fehler machen und Lernen. Ich suche mir stattdessen einzelne Stärken und Persönlichkeiten von Menschen heraus, die ich als bewundernswert erachte. Meine IBM Kollegin Marinela Bilic-Nosic hat mir die letzten zwei Jahre immer wieder vorgelebt und gelehrt, wie wichtig es ist, als Führungskraft groß, pragmatisch und manchmal auch verrückt zu denken. Agnes Heftberger oder Patricia Neumann sind für mich fantastische Beispiele, wie Frauen auf oberster Ebene Karriere und Familie verbinden können. Bei einer strategischen Ausrichtung oder auch dem mutigen Wechsel zwischen Industrien muss ich an Sabine Eckhardt und Donya Amer denken.
Welches sind Ihrer Beobachtung nach die am häufigsten anzutreffenden Problemstellungen von Frauen, wenn diese sich in ihrer Karriereentwicklung eingebremst fühlen?
Bei vor allem Karriereeinsteigerinnen beobachte ich oft große Selbstzweifel und die Unsicherheit, die eigene Meinung aktiv zu äußern. Viele junge Frauen haben immer noch das Gefühl, es „den anderen“ Recht machen und nicht zu sehr aus den Rahmen fallen zu dürfen. Mit meinen Mentees oder Coachees arbeite ich dann oftmals daran, das eigene Selbstvertrauen aufzubauen, die eigene Stimme erst mal zu erforschen und dann zum Ausdruck zu bringen. Auf der anderen Seite fällt mir auf, dass viele sich schwertun, systemisch und strategisch zu denken. Sicherlich gibt es immer wieder Situationen an denen Frauen „an die Gläserne Decke“ stoßen. Doch ich glaube, dass mindestens die Hälfte dieser Decken gesprengt werden könnten, wenn diese Person strategisch netzwerkt und lernt das System „Unternehmen“ in dem er oder sie sich bewegt zu verstehen, zu nutzen oder eben das richtige System das zu einem passt auszuwählen.
Es gibt auch die Thesen, dass Frauen sich in Bezug auf ihre Karrieren manchmal selbst im Wege stehen. An welchen Stellen sehen Sie da die beruflichen Sollbruchstellen?
Ich denke wir sind oftmals mehr von alten Traditionen und alten, gesellschaftlichen Erwartungen geprägt, als uns bewusst ist. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Auf der einen Seite sehen wir die Forderung an Frauen Karriere zu machen auf der anderen Seite oftmals immer noch die Erwartungshaltung dennoch genügend Zeit für die Familie aufzubringen. Wichtiger denn je ist es meiner Meinung nach, sich als Frau sowie als Mann, bewusst die Zeit zu nehmen und zu reflektieren, wie ich denn selbst als Mensch leben möchte. Was meine Wünsche sind und in welcher Weise ich persönlich diese – vielleicht auch konträreren – Wünsche vereinen kann. Und sich dann entsprechend auszurichten, die Dinge möglich machen oder auch einzufordern.
„Es ist wichtig interdisziplinäres Wissen und Softskills gepaart mit Fachkompetenz aufzubauen“
Britta Daffner
Über Ihre Arbeit haben Sie Einblicke in die Kultur vieler Unternehmen. Was zeichnet die Arbeitgeber aus, in denen sich die Mitarbeiter:innen besonders wohlfühlen und sehr motiviert sind?
Die meisten Menschen haben heutzutage ein natürliches Bedürfnis nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, Anerkennung und die Möglichkeit der Selbstentfaltung. Was diese einzelnen Punkte genau für einen bedeuten, kann sehr individuell sein. Ein entscheidender Faktor, wie wohl sich Mitarbeiter:innen in Unternehmen fühlen, ist entsprechend genau die Fähigkeit eines Unternehmens, ihren Mitarbeiter:innen genau das zu ermöglichen. Und dazu sind natürlich die Führungskräfte gefragt.
Nach welchen Kriterien würden Sie heute als angehende Absolventin ihren ersten Arbeitgeber auswählen?
Das Dilemma ist ja, dass der Blick von außen kaum zeigen kann, wie es intern zugeht. Um einen möglichst guten Blick zu bekommen, empfehle ich alle Varianten von Praxiserfahrung zu nutzen. Sei es Praktikas, Werkstudentenjobs, Girlsdays oder eben auch die entsprechenden Menschen über Vorstellungsgespräche, Veranstaltungen oder Messen kennen zu lernen und sich mit den Menschen auszutauschen, die bereits dort arbeiten. An die kommt man zum Beispiel über Linkedin.
Was wäre Ihnen heute besonders wichtig bei einem Arbeitgeber und welche Fragen dazu sollte man im Interview stellen?
Was mir in meiner Rolle heute besonders wichtig ist, ist die Möglichkeit wirklich etwas gestalten zu können und die entsprechenden Freiheiten zu haben, das zu tun. Das fängt damit an, welche Themen ich alleinverantwortlich entscheiden kann und hört bei dem Mindset, mit denen man zu tun hat, auf. Für ersteres schaue ich mir Organisationscharts an und stelle zum Beispiel die Frage über welche Ressourcen ich frei verfügen kann. Wie die Prozesse zum Hiring oder Freigaben aussehen usw. Thema Mindset und Unternehmenskultur ist virtuell schwer greifbar. Hier würde ich aktiv danach Fragen, ob man die wichtigen Stakeholder, mit denen man zukünftig zusammen arbeitet, kennen lernen kann. Vielleicht auch Vertreter aus dem Team kennen zu lernen und möglicherweise auch das Büro besuchen. Als Berufseinsteiger würde ich darauf achten, dass ich meine Karriere in einem Bereich starte, in dem ich viel lernen und mich weiterentwickeln kann. Gerade die ersten Jahre ist es wichtig sein sogenanntes „T-Shape-Modell“ zu entwickeln. Das heißt interdisziplinäres Wissen und Softskills gepaart mit Fachkompetenz – idealerweise in einem zukünftig, weiterhin wichtigen Bereich – aufzubauen. Im Interview würde ich das Thema Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Karrierepfade aktiv ansprechen. Schon allein um herauszufinden, ob ich den Support von meiner Führungskraft habe.
Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit der Digitalisierung. Wird sie die Arbeitswelt in den kommenden Jahren weiter sehr stark verändern?
Definitiv! Die Fortschritte allein im Bereich der künstlichen Intelligenz werden nicht nur die Art und Weise verändern, wie wir leben, wie wir lernen oder wie wir uns unterhalten (lassen), sondern auch wie wir in Zukunft arbeiten. Die neue Norm wird sein, dass wir viel häufiger Neu- und Umlernen müssen. Bereits im Studium solltest du dich daher damit beschäftigen, welche Trends uns in Zukunft erwarten. Und vor allem solltest du die Skills ausbilden, die KI wahrscheinlich auch in 20 Jahren noch nicht beherrschen wird: Kreativität, Empathie und Geschicklichkeit.
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Britta Daffner ist Senior Managerin und Beraterin für innovative Technologien, Autorin, Speakerin und Executive Coach & Mentor. Bereits seit ihrer Kindheit hegte sie eine Passion für innovative Technologien und seit 2018 leitet sie unter anderem den Geschäftsbereich für Künstliche Intelligenz (KI) und Data Science in IBM Consulting. Ihr Ziel ist es, die Themen digitale Transformation, Innovation, exponentielle Veränderungen und moderne Führung voranzutreiben und damit anderen Unternehmen sowie Führungskräften auf ihrem Weg zu unterstützen.