Initiative für Frauen mit Migrationshintergrund
Bestens qualifiziert, beeindruckender Lebenslauf – aber dennoch eine schlechtere Chance auf dem Arbeitsmarkt: Mit diesem Fakt sehen sich immer wieder Frauen mit Migrationshintergrund oder Women of Color konfrontiert. Um sich gezielt dagegen einzusetzen, hat Martha Dudzinski zusammen mit anderen Frauen, deren Familien auch aus dem Ausland stammen, die SWANS Initiative gegründet.
Martha, erzähl uns doch bitte eingangs ein wenig von deiner persönlichen Vita.
Ich komme vom Bodensee und habe in München, Krakau und Edinburgh Politik studiert. Während und nach dem Studium habe ich frei für verschiedene Medien von ARD bis ZEIT Online gearbeitet und hatte ein Stipendium der journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung. In deren Golfstaaten-Programm in Jordaniens Hauptstadt Amman habe ich nach einem Praktikum auch kurz als Projektmanagerin gearbeitet, bevor ich meinen Master in Edinburgh gemacht habe.
Inzwischen wohne ich wie jede gute Schwäbin in Berlin. Die letzten vier Jahre habe ich im Bundespresseamt gearbeitet, wo ich in der Sofort-Berichterstattung Kanzlerin Merkel per SMS über das aktuelle Geschehen informiert habe. Seit Oktober bin ich Pressesprecherin bei Mercedes-Benz Vertrieb Deutschland.
Aber vorher kam es zur Gründung der SWANS Initiative.
Zusammen mit einer Gruppe anderer junger Akademikerinnen, deren Familien nach Deutschland ausgewandert oder geflüchtet sind, haben wir festgestellt, dass es keinen Raum gibt für Frauen wie uns – wir haben studiert, beeindruckende Lebensläufe und erleben trotzdem Fremdmarkierung durch die Mehrheitsgesellschaft mit Migrationsdefizit. Klar, ich als Polnischstämmige habe es da noch am einfachsten – andere erleben Sexismus gepaart mit Islamophobie, Rassismus und weiteren Diskriminierungsformen. Dagegen wollen wir etwas tun: Deswegen schaffen wir einen Raum für genau diese spezifische Gruppe: In Deutschland aufgewachsene Studentinnen, Absolventinnen und junge Akademikerinnen mit Zuwanderungsgeschichte und Women of Color. Damit sie die Jobs bekommen, die sie sich verdient und erarbeitet haben.
Und wie ihr macht das?
Wir setzen uns ein für einen kompetenzorientierten Arbeitsmarkt. Den gibt es aktuell nämlich nicht – Frauen, erst recht Women of Color, sind in allen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Führungspositionen krass unterrepräsentiert. Das wollen wir ändern: Wir schaffen eine Plattform, auf der sich unsere Schwäne rund um das Thema Berufseinstieg fortbilden, miteinander austauschen und vernetzen können. Dazu gehören Seminare zum Berufseinstieg, außerdem bilden wir gezielt ein Netzwerk, in dem sie miteinander in Kontakt bleiben, sich austauschen und über Jobs, Stipendien, Praktika und andere Angebote informieren können. In unserem Vorbilder-Blog porträtieren wir außerdem beeindruckende Frauen und ihren Werdegang – als Inspiration und Ermutigung, es ihnen gleichzutun. Unser Motto lautet: Mehr Fatmas in die Führungsetagen!
Damit wendet ihr euch an Teilnehmerinnen mit einer Zuwanderungsgeschichte oder Women of Color, die in einer kompetenzgeleiteten Arbeitswelt eure Hilfe eigentlich gar nicht nötig hätten. An welchen Stellen merkt ihr, dass wir diese Arbeitswelt noch nicht haben?
Die weiße Mehrheitsgesellschaft kriegt oft gar nicht mit, welche Unverschämtheiten sich unsere Schwäne im Alltag gefallen lassen müssen. Ihnen wird grundsätzlich weniger zugetraut – erst in der Schule, dann an der Uni, dann im Praktikum oder Beruf. Sie werden als Ausnahme von der Regel behandelt („Toll, dass du studierst, obwohl du Türkin bist!“) und ihre Qualifikation wird ihnen ständig abgesprochen („Du bist doch eh nur Quoten-Migrantin!“). Wenn sie mal zu spät kommen, kriegen sie zu hören „Das können Sie vielleicht in Ihrer Kultur machen, wir sind hier in Deutschland!“ Wenn ihre Familie aus der Türkei stammt, werden sie ständig zu Erdogan befragt – auch im Bewerbungsgespräch. Eine Teilnehmerin musste sich diese Frage ernsthaft in den Vorgesprächen BEIDER juristischer Staatsexamina gefallen lassen. Da haben wir Polnischstämmigen es als weiße, christliche EU-Bürger*innen schon relativ einfach – ich habe mir schon seit Jahren keinen blöden Diebstahl- oder Autoschieberwitz mehr anhören müssen.
Unsere Schwäne werden entweder als Ausnahme von der Regel behandelt oder ihre Qualifikation wird ihnen abgesprochen
Das zeigt aber doch, dass sich Dinge ändern können. Was denkst du, wären notwendige Maßnahmen und Schritte, um zu einer kompetenzgeleiteteren Arbeitswelt zu kommen?
Grundsätzlich wird sich nichts ändern, solange die breite gesellschaftliche Mehrheit das Problem verleugnet. Wir brauchen ein gesellschaftliches Bewusstsein, ein Eingeständnis. Das bedeutet, dass die Leute einsehen müssen, dass sie nicht die kompetentesten Menschen an die Macht bringen, sondern sich weiße Männerbünde ständig reproduzieren.
Die haben verständlicherweise selten ein Interesse daran, die aktuellen Strukturen zu ändern. Schnell heißt es dann, dass eine Frauenquote Männer diskriminieren würde und ein gezieltes Einstellen von People of Color ja eine Form von umgekehrtem Rassismus sei. Das ist natürlich Quatsch. Wenn wir aufhören wollen, unabsichtlich weiße Männer zu bevorzugen, müssen wir uns bewusst dafür entscheiden, Frauen und insbesondere Women of Color einzustellen. Wer es für Diskriminierung hält, einmal nicht automatisch bevorzugt worden zu sein, zeigt damit, dass er wirklich noch nie Diskriminierung erlebt hat.
Welche Seminare richtet ihr aus und wie viele Teilnehmerinnen habt ihr damit bereits erreicht?
Unser Angebot bespielt alle Themen rund um den Berufseinstieg: Wir bieten auf der einen Seite allgemeine Seminare an zu Themen wie Stipendien, Bewerbungstraining, Kommunikation und Gehaltsverhandlung – aber auch fachspezifische, zum Beispiel zu NGOs oder in Kooperation mit attraktiven Arbeitgeber*innen wie dem Bundespresseamt oder der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Auch große US-Wirtschaftskanzleien sind bereits auf uns zugekommen und wollen mit uns zusammenarbeiten. Inzwischen gehören über 200 Schwäne zu unserem Netzwerk.
Und wie ist das Feedback eurer Schwäne?
Unsere Teilnehmerinnen verorten sich grob gesagt zwischen zwei Polen: Am einen Ende sind die kämpferisch-ehrgeizigen. Sie haben sich daran gewöhnt, zweimal so hart zu arbeiten, um halb so weit zu kommen und wollen sich lieber nicht mit Diskriminierungsthemen beschäftigen, um nicht die „Opferrolle“ unterstellt zu bekommen. Sie kommen oft zu uns, weil wir so ein attraktives Angebot haben und nicht primär wegen der Zielgruppe. Sozusagen am anderen Ende kommen Teilnehmerinnen aus dem rassismuskritischen Aktivismus. Sie sind entsprechend geübt darin, Diskriminierungserlebnisse als solche zu erkennen und zu benennen. Am Seminarthema sind sie zwar auch interessiert, aber sie legen besonders viel Wert auf den Austausch mit Gleichgesinnten.
Die meisten Teilnehmerinnen finden sich irgendwo zwischen diesen beiden Punkten wieder. Das Feedback ist aber bei allen gleich emotional – neben den vermittelten Inhalten bedeutet ihnen der Raum und der Austausch wahnsinnig viel.
Einen Austausch gibt es nicht nur untereinander, sondern auch bei Arbeitgebern, mit denen ihr zusammen arbeitet. Bei diesen fällt auf, dass ihr viele Seminare in Zusammenarbeit mit Unternehmensberatungen ausrichtet.
Wir merken schon, dass es insbesondere US-amerikanische Unternehmen sind, bei denen die Arbeit an besserer Teilhabe und Repräsentation von Frauen und/ oder People of Color von den Leitungsebenen gewünscht und gefördert werden. Dazu gehören tatsächlich die großen Unternehmensberatungen, Wirtschaftskanzleien und viele der als besonders attraktiv geltenden Unternehmen. Die sind da schon wesentlich weiter als wir.
Aber auch Oberste Bundesbehörden und Ministerien wie das Bundespresseamt haben schon hier und da Leute an den richtigen Stellen sitzen, die ihre Versäumnisse einsehen. Grundsätzlich ist es nirgendwo perfekt – aber wir als SWANS machen es uns in unserer Arbeit auch ziemlich bequem: Wir arbeiten ja mit potentiellen Arbeitgebern zusammen, bei denen es Menschen gibt, die schon eingesehen haben, dass es ihre Schuld ist, dass es kaum Frauen und People of Color in ihren Belegschaften und Führungspositionen gibt. Die, bei denen das noch nicht angekommen ist, kommen ja auch nicht auf uns zu.
Kannst du uns dazu ein konkretes Beispiel nennen, was an positiven Ergebnissen eure Initiative bewirkt?
Ganz konkret bewerben sich unsere Teilnehmerinnen nach Seminaren auf Jobs, Auslandsaufenthalte und Stipendien, die sie sich vorher nicht zugetraut haben. Nach Seminaren mit Arbeitgebern machen Teilnehmerinnen Praktika oder kriegen Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Außerdem tun sich Schwäne zusammen, um zusammen zu gründen und Projekte zu starten.
Stichwort „Zusammentun”: Wie können Studierende SWANS unterstützen?
Wir haben uns zusammen getan als junge Akademikerinnen, deren Familien aus dem Ausland stammen. Das bedeutet, dass wir im Team und unsere Referentinnen alle selbst aus der Zielgruppe stammen, die wir mit SWANS fördern – Studentinnen und Absolventinnen mit Zuwanderungsgeschichte und Women of Color. Wer nicht zur Zielgruppe gehört, kann aber natürlich trotzdem gerne anderen von unserem Angebot erzählen. Wir freuen uns immer über die Chance, neue potentielle Schwäne zu erreichen.
Welche Role Models für eure Zielgruppe beeindrucken dich ganz besonders?
Traurigerweise sind die größten Role Models zumeist immer noch US-amerikanische Persönlichkeiten wie Michelle Obama, Beyonce Knowles oder Oprah Winfrey.
In Deutschland finde ich persönlich Sawsan Chebli am beeindruckendsten, die Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei. Sie steht meiner Meinung nach für genau das Deutschland, das ich mir für die Zukunft wünsche: Ein Land, in dem eine gläubige Muslima durch Klugheit und harte Arbeit beruflich erfolgreich werden kann. Der Preis, den sie dafür bezahlt, ist aber immens hoch – an dem Hass, der ihr immer wieder in großen Wellen entgegenschlägt sehen wir, wie rassistisch, sexistisch und islamfeindlich unsere Gesellschaft ist und wie wenig die Menschen sich inzwischen noch Mühe geben, das zu verstecken.
Wo Frauen wenig Platz zugestanden wird, sehen sie sich als Konkurrenz, statt sich gegenseitig zu unterstützen
Du hast selbst berufliche Erfahrungen in einer Behörde, im Journalismus und in der Pressearbeit bei Daimler gesammelt. Unabhängig vom ethnischen Hintergrund: Als wie fair empfindest du heute die Karrierechancen für Frauen?
Die Zahlen sprechen für sich: Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, haben die besseren Abschlüsse, die besseren Lebensläufe, die besseren Fähigkeiten, die beruflich relevant sind – sowohl was Teamarbeit als auch Führungspositionen angeht. Und trotzdem sind sie nirgendwo auch nur zu einem Drittel repräsentiert, wenn es nicht durch eine Quote erzwungen wurde. Das bedeutet: Kompetenz und Qualifikation ist auf unserem Arbeitsmarkt offensichtlich nicht ausschlaggebend. Das sollte übrigens auch Männer stören.
Inzwischen können sich viele High Potentials aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Der demografische Wandel und Fachkräftemangel werden ihr Übriges tun, dass auch der letzte Arbeitgeber begreifen wird, dass er nicht so große Teile potentieller Beschäftigten pauschal vergessen kann. Wenn dann auch der Letzte auf die „Diversity-Schiene“ aufgesprungen ist, werden wir aber nicht vergessen haben, wer sich am lautesten und längsten gegen angemessene Teilhabechancen und einen kompetenzgeleiteten Arbeitsmarkt gewehrt hat.
An wen denkst du da?
Ach, ich glaube, es gibt in Politik und Wirtschaft einige heiße Kandidaten.
Welchen Rat gibst du Absolventinnen, die zu sehr verinnerlicht haben, dass Karriere eher Männersache ist?
Viele junge Frauen kriegen den Eindruck, dass sie einen hohen Preis zahlen müssen, um Karriere machen können. Denn zu lange haben wir uns gegeneinander ausspielen lassen. Deswegen gibt es ja das Phänomen, dass Frauen schlechte Erfahrungen mit einer Frau als Chefin machen. Klar sind männliche Chefs oft entspannter – sie werden uns Frauen, erst recht eine Woman of Color, nie als ernsthafte Konkurrenz oder gar Bedrohung sehen müssen. Wo wenig Platz für Frauen ist, wird ihnen dadurch das Gefühl vermittelt, sich gegenseitig als Konkurrenz sehen zu müssen. Das ist je nach Branche und Unternehmenskultur, zum Teil auch von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich stark ausgeprägt.
Davon profitieren am Ende natürlich wieder die Männer. Weiße Frauen lernen diese Lektion langsam, aber gerade in den marginalisierteren Communitys herrscht natürlich wieder dasselbe Gefühl – wird es in einer Talkshowrunde jemals zwei Frauen im Kopftuch geben? Deswegen mein Rat – tut euch mit Gleichgesinnten zusammen! Seid stolz auf das was ihr könnt! Und lasst euch nie wieder von jemandem einreden, dass ihr nicht gut genug seid.